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Orgelkonzert mit Daniel Roth in der Immanuelskirche

Wuppertal-Barmen/ Sa, 15.3.1997

Der 1942 geborene elsässische Organist und Komponist Daniel Roth, als Nachfolger von Widor und Dupré an St. Sulpice in Paris tätig, steht in direkter Tradition der französischen Orgelsinfonik des 19. und 20. Jahrhunderts. Daß diese wiederum in einem erstaunlich hohem Maß von der Kontrapunktik Johann Sebastian Bachs geprägt ist, sollte ein Abend in der Immanuelskirche zeigen, der als Abschluß einer Reihe mit dem Titel "Neue Bach-Tage Wuppertal 1997" angesetzt war.

Kaum ein anderer als Daniel Roth konnte also dazu berufen sein, die "Auswirkungen des Bachschen Orgelwerkes auf die französische Orgelmusik des 19. und 20. Jahrhunderts" (so der programmatische Titel des Abends) musikalisch darzustellen. Eine solche Beziehung stellt natürlich nur einen kleinen Ausschnitt aus den vielfältigen gegenseitigen Einflüssen zwischen der französischen und der deutschen Musikwelt dar, gerade deshalb war das Programm des Abends aber in besonderem Maße dazu angetan, neben dem ästhetischen Genuß von Roths überwältigendem Orgelspiel eine musikhistorische Entwicklungslinie wie selbstverständlich nachzuvollziehen.

Die Umsetzung des Programms erfolgte mittels einer fortlaufenden Gegenüberstellung Bachscher und französischer Werke, wobei letztere eine stilistisch aufsteigende Linie hin zur Moderne verfolgten. Roth begann mit einer Fantaisie et Fugue in B-Dur des hierzulande so gut wie unbekannten Orgel- und Klavierkomponisten Alexandre Pierre Francois Boëly. Er gilt in Frankreich als ein Bach-"Missionar" der ersten Zeit; sein Werk erfüllt diesen Zweck in geradezu programmatischer Weise. Und obwohl allein die zeitliche Nähe zu der Musik des Thomaskantors noch relativ groß ist - Boëly schrieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts -, zeigt seine Musik doch sehr eigenständige Züge, die durch die auf Klangwirkung bedachte Interpretation Roths noch verstärkt wurde.

Im folgenden wechselten sich die Partita BWV 768 und das Choralvorspiel BWV 653 b mit Werken der französischen Orgelsinfoniker ab: es erklang das Prélude aus der 3. Sinfonie von Charles-Marie Widor sowie ein Choralvorspiel über "Was Gott tut, das ist wohlgetan" von Alexandre Guilmant. Neben der klanglichen Vielfalt, besonders wenn sie vom Interpreten in kontrastiver Weise angewandt wurde, beeindruckte vor allem auch Roths erstaunliche Pedaltechnik, die er in dem Bachschen Choralvorspiel gar zweistimmig zur Geltung bringen konnte.

Zum Höhepunkt des Abends entwickelte sich die Gegenüberstellung zweier Fugenkompositionen, dem Prélude et Fugue f-moll op. 7 Nr. 2 von Marcel Dupré sowie Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 von Johann Sebastian Bach, deren virtuose Läufe wie von Zauberhand bewegt durch den akustisch trockenen Raum hallten. Roth zeigte durch seine musikalische Deutung die bei allem zeitlichen und mentalitätsmäßigen Abstand der beiden Kompositionen frappante Nähe, die weit über die kompositorische Form hinausgeht. Eine solche -andererseits sicher auch bestreitbare - Nähe herauszustellen gelang ihm zu einem nicht unwesentlichen Teil dadurch, daß er die Musik der Jahre um 1710 weit ins 20. Jahrhundert hineinholte.

Das organische Ineinanderfließen von orgelsinfonischer Idee und strenger Kontrapunktik wurde in dem Konzert deutlich; selbst in dem Werk des 1971 verstorbenen Dupré blieb der Geist Bachs immer präsent. In ähnlicher Weise gilt dies für die Zugabe des Konzerts, eine Improvisation über „O Haupt voll Blut und Wunden“, verquickt mit dem Osterchoral „Christ ist erstanden“, die in ihrem Duktus den Geist des Abends beschloß, indem sie an die Gegenwart der Musik heranführte, und die den Organisten, der - ganz in französischer Tradition - in hohem Maße dem improvisatorischen Schaffen verpflichtet ist, als einen mehr als würdigen Nachfolger des großen Dupré auszeichnete.

Nicht nur in Roths Improvisation, sondern auch beim Literaturspiel war deutlich spürbar, daß die Schuke-Orgel der Immanuelskirche trotz ihrer Klangkraft den interpretatorischen Ansprüchen eines an französische Kathedralenorgeln gewöhnten Organisten nicht gerecht wurde. Dazu kommt noch der bekanntermaßen trockene Raumklang der Kirche, der den Klängen der Orgelsinfonik, insbesondere in ihrer modernen Ausprägung, nicht angemessen ist. Leider führten darüber hinaus zeitweilige Verständigungsprobleme mit dem Registranten zu teils unschönen musikalischen Verzögerungen, die nicht im Sinne des Interpreten waren.

Trotz dieser gewissermaßen technischen Mängel geriet der Abend zu einer mehr als beeindruckenden Darstellung französischer Kompositions- , Interpretations- und Improvisationskunst auf deutschem Boden. Es ist sehr zu hoffen, daß es nicht bei dieser einen Veranstaltung solchen Ranges bleibt, und auch, daß das Publikum dieser beeindruckenden Musik noch wächst.

Ingo Schüttke

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