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24. 1. 2002
Fruchthalle Kaiserslautern


Mark André
"AB II" (1996-97)
für Kontrabassklarinette, zwei Schlagzeuger
Violoncello, Klavier und Live-Elektronik

Luigi Nono
"A Pierre. Dell` azzurro silenzio, inquietum" (1985)
für Kontrabassflöte, Kontrabassklarintte
und Live-Elektronik

Mark André "Un-Fini III" (1998)
für Klavier solo

Mark André
"...ALS ... II" (2000)
für Kontrabassklarinette Violoncello,
Klavier und Live-Elektronik

André Richard
"Glidif" (Version 1991)
a sonar e cantar. a Luigi Nono in memoriam
für Bass-/Kontrabassklarinette,
zwei Kontrabässe und Live-Elektronik


Ensemble SurPlus
Leitung: James Avery

Elektronische Realisation:
Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung
des Südwestrundfunks Freibunrg i. Br.
Leitung und Klangregie: André Richard

Große Musik im Netz der Ideen
Spannendes Portraitkonzert mit Mark André in Kaiserslautern

Von Sebastian Hanusa



Die Probleme der Beschreibung sind die üblichen: Angewiesen auf die Traditions-, auch die Schulzusammenhänge, abhängig von deren Idiom und dem der Wortführer, droht die besprochene Musik im Schatten einer unverdienten Epigonalität zu verschwinden. Nur sind die fremden Worte naheliegend wie notwendig, sich schneidende Beziehungslinien ermöglichen erst die Darstellung: André Richard sitzt am Mischpult und ist gleichzeitig künstlerischer Leiter des Experimetalstudios der Heinrich-Strobel-Stiftung in Freiburg, zudem ehemaliger Assistent Nonos und gegenwärtiger Sachwalter von dessen Spätwerk. Die Entwicklung des späten Nono steht in Abhängigkeit von der "Erfindung" der Live-Elektronik in Freiburg unter Hans Peter Haller, jener musikalischen Idee und technischen Ermöglichung, Instrumentalklänge im Moment der Entstehung elektronisch zu erweitern. Hinzu kommt Nonos, auch Lachenmanns Ausprägung jener Idee von Musik, wonach die Parameter Klang und Form nicht mehr in strikter Distinktion analysierbar sind, sondern gerade die Fluktuation zwischen Klang und Form einen musikalischen Verlauf konstituiert.

Über ein reines Komponisten-Portrait hinaus repräsentierte die Programmgestaltung des Konzerts in der Fruchthalle mit dem ehemaligen Lachenmann-Schüler Mark André genannte Beziehungen. Neben den zwei Stücken Andrés für Instrumente und Live-Elektronik, die in Zusammenarbeit mit dem Freiburger Studio komponiert hat und die in Kaiserslautern von den Technikern des Experimental-Studios realisiert wurden, erklangen je eine Komposition von Luigi Nono und André Richard. Letzterer leitete vom Mischpult aus die Installation der Elektronik. Während die Fülle der Bezüge genanntes Verblassen im Epigonalen gerade des jüngsten der drei Komponisten befürchten läßt, waren die Eigenarten der einzelnen Komponisten und Werke stark genug, die ihre jeweilige Eigenständigkeit deutlich werden zu lassen.

Nonos Stück A Pierre. Dell` azzurro silenzio, inquietum für Kontrabassflöte, Kontrabaßklarinette und Live-Elektronik war die ruhigste Kompositions des Abends. Die beiden Bläser erzeugen mit langen, sehr leisen Liegetönen ein Kontinuum, welches durch den Einsatz neuer Spieltechniken und das Spiel in hohen, für die Instrumenten ungewöhnlichen Registern einen durchscheinenden, fragilen Charakter erhält. Ein Strömen der Atemluft, welches stetig droht, den Bereich der Tongebung zu verlassen, dupliziert sich in der Abschattung durch die Live-Elektronik.

Gleichfalls programmatisch für das ganze Konzert wird diese auf besondere Weise behandelt. Sie ist nicht eigenständiges Instrumentarium, welches im Gegensatz zu den traditionellen Instrumenten Möglichkeiten einer neuen und gänzlich anderen Klangerzeugung bietet. Vielmehr wird sie, wie Richard es als das Anliegen des Freiburger Studios insgesamt formuliert hat, als die Möglichkeit verstanden, eine Erweiterung von Instrumentarium und instrumentalen Spieltechniken zu verwirklichen. Der instrumentale Klang wird in der Zeit verlängert, mittels Filtern und Ringmodulatoren auf die in ihm substanziell angelegten Möglichkeiten einer Transformation hin untersucht und bearbeitet wiedergegeben. Somit wird eine organische Ausweitung und Differenzierung des Instrumentalklangs ermöglicht.

