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Congresshalle Saarbrücken
8./9. Dezember 2003

4. Sinfonie-Konzert




Französische Musik zwischen Transzendenz und Virtuosität

Von Claus Huth

"Fantastique!" hat das Saarländische Staatsorchester sein 4. Sinfoniekonzert der laufenden Saison betitelt, und entsprechend ging es sehr französisch zu an diesem gut besuchten Abend: Dirigent und Solist renommierte Künstler aus Frankreich – und alle drei Werke des Abends aus dem gallischen Nachbarland, das nur gute 10 Autominuten von der Congresshalle Saarbrücken beginnt. "Fantastique!", das sollte aber wohl auch die drei Werke inhaltlich verbinden, denn gewisse fantastische Aspekte hat jedes von ihnen. Während Berlioz berühmtestes Orchesterwerk das titelgebende Wort selbst als Überschrift trägt, ist es bei Iberts Flötenkonzert eher die fantastische Virtuosität, die es dem Solisten abverlangt – und die neben der verlangten Orchestervirtuosität in Berlioz‘ Meisterwerk ausgesprochen dazu geeignet sein könnte, den geneigten Zuhörer anschließend ein begeistertes "Fantastisch!" zu entlocken.

Am wenigsten erschließt sich auf den ersten Blick der Zusammenhang zu Olivier Messiaens erstem Orchesterwerk, "Les offrandes oubliées" (Die vergessenen Opfer), das als Auftakt zu erleben war. Das Werk nannte der damals erst 23-jährige Komponist eine "sinfonische Meditation", und hier liegt wohl – wenn auch verborgen – der Bezug zum Fantastischen. Das dreiteilige Stück, das sich auf ein religiöses Gedicht Messiaens bezieht, geriet überraschenderweise zum eigentlichen Höhepunkt des Abends. Serge Baudo am Pult entlockte den Musikern vor allem in den ruhigeren Rahmenteilen eine erstaunlich konzentrierte Intensität, und der Furor des Mittelteiles, in dem einzig das ganze groß besetzte Orchester zum Einsatz kommt, geriet als "Ritt in den Abgrund" atemberaubend – wenn auch vielleicht etwas zu wenig transparent. Was aber durchaus an der Instrumentierung liegen könnte, die noch nicht die Meisterschaft im Umgang mit massiven Orchesterballungen offenbart, die Messiaen in den späteren Orchesterwerken zur Verfügung stand, für einen 23-jährigen allerdings schon beachtlich ist. Höhepunkt des Stückes und der Aufführung allerdings ist der letzte Satz, der den Melodiker Messiaen auf tief berührende Weise zur Geltung bringt. Wie hier die ersten Violinen des Staatsorchesters die langgeschwungene, meditative Melodie auf dem feinen harmonischen Untergrund nur einiger 2.Violinen und Bratschen entfalteten – Respekt! Dass sich just an diesen Stellen die kalte Jahreszeit und die damit zwangsläufig einhergehenden grippalen Infekte im Publikum besonders bemerkbar machten, wurde durch die in ihrer einfachen Schönheit intensive Musik fast vergessen gemacht.

Iberts Flötenkonzert, 3 Jahre nach Messiaens 1931 komponiertem Stück entstanden, bildete einen entsprechend starken Kontrast. Fühlte man sich eben noch in exstatische Höhen entführt, so wurde man von Iberts Werk sehr schnell auf den festen Erdboden zurückgezogen. Patrick Gallois nahm sich des Solopartes mit schönem, bisweilen auch allzu vibratoreichem Ton an und meisterte die bereits angesprochene Virtuosität hinreißend, keine Frage. Aber das Stück selbst zeichnet sich nicht durch die Leichtigkeit und Lockerheit, schelmische Transparenz aus, die man von anderen französischen Komponisten der Zeit – etwa Francis Poulenc – kennt. Das wäre nicht weiter schlimm – wenn Ibert nicht versuchte, genau diesen Stil zu treffen. Die Instrumentierung des melodisch schön gedachten Kopfsatzes mangelt es an Durchsichtigkeit, sie erscheint oft auch zu verwuselt in den vielen Einzelstimmen. Das spielte im langsamen Satz, dem wohl schönsten des Konzertes, weniger eine Rolle. Oder die rhythmische Grundkonstellation des Schlusssatzes: das kann man anderswo mit größerer Nonchalance und Selbstverständlichkeit, ja mit mehr Augenzwinkern erleben. Dennoch, für den Flötisten ein dankbares und für den Zuhörer ein nicht schwierig zu hörendes Werk – und das Publikum bedankte sich bei Gallois entsprechend herzlich für die Darbietung, woraufhin der Solist in der Zugabe mit Debussys "Syrinx" für Flöte solo noch einmal alle seine Qualitäten ausspielte.

