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Kammermusiksaaal Beethovenhaus / Beethovenhalle Bonn
20. September 2003

Internationales Beethovenfest Bonn 2003


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Gelungener Start ins Beethovenfest

Von Ralf Jochen Ehresmann


Angesichts seiner 54 Einzelveranstaltungen in nur einem Monat, gönnt sich das Beethovenfest in diesem Jahr einen 3-teiligen Start, da dem Eröffnungskonzert noch ein Festakt wenige Stunden zuvor sowie ein Auftaktkonzert eine ganze Woche vorher vorangingen, einmal abgesehen vom längst traditionellen "Fest zur Eröffnung" in der Bonner Innenstadt am Folgetag

Das diesjährige Motto Beethoven und die Zweite Wiener Schule erfordert zwangsläufig eine Befassung mit der Logik des musikalischen Fortschritts und deren Implikationen, und zum Referat darüber einen so übersprießend geistreichen Autor wie Herbert Rosendorfer gewonnen zu haben, ist sicherlich der 1.Geniestreich, um dessen Beitrag herum die Streicher des Voces-Quartettes ihrerseits Berg und Beethoven gruppierten.

Bei seinem Quartett op.3, mit dem sich Alban Berg 1910 als Schüler Schönbergs verabschiedete, spürte man den Musikern aus Rumänien in ihrer Souveränität gegenüber ihrem Gegenstand die Mühen kaum mehr an, die Berg erlitt, als er noch suchend darum rang, wie der durch die Preisgabe der Tonalität gewonnene Freiraum nun strukturell zu bewältigen wäre. Die Herren des Voces-Quartettes entschieden sich für eine relativ leichte, fast schon beschwingte Spielweise und konnten damit die Akustik im Kammermusiksaal des Beethovenhauses hier günstiger nutzen als mit dem tendenziell düsteren Tonfall bei Beethovens op.95 und betrieben damit zugleich eine "Fortsetzung der Romantik mit anderen Mitteln". Zu den überlieferten Entstehungsumständen zwischen Verlagsverdruss und Liebeskummer will das freilich weniger passen, doch zeigt es uns zugleich die erhebliche Bandbreite der Interpretation auch hier - oder den geringen Wert derartiger Anekdoten.

Voraussetzung eines derartigen Zuganges ist sichere Beherrschung des Materials, eines so sperrigen zumal, und darin bot das Voces-Quartett wieder eine jener Meisterleistungen, denen es seinen Ruf verdankt. Die bemerkenswerte Präzision erlaubte zugleich einen Akzent auf der Rhythmik des Werkes, die man sonst selten so herausgearbeitet findet. Welcher Dichte eines Ausdrucks, der sich und seiner Subjektivität noch voll vertraut und die auch jene großen Kontraste zu bewältigen half, an denen diese übergangsarme Musik so reich ist, wenn plötzliche Abstürze dicht beisammen stehen zu jenem reichen Maß an Wiener Ton, das v.a. in den Violinen hindurchklingt. Als einziger Abstrich wäre eine stellenweise zu starke Ausrichtung auf den Primarius anzumerken, die die Synthese der Einzelstimmen ungünstig beeinflusste, allerdings ohne sie ganz aufzuheben. Analytisch im strengeren Sinne war diese Darbietung damit gerade nicht und hielt dagegen eine Spielform, die stattdessen auf den Gesamteindruck abzielte. Damit dürfte sie dem speziellen Charakter Alban Bergs innerhalb der Neuen Wiener Schule und speziell ihrer zentralen Troika ideal entsprochen haben.

