Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Ein glaubhaftes Zeugnis für die Friedensbedürftigkeit unserer Zeit
Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos: pr
Zum Ruhme John Eliot Gardiners Worte zu verlieren, hieße, Papier oder hier besser: Bytes zu verschwenden. Auch was dieser verdiente Sir am Samstag in Bonn zu hören gab, war ebenso wundervoll wie all das, was man sonst von ihm kennt und schätzt.
Mit der Missa solemnis stand diesmal das - außer dem konzertanten Fidelio - einzige Konzert an, das mit einem seiner großen Vermächtniswerke aufwartete, zumal die 9. Symphonie heuer nicht gegeben wird.
Schon der raunende Einstieg, noch dazu ganz ohne Ansprachen zuvor, belegte das ideale Zusammenspiel aller Beteiligten, wodurch das Heraustreten der SolistInnen aus dem Chor als Vorwegnahme dessen, was seit Wagners Tagen als Kunst des Übergangs gepriesen wird, besonders deutlich werden konnte. Dies wirkte um so deutlicher, als Gardiner sich für eine eher ungewöhnliche Raumaufteilung entschieden hatte und die SolistInnen am linken Rand hinter den Streichern postierte, gegenüber dem Orgelpositiv. Selten wirkte ein Chor - obendrein ein Kammerchor mit gerademal 2 Reihen an SängerInnen - so füllig, noch dazu angesichts eines Orchesters, das erfreulicherweise mit tutti-forte nicht geizte. Dem Chor ist ferner zu gratulieren für seine Differenzierung, schier unerhört im pp-Bereich, darin dem Orchester klar überlegen, was beispielhaft im Ausklang des Kyrie deutlich wurde.
Der Einstieg ins Gloria gelang glorios, und der Chor erwies sich als rollenfest in der großen Schlussfuge "Cum sancto spiritu", während zugleich sich auszudifferenzieren begann, dass von den SolistInnen, über deren Sinn im Rahmen der Gesamtarchitektur man durchaus streiten sollte, die Herren sich spürbar besser oratorial einfügten, derweil die Frauen etwas opernhaft blieben. Im Soloquartett der Coda präsentierten sie sich dennoch gut zusammenstimmig, wo Beethoven scheinbar eine Referenz an J.S.Bach unterbringen wollte, bevor er ihn anschließend an die Wand singt, was hier sogar eine Choristin zum vorzeitigen Aufgeben zwang.
Im Credo scheint Beethoven Selbstvergewisserung betrieben zu haben; was an realem Glauben noch fehlte, schreit sie förmlich herbei: die Musik donnert über die Reste des Zweifels einfach hinweg. Nach diesem Einsatz geriet die Fleischwerdung des Gottes, für Beethoven zweifellos die wichtigste Einzelaussage des gesamten Textes, als ein Wunder von Zartheit, wozu die Flöte ihrerseits sehr pastoral beitrug.
Nach der vorigen Dröhnung war der geflüsterte Auftakt des Sanctus, allenthalben ein Ort für große Chornummern, ein heilsam-befremdlicher Kontrast; erst die Fülle des Himmels korreliert der Fülle des Chores - für kurz. Immerhin durften die SolistInnen hier - im kleinen Violinkonzert - deutlich länger singen und konnten so einen eigenen Part entwickeln, der hier genug Eigengewicht gewann, um mit dem Chor auf Augenhöhe kommunizieren zu können, sofern man überhaupt von Kommunikation dort reden will, wo 2 Gruppen Elemente einer festen Textgrundlage sich hin- und herwerfen.
Das Agnus Dei transportierte das verwunderliche Ende als eine bekannte und dennoch überraschende erschaudernd an das Publikum, wenn nach den versetzten Einsätzen der Mitwirkenden bis zum "miserere" ein Klageton sich aufbaut, dessen Wirkungsmacht man sich schwerlich entziehen konnte und in dessen Gefolge das Wirrwarr der Schlussfuge die Friedensbedürftigkeit unserer Existenz glaubhaft unterstreicht.
Der Chor war sicher der unangefochtene Hauptdarsteller dieses Abends, soviel Homogenität, Präzision bei den Einsätzen und Textverständlichkeit hört man selten. Mit sowenig Leuten eine solche Klangpracht zu entfalten, setzt eine wahre Meisterschaft voraus.
Finaler Dank an den Dirigenten, der es vermochte, durch wenige wirkmächtige Gesten dem beifallsanheischigen Publikum zu bedeuten, es möge eine halbe Minute innehalten, bevor es, einmal losgelassen, in tosenden Beifall unter Bravorufen und standing ovations ausbrach.
|
- Fine -