Hinzu kommt als Besonderheit die teilweise Loslösung des Instrumentalklangs von einer bestimmten Raumstelle. Wenn auch der räumliche Ausgangspunkt mit dem spielenden Instrumentalisten klar bleibt, so bedeutet elektronische Fortsetzung, Transformation auch die Befreiung der bearbeiteten Klänge von dieser räumlichen Orientierung. Durch die Wiedergabe über eine Vielzahl von Raumlautsprechern ist der Klang für den Rezipienten nicht mehr mit einem bestimmten Ort gebunden. Er kommt nicht "von vorne", man findet sich aufgrund der mittels zahlreicher Raumlautsprecher ermöglichten Mobilität des Klanges in dessen imaginären Innen des Klanges wieder. Die Musik von Richard und André baut auf einer ähnlichen Konstellation von Instrument und Elektronik auf. In scharfem Gegensatz jedoch zu Nonos Stück stehen die Klänge von Richards Glidif. Mit zwei Kontrabässen und Bass-/Kontrabassklarinette besetzt dient dieses Instrumenatrium hier zur Produktion geräuschhafter, ruppig-aggressiver Klänge. Die verwendeten Klänge, aber auch der Formverlauf sind weniger von einer - allmählichen Wandlungen unterworfenen - Kontinuität, als durch Einschnitte und scharfe Kontraste geprägt.

Ein starkes perkussives Moment findet sich auch in Andrés AB II: Das Violoncello wird hier ähnlich den Kontrabässen bei Richard verwandt, wenn einerseits der ganze Katalog zeitgenössischer Spieltechniken zum Einsatz kommt - während sich gerade die tiefen Register wegen ihrer reichen Obertonspektren gut für elektronische Weiterverarbeitung eignen. Andererseits werden die Streicher aber auch in die Nähe des Schlagzeugs gerückt. Das kratzige, fast tonlose Spiel mit zuviel Bogendruck wird ebenso üppig verwandt, wie Battuto-Spiel und Bartok-Pizzikati. Hinzu kommt in Ab II ebenfalls eine Kontrabassklarinette, sowie zwei Schlagzeuger und eine Pianistin. Der erste Schlagzeuger spielt, wenn man vom Cymbalon einmal absieht, auf relativ gewöhnlichen Perkussions-Instrumenten. Der zweite bespielt indes das Innere des tastenseitig von der Pianistin bedienten Flügels, der hauptsächlich zur Produktion eines reichen Spektrums verschiedener perkussiver Klänge Verwendung findet. Zudem ist er als Midi-Klavier präpariert, so dass eine weitere Schicht an – diesmal elektronischen – Tonimpulsen mit ihm hervorgebracht werden kann.

Ein sehr ähnliches Instrumentarium findet auch in ...ALS... II Verwendung, wenngleich dieses Stück weitaus ruhiger ist, in seiner endlos gedehnten kanonischen Anlage introvertiert und zurückgenommen wirkt. Was beiden Stücken von André eignet, ist die Stimmigkeit von formaler Anlage und verwendetem Material. Und wenn auch die Vorstellung einer Fluktuation zwischen klanglicher Physis und formalem Konzept eine maßgebliche Konzeption ist, während sich das kompositorische Handeln durch Spektralanalysen und elektronische Klänge entspannen konnte, so ist das Gewinnen formaler Modelle aus oben Genanntem noch lange nicht Garant für deren Gelingen. Hier unmittelbar als schlüssig erfahrbare Lösungen zu finden, dieses zudem in einen Horizont fundierter philosophischer Bildung einzubetten, ist dem kompositorischen Können André zu verdanken. Dass die Arbeit im Studio biographisch gesehen eine wichtige Rolle für André gespielt haben mag, könnte man daran ablesen, dass das dritte Stück im Programm - das Klavierstück UN-FINI III - neben den anderen Werken eher blass geblieben ist. Das hochvirtuose Stück, von Eun Ju Kim bravourös interpretiert, war eine handwerklich überzeugende Arbeit im Stil der Klaviermusik Giacinto Scelsis, konnte aber nicht die musikalische Stringenz und Eigenständigkeit der anderen Arbeiten vorweisen.

Die Interpetation durch die Musiker des Ensembles SurPlus aus Freiburg bewegte sich durchweg auf hohem Niveau. Die einzelnen Instrumentalisten wirkten fast schlafwandlerisch sicher im Umgang mit dem Idiom, den stilistischen Besonderheiten, aber auch mit den teilweise extremen technischen Anforderungen der gespielten Kompositionen. Lediglich in Andrés "...ALS... II" schien es, als hätte die Tempowahl von Dirigent James Avery noch eine Idee ruhiger sein können.

Insgesamt war es ein rundum gelungener Abend, in dem man mit André einem der interessantesten Komponisten seiner Generation begegnen konnte. Besonders spannend war es, überdies einen Einblick in die Arbeit und die Ästhetik des Freiburger Experimental-Studios erleben zu können und hierdurch den Komponisten in einen ästhetischen Kontext gestellt zu sehen, der mit Sicherheit einer der wirkungsmächtigsten und interessantesten der letzten zwanzig Jahre ist. Dass dieses in dem in kultureller Hinsicht eher provinziellen Kaiserslautern stattfinden konnte, ist ein großer Verdienst der Veranstalter, während der verhältnismäßig große Erfolg des Konzertes erwartungsfroh in die Zukunft blicken läßt.


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Da capo al Fine

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