Das überwältigende Formbewusstsein Herbert Rosendorfers, zugleich Motor seiner Dichtkunst wie seiner Musikanalyse, ließ ihn auch in seinem Festvortrag einen großen Bogen finden, der Mahlers Diktum (in Almas Version!) an Brahms, mit dem Ende der musikgeschichtlichen Entwicklung verhalte es sich wie mit den Wellen eines Baches, und welche bitte sei dessen letzte? zum Ausgang nahm und über eine Kritik der Fortschrittslogik im Allgemeinen und der Adornos im Besonderen dorthin zurückfand, wo das Gebirgswasser endlos hinabplätschert. Hier war zunächst der Fortschrittsbegriff als solcher zu befragen nach seiner Allgemeingültigkeit außerhalb der europäischen Kunst.
Dabei könnte deren Ausgangspunkt, die Höhe des erreichten Materialstands unterschiedlich zu deuten sein für die nähere Umwelt und die ferner Entwicklung. Fragt man nach letzterer, so wäre der Primat der Melodie markantes Entwicklungsmerkmal der Musik nach Bach, welche Tendenz sich zeitgleich weniger bei ihm als seinen Kollegen Händel oder Telemann beobachten ließ. Gilt für den Umbruch der Moderne die gegenteilige Entwicklungsrichtung, also ein Verständnis der Atonalität als einer Absage an die Melodie, so könnte man Mahler eher zu "vergoldeten Schlussstein" denn als Fortschrittlichen deuten, dessen Mut demnach eher darin bestanden hätte, in toto einzusetzen, was andere nur punktuell gewagt hatten.
Nach weiteren Beispielen zur Gleichzeitigkeit von Unzeitgemäßem riet Rosendorfer zur Vorsicht und nannte als ein weiteres Kriterium die Entprivatisierung der Musik von der Kapelle, in der auch Laien noch mitspielen konnten, hin zu professioneller Musik, deren Aufführung eine fachliche Ausbildung erfordert und als deren Kulmination die elektronische Musik betrachtet werden könnte, bei der allerdings nach Rosendorfer nicht nur die Aufführung sondern bereits die Ausführung der Komposition entbehrlich sei und eine schriftliche Absichtserklärung des Komponisten völlig ausreiche.
Da aber die Suche nach dem verlorenen "Kanon des Schönen" nie endet und auch das Publikum sich die Diatonik nicht nehmen lassen will, schlug er eine versöhnliche Deutung vor, dergemäß - wenn alle je erreichten Materialstände in die Höhe der Gegenwartskunst einzugehen hätten - die Postmoderne womöglich die adäquate Vollstreckung von Adornos Ansprüchen sein könnte.

Wie verwandelt präsentierte das Voces-Quartett Beethovens op.95 in einer fast schauerlichen Düsternis, in der ihre lyrische Ader weit treffender zulangte, während in rhythmisch aufgeladenen, eruptiven Stellen kleinere Unstimmigkeiten im Zusammenspiel erkennbar wurden. So wundert es kaum, dass der langsame Satz zum Zentrum des Werkes gestaltet wurde, und fast wie emotionslos versteinerten die absteigenden Sequenzen des Cello vor der Fuge den gesamten Duktus noch bis in den folgenden Ausbruch hinein.
Im 3.Satz legten die Herren Streicher ein rasantes Tempo an den Tag, mit dem sie selber nicht immer ganz mitkamen und boten also mehr assai vivace denn serioso, und auch im Hauptteil des Finalsatzes stürmte nach der kurzen Beruhigung der langsamen Einleitung das Wiegenlied davon wie ein elektrische Babywippe, deren Motor versehentlich auf überhöhte Drehzahl eingestellt worden war, und nach der gepfefferten Coda dürfte das imaginäre Kind garantiert hellwach sein.

