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Die Widersprüche verstehen Die Kremerata Musica mit einem vielschichtigen Portrait Dmitri Schostakowitschs
Von Martin Rohr
Nicht in erster Linie als Konzertsolist, sondern vielmehr als Teil eines Kammermusikensebles präsentiert sich in dieser Spielzeit der Artist in Residence des Konzerthauses Dortmund, Gidon Kremer. Mit seiner in wechselnden Formationen auftretenden Kammermusikgruppe Kremerata Musica bestreitet er zwei von drei Residence-Konzerten. Unbestritten ist Kremer einer der bedeutensten Geiger der Gegenwart, aber mit den Musikern der Kremerata Musica hat er sehr gute Partner, die sich durchaus auf Augehöhe bewegen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der sowjetischen Musik des 20. Jahrhunderts mit den beiden herausragenden Vertretern Alfred Schnittke und - gleichsam als Bezugspunkt für alle anderen Komponisten - Dmitri Schostakowitsch. Der programmatische Einfall, das Konzert mit einem Nachspiel, dem Postludio D.S.C.H zu beginnen, erschien dabei allerdings ein wenig fragwürdig. Die Komposition für Sopran und Klaviertrio basiert auf den (nur in der deutschen Sprache sinnvollen) musikalischen Initialen Schostakowitschs D.Es.C.H, die als Personalmotiv so bedeutende Werke wie dessen achtes Streichquartett oder die zehnte Sinfonie bestimmen. Dieses Personalmotiv wird zur Grundlage eines relativ statischen, in sich gekehrten Satzes werden, in welchem die Vokalisen des Sopran mit den melodischen Fragmenten der Instrumente verschmelzen. Diese gleichsam idyllisch-verklärende Besinnung blendet die widersprüchlichen Seiten, den Sarkasmus und die Ironie Schostakowitschs vollkommen aus. Gleichzeitig wird sie ebensowenig der tiefen und aufrechten Tragik in der Musik Schostakowitschs gerecht. Bestärkt wurde dieser naiv-besinnliche Ausdruck durch die äußerst zurückhaltende Tongebung der Sopranistin Julia Korpatchewa, die sich nicht nur tonlich, sondern auch in ihrer Bühnenpräsenz hinter den Instrumentalisten zu verstecken schien. Mit dem sich ohne Pause anschließenden Klaviertrio Nr. 1 c-Moll wurde der programmatische Bogen zu den Anfängen Schostakowitschs gespannt. Das viersätzige Jugendwerk, dessen Sätze in einander übergehen und thematisch dicht verklammert sind, erscheint noch frei von und unbelastet von den Repressionen durch die stalinistische Kulturpolitik und der Behauptung gegenüber dem geforderten sowjetischen Realismus. So ist das erste Klaviertrio eher von einem romantischem Gestus als durch den sperrigen, widersprüchliche Charakter späterer Werke geprägt. Der Höhepunkt des ersten Teils war mit Sicherheit Alfred Schnittkes zweite Sonate für Violine und Klavier aus dem Jahre 1968. In diesem kantigen Werk bewegt sich Schnittke zwischen den Extremen. Auf laute, harte Klavierakkorde bzw. -cluster oder dissonante Doppelgriffe der Violine folgt gespannte Stille. Erst sehr allmählich nähern sich die beiden Instrumente einander an und finden zu gemeinsamen melodischen und klanglichen Entwicklungen, in deren Verlauf sich dann auch weiche, schwebende und transparente Charaktere ausbilden. Dabei stellt die Komposition höchste Ansprüche an die virtuosen Fähigkeiten von Pianist und Geiger und erscheint mithin als physischer Kraftakt. Am Ende verklingt das Werk in höchsten Höhen der Solovioline. Der zweite Teil des Abends lenkte den Blick noch einmal auf zwei verschiedene Stationen im kompositorischen Schaffen Dmirti Schostakowitschs. Die Klaviersonate Nr. 1 aus dem Jahre 1926 zeigt, ähnlich wie die erste Sinfonie, erstmals jenen eigenständigen und energischen Charakter, der sein gesamtes Oevre durchzieht. Das einsätzige Werk ist bestimmt durch dichte Motorik, drängend ungestüm, oft in dunklen Farben, die vor allem durch den flächenhaften Einsatz des Bassregisters und des Pedals erreicht werden. Aus diesem dichten Gewebe setzt sich ein kondukthafter Marsch ab. Es folgt ein schwebend-fragiler Mittelteil, ehe das Werk in der wütenden Motorik des Beginns und einem Atemberaubenden Cresscendo endet. Mit Andrius Zlabys hatte das Werk einen würdigen Interpreten, der sein enormes klangliches Repertoire und die hohe Virtuosität sehr gezielt und durchdacht einsetzte. Einen Blick auf das Ende des kompositorischen Schaffens Schostakowitschs erlaubten die im Jahr 1967 entstandenen Sieben Romanzen für Sopran und Klaviertrio. Der ungestüme Tatendrang, der noch die frühe Klaviersonate bestimmt hat, ist einer sensiblen, oft gebrochen wirkenden Ausdruckstiefe gewichen, die sich vor allem in den leisen Tönen offenbahrt. Die Gedichte von Alexander Blok sind sensible Bilder menschlicher Emfpfindung in all ihrer Widersprüchlichkeit. Nur äußerst selten setzt Schostakowitsch das gesamte Ensemble ein. Vielmehr schaft er durch wechselnde Besetzungen deutliche Kontraste zwischen den einzelnen Gedichten und ihrer jeweiligen Thematik. So erlaubte das erste Konzert des Artist in Residence einen aufschlussreichen Einblick in die Vielschichtigkeit der Musik Schostakowitschs und der sowjetischen Musik im 20. Jahrhundert. Das Konzerthaus Dortmund kann sich glücklich schätzen, in dieser Spielzeit nicht nur einen Artist in Residence zu haben, sondern einen ausdrucksstarken Klangkörper aus herausragenden Instrumentalistenpersönlichkeiten. In sofern ist es tatsächlich eine Schande, dass dieses Konzert so schlecht besucht war. Sollte es auch in Zukunft nicht gelingen, selbst mit solch herausragenden Konzerte eine breitere Publikumsresonanz zu erzielen, muss man sich wohl wirklich Sorgen machen! |
ProgrammValentin Silvestrov:Postludio D.S.C.H. für Sopran, Violine, Klavier und Violoncello Dmitri Schostakowitsch: Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 1 c-Moll, op. 8 Alfred Schnittke: Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 "Quasi una sonata" Dmitri Schostakowitsch: Sonate für Klavier Nr. 1 op. 12 Sieben Romanzen für Sopran und Klaviertrio op. 127 nach gedichten von Alexander Blok
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