Hector Berlioz wurde just am 11.12.2003 vor 200 Jahren geboren, und dies war wohl Anlass, sein bekanntestes Orchesterwerk wieder ins Programm zu nehmen: Die Episoden aus dem Leben eines Künstlers, die Sinfonie fantastique op.14. Wohlbemerkt, man hätte sich über ein weniger oft gespieltes Werk Berlioz’ gerade zum Jubiläum mehr gefreut. So also der bekannte "Reißer", wieder einmal in Saarbrücken (wenn sich der Rezensent nicht verzählt hat, gab es in Saarbrücken in den vergangenen 3 Spielzeiten jeweils eine Aufführung des Stückes). Entsprechend hoch darf man die Erwartungen an eine erneute Interpretation stecken, zumal wenn ein so anerkannter Dirigent wie der französische Altmeister Serge Baudo am Pult steht. Leider wurden diese hohen Erwartungen nicht erfüllt: Zwar keine schlechte Aufführung, aber auch keine, nach deren Ende man sich auch als Zuhörer völlig außer Atem fühlte. Das Programm war dankenswerterweise im Programmheft abgedruckt – schmerzlich vermisste man indes biographische Informationen zu Berlioz, wie sie zu Ibert und Messiaen bereitgehalten wurden. Auch wenn Berlioz im Gegensatz zu seinen jüngeren Kollegen schon ein rechter "Klassiker" ist, schadet es nie, zumindest Grundzüge der Biographie wiederzugeben – zumal gerade dieses Stück einen ausgeprägt autobiographischen Zug aufweist.

Aber zurück zur Aufführung: Was der Herangehensweise mangelte, war vor allem ein wirklich zwingender, gelungener Aufbau. Viele kleine, teilweise auch schön gelungene Episoden standen da neben-, aber zu selten im Bezug aufeinander. Auch manche Steigerung – eklatant etwa im dritten Satz – geriet Baudo und dem Staatsorchester so halbherzig, so dass die Höhepunkte reichlich unmotiviert herausgeknallt kamen – das ist schade, gerade weil Berlioz sie so genau geplant hat. Überhaupt: wenn man in Berlioz’ ausgesprochen detaillierte und für die Zeit revolutionär genauen Partiturangaben schaut: Man fand sie in der Umsetzung oft nicht angemessen wieder. Klar, man kann keine sechs Harfen erwarten, wie sie Berlioz im 2.Satz, der Szene auf dem Ball, vorsah. Aber wenn nur zwei Harfen zur Verfügung stehen, muss man das im Verhältnis zum Restorchester berücksichtigen. Zwar tanzten sich die Streicher und Holzbläser meist sicher durch den Ball, aber die aparte Klangfarbe, die durch die Harfen dem ganzen erst den rechten Tupfer aufgesetzt hätte, wurde von ihnen dabei konsequent in den akustischen Hintergrund gedrängt. Die beiden Damen waren gut sichtbar, man sah sie gewaltig zupfen – aber hörbar waren sie allermeist nicht. Da wäre auch mehr Kontrolle von Seiten des Dirigenten erforderlich gewesen. Ähnlich auch im Finale, wo das bedrohliche Grummeln der zwei großen Trommeln vielfach zu laut und damit geheimnislos blieb.

Gänzlich verwunderte allerdings, dass das "hinter der Bühne" zu platzierende zweite Englischhorn im dritten Satz durch elektronische Verstärkung so laut klang, dass der Englischhornist auf der Bühne eher als der weiter entfernte erschien (absurd auch die Verstärkung der Glocken im letzte Satz). Die räumliche Komponente der Musik ging damit völlig verloren. Schließlich war auch das Orchester nicht an allen Stellen der – zweifellos schwierigen – Partitur ihren Anforderungen gewachsen. Mehr Probenzeit hätte hier möglicherweise bisweilen zu einem besseren Ergebnis geführt – das betraf neben der reinen Spielleistung übrigens auch die Ausgestaltung musikalischer "Charaktere", die für Berlioz’ Sinfonie doch so wichtig sind: Zwar gab es immer mal wieder hoffnungsfrohe Ansätze, aber bei denen blieb es denn auch. Sie wurden nicht konsequent durchgehalten und weitergeführt, und das ist gerade bei einem solchen Stück letztlich bedauerlich. Dennoch lang anhaltender Applaus.


FAZIT

Starker Anfang, schwächerer Schluss – das Staatsorchester "kann es" eigentlich, wie im Messiaen deutlich wurde. Hoffen wir, dass die nächsten Konzerte der spannend programmierten Saison bis zum Ende auf hohem Niveau bleiben werden.


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Programm


Olivier Messiaen
Les offrandes oubliées

Jacques Ibert
Flötenkonzert

Hector Berlioz
Symphonie fantastique:
Episodes de la vie d’un artiste op.14



Saarländisches Staatsorchester
Saarbrücken

Serge Baudo, Dirigent

Patrick Gallois, Flöte







Da capo al Fine

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