Hatte man im Kammermusiksaal nur ein Grußwort der Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann eingeplant, so waren beim sinfonischen Abendkonzert des Oslo Philharmonic Orchestra gleich 3 Wortbeiträge vorgesehen, als deren wichtigste, hier zitierenswerte Aussage festzuhalten sei, dass auch über das Ausscheiden Franz Willnauers als Intendant hinaus, dessen letzte Beethovenfest-Runde hiermit begangen wird, die Bundesstadt Bonn ihren Zahlungsanteil ungekürzt beibehalten und nie mehr wieder auf so einen dummen Gedanken wie 1995 kommen will, als man beschloss, die Reihe der alten triennalischen Beethovenfeste abzubrechen und deren Tradition ausgerechnet in ihrem 150.Jubiläumsjahr zu beerdigen.
Nach den Grüßen der norwegischen Krone und der Landesregierung NRW übernahm Manfred Honeck das Regiment des weiteren Abends mit Coriolan, wo bereits eine erkennbare Schwerpunktsetzung auf rhythmischem Akzent und eine kräftige Dominanz des Schlagzeugs v.a. ingestalt der Pauken sich abzeichnete, womit dem Charakter des mittleren Beethoven aber sicherlich kein Unrecht getan wurde. Bis zum verblüffenden Knall ließen XXYY forsch und treibend sich animieren, und maximales Körperengagement des Dirigenten, das allein schon als Vorstellung für die Augen einigen Wert hätte, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass hier keine vorzeitig abgeklärte Altersweisheit bemüht werden sollte, vielmehr der Meister des Taktstocks dem der Feder sich anzuverwandeln trachtete - nicht ohne Berechtigung.
Rund 8 Minuten währte jener Beitrag, wo die norwegischen Gäste einen Gruß aus ihrer Heimat präsentierten und das "Sonetto di Michelangelo" op.17,1 von Fartein Valen (1887-1952) zugehör brachten. Wer den Gedichttext im Programmheft nachvollzieht, wird über den depressiven Tonfall kaum verwundert gewesen sein. Traditionsgemäß sehr cellolastig öffnete sich ein breiter Streicherteppich mit teilweise mehrfache Teilung in den höheren und höchsten Lagen, derweil die anderen Orchestergruppen kaum hörbar im Hintergrund verbleiben, und liefern gerade damit den Erweis jener Zweiten Schönheit, jener altra beltá des Schmerzes, die sich hier auf das jenseitige Licht und die Indifferenz unserer Deutung desselben bezieht. In dieser Aura verbleibt der Ton die ganze Zeit und variiert eher verschiedene Aspekte des ansonsten dominierenden Einheitsthemas. Man wird gespannt auf das umfangreiche Œvre, von dem hierzulande fast nichts bekannt ist.

Von Alban Berg ist zwar auch Vielzuvieles im hiesigen Konzertbetrieb nicht anzutreffen, doch kann man das für sein Violinkonzert nun gerade nicht sagen, ist es doch neben Wozzeck, der nicht zufällig aus desselben Meisters Feder stammt, beinahe jenes singuläre Werk der ausgeformten und anwendungsreif praktizierten Zwölftontechnik, das aus dem engen Kreis der "musikalischen Privataufführungen" hinaus- und in das breite Repertoire eindringen konnte. Und wie dies neben Berg keinem Zweiten gelang, so liegt dies sicher auch an jenem ganz speziellen, beinahe unverwechselbaren Tonfall, der niemals den Bezug auf außermusikalische Sinnfestlegung gänzlich ablegte und dabei ganz speziell das Wienerische als authentischen Heimatrahmen erkor, dem hier neben der durchdringenden Generaltendenz weiters durch ausdrückliche Zitate gehuldigt wird. Deren Bedeutungsschwere wiederum ergibt sich erst aus ihrem offenkundigen Charakter als Fremdkörper, woher sie eine Nagelprobe jeder gelungenen Interpretation abgeben.
An diese wagte sich Christian Tetzlaff heran, wenn er mit geradezu abenteuerlicher Präzision und Akkuratesse seinen Part bewältigte, die den unverzichtbaren Schmelz zwischen den Tönen kaum zulassen wollte - quasi als Stilgemeinschaft des Hanseaten mit den Skandinaviern. Hier müht sich das dauergestresste Individuum angesichts einer gesellschaftlichen Übermacht, wovon gerade der Ländler zuende des 2.Satzes berichtet.

