Online Klassik - Rezensionen
Homepage zurück e-mail Impressum



Mittwoch, 28.7.1999, 20.00 Uhr, Bochum

Olli Mustonen, Klavier

Ein musikalischer Gipfelstürmer:

Olli Mustonen in Bochum

Von Markus Bruderreck

Es ist der 28. Juli, ein warmer Sommerabend. Die Gäste des Klavier-Festivals Ruhr 99 betreten den Saal der Stadtpark-Gastronomie uns schnallen sich gleichsam die Wanderschuhe an. Sogleich tritt der Bergführer auf: Olli Mustonen. Er nimmt die Zuhörer mit auf eine Bergtour zu einsamen Gipfeln der Musik: Den Präludien und Fugen von Johann Sebastian Bach und Dmitri Schostakowitsch. Der Weg dorthin ist hart und steinig, der Grat schmal, der Pfad gewunden. Doch Mustonen führt erfolgreich durch zuweilen dornenreiches, konrapunktisches Gestrüpp zu musikalischen Höhen, die nur wenige Pianisten zu erreichen in der Lage sind... Genug der Metaphorik, hier die rohen Fakten: Olli Mustonen hat 12 Präludien und Fugen aus dem ersten Teil des "Wohltemperierten Klaviers" BWV 846-869 und 12 Präludien und Fugen aus Schostakowitschs opus 87 zu einer eigenwilligen, aber stringend aufgebauten Folge zusammengestellt. Mustonen durchschreitet den Quitenzirkel wie Bach und Schostakowitsch auch, mischt dabei aber die einzelnen Werke nach einem bestimmten System. Der Klavierabend ist durch eine Pause geteilt, ein jeder Konzertteil enthhält wiederum zwei Teile, die folgendermaßen aufgebaut sind: Drei Präludien und Fugen von Schostakowitsch werden durch drei Werke Bachs umrahmt, vorne eines, hinten zwei. Die Abfolge der Werke folgt vornehmlich keiner dramatischen, sondern einer logischen Idee, denn, wie Mustonen im - übrigens hervorragenden und ausfühlichen - Programmheft sagt, "einzelne Stücke nur aus rein geschmacklichen Gründen aus den beiden Zyklen herauszunehmen, wäre unbefriedigend gewesen". Mustonen hat sich hier als "Komponist" (im wahrsten Sinne des Wortes) betätigt und ein neues Werk mit bezwingender Konzeption geschaffen.

Hat man zuweilen das "Wohltemperierte Klavier" Bachs als das "Alte Testament" der Musik bezeichnet, muß man wohl Schostakowitschs opus 87 als eines der "Neuen Testamente" ansehen. Diese Werke sind so gut wie unbekannt, stehen aber den Stücken Bachs in musikalischem Reichtum in nichts nach. Gerade deshalb vertragen sich Bach und Schostakowitsch gut. Schostakowitschs opus 87 ist zweifellos ein Schatz, der von vielen Pianisten erst noch gehoben werden muß. Wer das nicht ganz glauben mag, der hört am besten Mustonens Klavierspiel zu, denn er ist einer der besten Anwälte dieser Musik. Vielleicht mag man einige Probleme mit seiner eigenwilligen Akzentuierung haben. Er neigt zu starken Konturen in musikalischen Figurationen und Motiven, starken dynamischen Akzenten auf engem Raum, spielt vielfach in einem Staccato-, Marcato- oder -Martellatostil, der den Freund des weichen Anschlags verschreckt. Hier geht auch mal ein Ton verloren, klingt nicht,. Im Eifer des Gefechts trifft Mustonen dann auch mal nicht die rechte Taste. Aber das sind wirklich technische Marginalien, betrachtet man die musikalische Seite seines Spiels: Kaum je war Klaviermusik so spannend. Jedes Einzelwerk gestaltet Mustonen zu einem individuellen Drama und verleiht ihm einen ganz eigenen Charakter. Er meißelt hochdifferenziert und virtuos Tongirlanden wie bei Bachs BWV 850 oder Schostakowitschs Nr. 3, zeichnet gewaltige und in sich hochdifferenzierte Spannungsbögen, wie zum Beispiel in der Fuge Nr. 4 von Schostakowitsch oder dem großen Finale, der turmhoch gestapelten Fuge aus BWV 869, die als monströses Finale nicht zufällig am Schluß des Abends steht. Bewundernswert auch, wie Mustonen bei der Fuge Nr. 16 von Schostakowitsch, die mit einem extrem weit gespannten Thema in sehr langsamen Tempo ausgestattet ist, nicht die Übersicht verliert. Interessant zu sehen ist sein Mitdirigieren, die weit ausholenden Handbewegungen: Hier ist jemand, der wirklich durchfühlt, was er gerade spielt. Diese Passion überträgt sich auch auf die Zuhörer, die am Ende des Abends erschöpft und begeistert sind.

Wer diesen Abend in Bochum verpaßt hat, kann immer noch auf die Doppel-CD zurückgreifen, die Mustonen von seiner Bergtour aufgenommen hat. Aber eine Aufnahme kann ja, wie man weiß, gleichsam nur ein schön illustrierter akustischer Bildband der Bergwelten von Bach und Schostakowitsch sein gegenüber dem natürlichen Live-Eindruck eines Konzerts. Bergführer Mustonen ist jedenfalls in Bochum am Ende des Konzerts die Simultanbesteigung dieser beiden einsamen Gipfel gelungen. Und er darf sich getrost zu anderen Größen wie Barenboim, Ashkenazy oder Pogorelich gesellen.




impressum zurück e-mail Impressum
©1999 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de