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19.12.2001
Stadttheater Dortmund


Franz Schubert
Symphonie Nr. 7 h-Moll, D 759
"Unvollendete"

Peter Iljitsch Tschaikowsky
Symphonie Nr. 6 h-Moll, op. 74
"Pathétique"

Philharmonisches Orchester Dortmund
Hans Wallat, Dirigent

Mehr Mut zum Risiko!

Das vierte Philharmonischen Konzert in Dortmund mit Schubert und Tschaikowsky

Von Martin Rohr

Nach den Länderschwerpunkten in den ersten drei Philharmonischen Konzerten in Dortmund sah das Jahresprogramm für das vierte Konzert der Spielzeit den programmatischen Scherpunkt "Ballett" vor: Mit Maurice Ravels Ballettsuite Nr. 2 "Daphnis et Chloé" und Béla Bartóks Konzertsuite aus dem Märchenballett "Der holzgeschnitzte Prinz" wären sich zwei sehr unterschiedliche Komponisten auf gleichem Metier begegnet. Leider konnte dieses vorgesehene Programm aufgrund der Absage des Dirigenten Jiri Kout nicht durchgeführt werden.

Als Ersatz bot der kommissarische Generalmusikdirektor Hans Wallat vor ausverkauftem Haus ein symphonischen Programm, dass sich gegenüber dem ursprünglich geplanten auf den ersten Blick als tiefer Griff ins gängige Repertoire ausnimmt. Immerhin gehören Franz Schuberts Symphonie Nr. 7 in h-Moll, die "Unvollendete" und Peter Iljitsch Tschaikowskys Symphonie Nr. 6 in h-Moll "Pathétique" jeweils zu dem Populärsten, was ihre Komponisten zu bieten haben.
Allerdings ergeben sich in dieser Begegnung bemerkenswerte Bezüge, die sich keineswegs in der gleichen Tonart oder verwandten melodischen Gesten am Beginn der Symphonien erschöpfen. Aus beiden Werken spricht eine Grundhaltung, nach der der Komponist sein subjektives Erleben und Geschick ohne Rückhalt preisgibt.

Anders als der übergroße Zeitgenosse Beethoven, der in seinen Symphonien als trotziger Beherrscher seines Schicksals auftritt, offenbart sich Franz Schubert in seinem zweisätzigen Symphonie-Torso aus dem Jahre 1822 als Ergebener in den persönlichen Schmerz. Beide Sätze gewinnen ihre Spannung aus einer weitgespannten solistischen Melodik über einem dicht bewegten harmonischen Fundament. Immer wieder jedoch wird der melodische Bogen durch jähe Einschnitte wie den Horn-Akkord im Hauptthema des ersten Satzes Allegro moderato unterborchen.
Hans Wallat ist diese Musik mit großer Disziplin und handwerklicher Sorgfalt angegangen. In dem Bemühen um kultivierten Orchesterklang ging allerdings oft die emotionale Dimension der Musik verloren. Allzu abgeklärt und sauber war die Phrasierung der Themen im ersten Satz. Im zweiten Satz hätte ich mir mehr Mut zum Risiko auch und gerade in den leisen Streicherpassagen wie der Überleitung zum Klarinetten-Thema gewünscht. Der Klang war zu vordergründig, so dass ein wirklicher Kontrast zu den großen Tutti-Ausbrüchen nicht zur Geltung kam. Auch die an sich expressiven Holzbläser schienen wie an die Kette gelegt. Selten gestattete Wallat ihnen, sich in solistischem Glanz hervorzutun und damit der sängerischen Symphonie des Liedkomponisten Schubert gerecht zu werden.

Aus Tschaikowskys letzter Symphonie, geschrieben 1893 und uraufgeführt wenige Tage vor dem Tod des Komponisten, spricht ein erschüttertes Subjekt, das sich dem Hörer schonungslos und ohne Rückhalt preisgibt. Mag eine direkte programmatische Anlage, wie sie der ursprünglich geplante Titel "Programm-Symphonie" nahelegt, auch vom Komponisten verworfen worden sein, so erlebt der Hörer doch deutlich Stationen eines persönlichen Schicksals, in dem tiefer Schmerz, wütende Entschlossenheit, besinnliche Eleganz und euphorische Begeisterung nebeneinander stehen.
Immer jedoch - auch in den strahlendsten Momenten des grandiosen Triumphmarsches Allegro molto vivace - ist jener unerträgliche Schmerz spürbar, der im Finale Adagio lamentoso hervorbricht.

Offensichtlich widerspricht es den ästhetischen Idealen und der künstlerischen Grundhaltung Hans Wallats, sich so ohne Sicherheit zu offenbaren. Seine Auffassung der "Pathétique" war wie sein Dirigat sehr kultiviert. Der russische Überschwang eines Yevgeny Mravinsky, der auch vor rohen Klängen nicht zurückschreckt, war zu keinem Zeitpunkt zu befürchten (oder zu erhoffen?). Ebensowenig konnte man aber auch die Klangtiefe und Innigkeit eines Sergiu Celibidache erwarten. So oder so kamen leider die große Kontraste der Empfindungen wie zwischen drittem Satz und Finale nicht zur Geltung.
Auch solche Änderungen der Instrumentation, wie die der Bassklarinette, die das Fagott-Solo vor der Durchführung des 1. Satzes übernahm, zeugen von dem Bedürfnis nach Spielkultur und Sicherheit - nicht jedoch von rückhaltloser Preisgabe ohne Netz und doppelten Boden.

Aus der Leistung des Orchesters besonders hervorzuheben ist die erste Flöte, die sich im Bläsersatz auch in tiefer Lage als führende Stimme behaupten konnte, so zu Beginn des Finales im Unisono mit den Fagotten. In dieser Satzgestaltung lag auch die Stärke von Hans Wallat, die er in der anschließenden Zugabe, dem Vorspiel zu Engelbert Humperdincks Märchenoper "Hänsel und Gretel" voll zu Geltung brachte.

Fazit: Handwerklich saubere Arbeit eines Orchesters und kultiviertes Spiel kann nicht alles sein. Man wünscht sich für die Zukunft weniger Sicherheit und mehr Mut zum Risiko - auch auf die Gefahr des Scheiterns!


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