Nach einer Festspielunwürdigen Applausstörung wurde der 3.Satz wie im Zorn darüber furios angegangen, und auch die Holzbläser wanden sich durch ihre Endlosschleifen, bevor die mühsam erkämpfte engelsgleiche Besinnung mit Beginn des 4.Satzes fulminant zertrümmert wurde. Dass hier "nichts Lebendiges" würde stehen bleiben, dafür sorgte gedecktes Blech und 4faches Schlagwerk, und erst der Choral mit der perfekt organensen Instrumentierung vermochte, dem Einhalt zu gebieten, so wirkungsvoll, dass selbst der zerlegte Ländler wiederkehren konnte.

Den organischen Zusammenhang der Eroica nicht achtend, waren die notorischen Zwischenklatscher leider eine so erhebliche Minderheit, die völlig lernunfähig und beratungsresistent aus dem erst flehentlichen, später fast drohenden Ruhegezische der gequälten Nachbarschaft keine Schlussfolgerung zu ziehen fähig war und bis zum Finale wacker an ihrer lärmenden Nerverei festhielt. Manfred Honecks Bemühungen zur Stiftung übergreifender Sinnzusammenhänge war dagegen leider machtlos, was nicht bedeutet, dass genaues Zuhören unlohnend gewesen wäre.
Erfreulich fette forti zeugten von seltenem Mut zum Eindeutigkeit, wodurch in tutti-Passagen die Stimmführerschaft der Violine 1 öfters überdeckt wird, da v.a. die Holzbläsergruppe sehr mächtig auftritt und damit leider auch zu laut dort, wo pp angebracht wäre. Gleichzeitig wurden andernorts der Stimmungsgehalt bestimmter Charakterszenen gut herausgearbeitet, so dass z.B. die Dissonanzballungen vor Ende der Durchführung ben marcato zu hören waren. Überhaupt trifft man sicher selten ein so engagiertes Dirigat an, dessen bloße Betrachtung den Zuschauenden bei der Erkenntnis des zu Erwartenden hilft.

Betont glanzarm der Trauermarsch, schlägt Honeck einen fast mahlerschen Tonfall an, so dass man auch bei dieser nicht unbekannten Musik erneut ins Staunen gerät, wie weit diese Düsternis doch über sich hinaus weist, deren gewaltiger Bogen voll unverlorner Spannung den zentralen Posauneneinsatz zuende der Durchführung grandios vorbereitet, bevor unter deren Donnerschlägen der Sargdeckel sich schließt und die Reprise einen neuen Anlauf wagen darf: erholsam weich die Wiederkehr des 2.Themas im Streicher-tutti und alles zusammen sehr ergreifend.

Dass danach kein Menuett mehr möglich sei, das nicht seine ironische Tendenz zu neuer Eigentlichkeit hervorkehrt und durch Verschiebung der Parameter sich eine Qualität der Ernsthaftigkeit erschlösse, liegt auf der Hand. Honeck lässt durch seine rasante Tempowahl Betonung nur noch der schweren Taktzeiten zu, und wer zuvor beim marcia funebre zuboden gegangen ist, wird in diesem ideellen Urscherzo auch nicht lange im Takt marschiert sein, ohne zu stolpern.
Dem bot allein das Finale eine versöhnliche Perspektive, dessen Fuge Honeck wiederum sehr zielstrebig und dabei zugleich ungehetzt nahm, so dass auch Raum blieb für das Hören weiterer Nebenstimmen wie beispielsweise das Flötensolo. Nach dem Blick in die heroischen Tiefen unserer Existenz fühlte man sich wieder entspannt an die wirkliche Welt zurückgegeben.


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(Veröffentlichung vorbehalten)

Festakt

Alban Berg
Streichquartett op.3

Festvortrag Herbert Rosendorfer
"Die letzte Welle oder
Wann endet der Fortschritt?"

Ludwig van Beethoven
Streichquartett op.95


Voces Quartett







Eröffnungskonzert

Ludwig van Beethoven
Ouverture Coriolan op.62

Fartein Valen
Sonetto di Michelangelo op.17/1 (1932)

Alban Berg
Violinkonzert

Ludwig van Beethoven
Symphonie Nr.3 Eroica op.55


Christian Tetzlaff, Violine
Oslo Philharmonic

Leitung: Manfred Honeck







Da capo al Fine

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