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8.11.2001
Harenberg-City-Center Dortmund
Festival "The Next Generation"


Leos Janácek
Im Nebel

Johannes Brahms
Sonate fis-Moll op. 2

Ludwig van Beethoven
Sonate Nr. 32 c-Moll op. 111


Lars Vogt, Klavier

Die Illusion des sich entwickelnden Klangs
Mit Lars Vogt erlebt das Festival "The Next Generation" einen Höhepunkt

Von Martin Rohr


"Ich mag nicht lügen: Beethovens Werke haben mich niemals begeistert, niemals in die Welt der Ekstase versetzt. Allzubald hatte ich sie bis zum Grund durchmessen. Um so eher fielen sie aber auf den Grund meiner Seele". Selten hat sich ein Komponist so deutlich vom übergroßen Leitstern Beethoven abgegrenzt wie der mährische Komponist Leos Janácek. In seinem Bestreben, die slawische Musikkultur aus dem Geiste der mährischen Folklore neu zu beleben, fand er sein deutlichstes Gegenbild in dem musikalischen Repräsentanten Habsburger Monarchie, die Musikmetropole Wien und deren Komponisten.
Spricht aus der Äußerung über Beethoven weniger eine Geringschätzung des kompositorischen Ranges des Deutschen als vielmehr die bewusste Betonung eines eigenen Weges, so erscheint es ein spannendes Experiment, diese beiden musikalischen Individualisten unmittelbar miteinander zu konfrontieren.
Diese Begegnung wagte Lars Vogt beim Festival "The Next Generation - Künstler für das 21. Jahrhundert" im Dortmunder Harenberg-City-Center.

Janáceks Klavierzyklus Im Nebel aus dem Jahre 1912 verrät weit weniger als andere Kammermusikwerke dessen besondere Vorliebe für dramatische Genres. Dennoch spricht es mit seiner eigenwilligen Harmonik, der modalen Melodik und losgelöst von traditionellen westlichen Formkonzepten eine sehr persönliche Sprache. In vier kurzen Charakterstücken entfaltet Janácek ein dunkles, schwebendes Stimmungs-Panorama, dem auch sentimentale Töne keinesfalls fremd sind. Zu jedem Zeitpunkt jedoch drohen abrupte Brüche.
Mit seiner sensiblen Interpretation demonstrierte Lars Vogt eindrucksvoll sein pianistisches Credo: Das Klavier nicht als Schlag- oder Rhythmusinstrument zu verstehen, sondern die Illusion der Linie, die Illusion des Crescendos auf einem einzelnen Ton zu realisieren. Mit großer Sicherheit vermochte er jede kleinste harmonische Wendung offenzulegen und der improvisatorischen und impulsiven Anlage der Stücke nachzuspüren. Keine fertige Interpretation, vielmehr ein Erklingen aus dem Augenblick war das Resultat.

Mit der Sonate fis-Moll op. 2 von Johannes Brahms stand dem Janácek-Zyklus ein Werk gegenüber, das gegensätzlicher kaum sein konnte. Die viersätzige Sonate des erst 19-jährigen Komponisten zeugt von einer tiefen Auseinandersetzung mit der Gattung der Sonate - einer Gattung, die dem Dramatiker Janácek in seiner Entwicklung immer fremder wurde. Statt zögerndem Sinnieren begegnet dem Zuhörer im Kopfsatz Allegro non troppo ma energico unbändiger Tatendrang - von Lars Vogt eindrucksvoll in Klang umgesetzt. Der Klaviersatz nimmt dabei viele Jahre vor dem Deutschen Requiem oder den Symphonien den für Brahms so charakteristischen Orchersterklang in seiner Fülle und Differenziertheit vorweg.
Im zweiten Satz Andante con espressione begibt sich Brahms auch harmonisch auf Neuland, indem er dem Hörer bis zum Schluss eine sichere Orientierung verweigert. Auch das Scherzo mit seinem außergewöhnlich gewichtigen Trio und das Finale mit seiner expressiven Einleitung zeigen Brahms als Komponisten, der in großen Formen zu denken vermag.
Bei aller formalen Komplexität der Komposition war es der Pianist Lars Vogt, der es dem Hörer ermöglichte, die große Zusammenhänge nicht aus dem Auge zu verlieren. Selbst vereinzelte seltsam spannungslose Sequenzen im Finale konnten diesen Eindruck nicht trüben, sondern fügten sich in eine Interpretation ein, die auch in der Unbestimmtheit immer entschieden war.

Auch in Ludwig van Beethovens letzter Klaviersonate Sonate Nr. 32 c-Moll op. 111 findet sich ein klares Gegenbild zu den Klavierstücken Janáceks. In ihr hat sich die Klaviersonate nicht nur formal sondern auch in ihrer Ausdrucksvielfalt zu einer kaum zu überbietenden Komplexität gesteigert. Und dennoch kann man den Eindruck gewinnen, dass sich in diesem Werk vieles von dem Ausdruck findet, der einem so emotionalen und impulsiven Künstler wie Leos Janácek entspricht. Insofern scheint der Kontrast zum Zyklus Im Nebel bei allen formalen Unterschieden weit geringer als noch innerhalb des ersten Teils des Abends.
Der erste Satz ist geprägt vom markanten Unisono des Hauptthemas und einer vorwärtstreibenden Motorik, die nur in wenigen Momenten - dort aber um so eindringlicher - unterbrochen wird. Raum für große kantable Gedanken bleibt nicht in diesem energischen Treiben. Entsprechend kompromisslos zeigte sich Lars Vogt in diesem Satz. Bis zur Trotzigkeit insistierte er auf dem Kopfmotiv, das in unzähligen Sequenzen den Satz durchzieht. Doch bereits in dem seltsam verklärten Auslaufen des Satzes deutet sich an, dass dies nicht der beherrschende Ausdruck der gesamten Sonate sein kann.
Mit der folgenden Arietta: Adagio molto semplice e cantabile verlässt Beethoven - und mit ihm der Pianist Lars Vogt - die konkrete Sphäre, die noch den ersten Satz beherrscht hat, vollkommen. Aus der einfachen Arietta mit ihren sehr dunklen Begleitakkorden entfaltet sich eine nicht enden wollende Entwicklung, deren Zenit der größte Ausbruch der Verzweiflung ist, an deren Ende aber jeglicher Schmerz überwunden scheint.

Diesem noch etwas hinzuzufügen, schien auch Lars Vogt nach eigenem Bekunden kaum noch möglich - am ehesten jedoch mit Leos Janácek! Die Zugabe Die Friedeker Muttergottes aus dem Klavierzyklus Auf verwachsenem Pfade spannte den Bogen zurück in einem Konzert, das bei all seinen Kontrasten doch erstaunliche Parallelen offenlegte. Und dies vor allem dank des intensiven und verständnisvollen Durchdringens der Kompositionen durch einen außergewönlichen Musiker.




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