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1. RSO-Sinfoniekonzert des Hessischen Rundfunks

29./30. September 2004
1. Oktober 2004 (besuchte Aufführung)
Alte Oper Frankfurt


RSO Frankfurt
(Homepage)
Utopische Unterwassermusik

Von Claus Huth

Was geschieht mit unserer Kultur? Wird sie untergehen? Was wird bleiben? Solche Fragen bewegten den 1944 geborenen ungarischen Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös bei der Komposition seines Stücks "Atlantis". Inspiriert durch die Beschreibungen Platons von der untergegangenen Stadt Atlantis und einem Gedicht von Sandor Weöres mit dem gleichen Titel brachte Eötvös das Werk, besetzt für Knabensopran, Bariton, Cymbal, virtuellen Chor und großes Orchester, 1995 zur Uraufführung. Das Stück eröffnete die programmatisch mit "Träume - Visionen" überschriebene Sinfoniekonzertsaison des Hessischen Rundfunks und die Aufführung in der Alten Oper Frankfurt geriet beeindruckend.

Da ist zunächst einmal die ungewöhnlich starke Schlagzeugbesetzung: Zehn Schlagzeuger fordert die Partitur, vier von ihnen als "akustische Wand" zwischen Orchester und Publikum postiert, die anderen sechs links, rechts und hinter dem Publikum im Raum verteilt. Saß man im Parkett der Alten Oper, waren diese sogar über den Zuhörern, da sie im Rang platziert wurden. Aber auch die restliche Besetzung ist beeindruckend. Zwei E-Klaviere und drei Synthesizer gruppierten sich um den Dirigenten. Im hinteren Bühnenbereich waren die Gesangssolisten (souverän ein Solist der Limburger Domsingknaben und der Bariton Wojtek Drabowicz), das permanent geforderte Cymbal (Márta Fábián), zwei Streichquintette (Kontrabass statt zweites Cello), ein Flügelhorn und eine E-Bassgitarre postiert; dazwischen eine reiche Bläserbesetzung.

Eötvös nutzt diesen Klangapparat, um eine schillernde Klangwelt zu erzeugen, wie man sie sich unter Wasser - dort, wo sich das mystische Atlantis befindet - vorstellen kann. Seltsame, geheimnisvolle Klänge der Schlagzeuger und der über Lautsprecher von oben eingespielten virtuellen Chöre, die durch die Synthesizer gesteuert werden, hüllten das Auditorium in ein sich stets bewegendes, oszillierendes Klangkontinuum, in das sich die Orchesterfarben unbemerkt mischten. Ein spannendes Rundum-Klangerlebnis, das sich noch steigerte, wenn man die Augen schloss und sich ganz den bewegenden Klängen und Geräuschen hingab. Peter Eötvös leitete die Aufführung selbst, und seine souveräne Beherrschung des unübersichtlichen Apparates bürgte für eine Aufführung von hoher Authentizität.

Träumerischer, visionärer hätte das Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt seine Spielzeit nicht beginnen können. Wohlverdienter, lang anhaltender Applaus mit einigen Bravi nach der etwa 40-minütigen Klangreise unter Wasser. Den Zuhörer am Rundfunkgerät, der Direktübertragung des Konzertes lauschend, könnte das Gehörte etwas ratlos zurückgelassen haben: Sicherlich ist Eötvös' Werk über die stereophone Wiedergabe des Radios nicht adäquat zu übermitteln.

"Ein Seismograf für die Zukunft" solle ein Künstler sein, so Peter Eötvös. Zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert gab es wohl kaum einen Komponisten, auf den diese Beschreibung im Rückblick so zutreffen würde, wie Alexander Zemlinsky. An der Schwelle zwischen der aufbrausenden Spätromantik eines Richard Strauss und dem radikalen Fortdenken der Tradition bei Schönberg (dessen Lehrer Zemlinsky war), antizipiert seine Musik immer wieder Dinge, die sich erst später voll entfalten sollten. Zemlinsky, gerade während der "mittleren" Phase, saugte mit seiner Musik die aktuellen Strömungen um ihn herum wie ein Schwamm auf und verband diese Inspirationen zu einer letztlich unverkennbaren, eigenen Klangsprache. Sein heute neben der "Lyrischen Sinfonie" wohl bekanntestes Orchesterstück, die sinfonische Dichtung "Die Seejungfrau", ist schon von der Thematik her eine hervorragende Ergänzung zu Eötvös' "Atlantis", spielt doch auch die "Handlung" von Zemlinskys Werk, dem bekannten Märchen von Hans Christian Andersens folgend, zum größten Teil unter oder doch wenigstens am Wasser.

Doch die Programmfolge in der Alten Oper Frankfurt - erst Eötvös, dann Zemlinsky - zwang den Zuhörer nach der Pause, sich erst wieder daran zu gewöhnen, dass im Konzertsaal die Musik üblicherweise nur von vorne kommt. Nach Eötvös raumgreifender Komposition schien der Anfang der Zemlinskyschen Tondichtung seltsam flach und matt. Eine umgekehrte Kopplung wäre aufschlussreicher gewesen - aber wegen des erforderlichen komplizierten Aufbaus für "Atlantis" kaum mit einer normal dimensionierten Konzertpause machbar. Nach einiger Zeit fand man sich ins "gewohnte" akustische Ambiente wieder ein, und Eötvös Sicht auf die Partitur hatte einiges für sich: Die einerseits stets bewusste Kontrolle der Klangfarben, die in Zemlinskys Partitur doch so wichtig sind und andererseits die umsichtige Disponierung der langen Spannungsbögen nahmen für sich ein.

Leichte Unsicherheiten in den groß besetzten und häufig mehrfach geteilten Violingruppen (lobenswerterweise nicht wie üblich nebeneinander, sondern links und rechts des Dirigentenpultes platziert) konnten im zweiten und dritten Satz den Eindruck nur wenig trüben, vor allem, da das Blech mit sattem, rundem Klang und die Holzbläser mit fein artikulierten Soli ausgesprochen gut aufgelegt waren und gemeinsam mit den zwei Harfen und dem ökonomisch eingesetzten Schlagwerk exquisites Kolorit zu zaubern imstande waren. Hervorragend die zahlreichen Violinsoli des Konzertmeisters.

Sinnig war die Kopplung beider Stücke nicht nur wegen der Thematik, sondern auch, weil man faszinierende Parallelen zwischen beiden Komponisten und Kompositionen finden konnte:
Jeweils um eine Jahrhundertwende herum entstanden, sind beide Stücke gleichermaßen von der Klangfarbe ausgehende, faszinierte Rückblicke auf Gewesenes und Ausblicke auf zukünftig (wohl) Kommendes. Beide nutzen die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel voll aus, um den Zuhörer für die Zeitdauer der Aufführung mit auf eine Klangreise zu nehmen. Was in der Alten Oper in Frankfurt überzeugend gelang.


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Solist der Limburger
Domsingknaben

Wojtek Drabowicz, Bariton

Mártá Fábian, Cymbal

Norbert Ommer, Klangregie

Radio-Sinfonie-Orchester
Frankfurt

Peter Eötvös, Dirigent




Peter Eötvös
"Atlantis"
für Knabensopran, Bariton,
Cymbal, virtuellen Chor
und großes Orchester
nach Texten von Sandor Weöres

Alexander Zemlinsky
"Die Seejungfrau"
Sinfonische Dichtung
für Orchester



Weitere Informationen
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RSO Frankfurt
(Homepage)



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