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München, Philharmonie im Gasteig
21. November 2003

3. Abonnementkonzert Reihe A


Musikalische Gegensätze

Von Ingo Schüttke


Dem Zuhörer dämmerte erst in der Konzertpause, worauf er sich mit der Entscheidung, in dieses Konzert zu gehen, eingelassen hatte. War er doch recht benommen vom Rausch der Traummusik, in den ihn die acht Sätze der Nussknackersuite von Tschaikowsky befördert hatten. Intensiv und mit großer klanglicher Schönheit vom gut aufgestellten BR-Symphonieorchester vorgetragen, entließen sie ihn in die Pause mit einem Geruch von Konfekt und Blumen in der Nase und mit inneren Bildern von traumhaften Schlachten von Porzellanfiguren und Mäusekönigen, Zuckerfeen und - im schlimmsten Fall - mit Gedanken daran, dass man in nächster Zeit wohl ebenfalls wieder vor diversen schweren Entscheidungen hinsichtlich der passenden Weihnachtsgeschenke für die Lieben stehen werde. So geht es einem eben mit der Nusskanckersuite - zumindest dann, wenn sie in die souveräne Dirigentenhand eines so genialen und die Musik intellektuell so fein durchdringenden russischen Künstlers wie Mstislav Rostropowitsch gelegt ist.

Jetzt also die Konzertpause: Noch benommen von dem einen will sich der Konzertbesucher mental auf das Nächste einstellen. Und dies gelingt nicht! Denn die einzige Verbindung, die er ziehen kann ist die zwischen Schlachten gegen Mäusekönige und solchen gegen ein unterdrücktes russisches Volk in der Spätzeit der Zarenautokratie im Russland des frühen 20. Jahrhunderts. Angewidert merkt er, dass dieser Vergleich nicht rechtens ist. In Schostakowitschs elfter Sinfonie ist keine Tschaikowsyhafte Ironie, keine Leichtigkeit. In dieser Musik geht es um die historischen Ereignisse im Januar 1905 vor dem Zarenpalast in St. Petersburg. Dort schlug das zaristische Militär einen Demonstrationszug von Arbeitern für Sozialrechte so frühzeitig und blutig nieder, dass das Land für viele Monate in großer Erregung war und ein weiterer Keim für die große Revolution gelegt war, die das alte Russland gut 10 Jahre später verschwinden ließ.

Schostakowitsch schrieb das groß angelegte Werk 1957, also aus verhältnismäßig großem zeitlichen Abstand. Seine programmatische Umsetzung der Eignisse in Orchestermusik, insbesondere das Niederschießen der Demonstranten durch die Kosaken, ist jedoch so eindringlich, und auch die verwendeten Motive aus Revolutionsliedern waren zumindest seiner Zeit noch so bekannt und eingängig, dass sich das inzwischen ferne Ereignis sehr bildgewaltig vor dem Zuhörer aufbaut. Nicht zu leugnen ist jedoch, dass das Werk auch Längen hat. Hier fällt besonders der erste Satz auf, dessen Motivik über lange Zeit nahezu stehenzubleiben scheint. Diese Wirkung ist durchaus so beabsichtigt, will der Komponist doch den geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Stillstand dieser Jahre, unter dem das russische Volk leidet und zu großen Teilen mit Lethargie reagiert, zeigen. Die Gefahr, eine solche Wirkung zu überreizen, ist jedoch virulent.

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks musizierte bewährt präzise; viele Bläser stachen darüber hinaus positiv in ihren Soli hervor. Offensichtlich hatte man durch eine sehr punktgenaue Einstudierung die drohende Gefahr der Unzugänglichkeit vieler Partien dieser Musik, gepaart mit der erklecklichen Länge des Werks, ein wenig auffangen wollen. Darunter litt ein wenig die Spontaneität des künstlerischen Ausdrucks; man ging lieber den sichereren Weg. Rostropowitsch, von seiner Herkunft her dieser Musik deutlich näher als die meisten Zuhörer, lebte in und mit der Sinfonie; wahrscheinlich waren die wahrhaft bewegenden Momente in diesem Stück letztendlich seiner streckenweise emphatischen Orchesterleitung zu verdanken. Nicht enden wollende stehende Ovationen beschlossen den Abend, der mit Tschaikowskys heiteren Tänzen so harmlos angefangen hatte.


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Programm

Peter I. Tschaikowsky
Nussknackersuite op. 71a

Dmitrij Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 11 g-moll


Symphonieorchester des
Bayerischen Rundfunks
Leitung: Mstislav Rostropowitsch







Da capo al Fine

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