Am 29. und 30. Juni gab es im Herkulessaal der Münchner Residenz beim 4. Abokonzert des BR-Symphonieorchesters mancherlei Ungewohntes zu belauschen. Julia Fischers Interpretation des Sibeliusschen Violinkonzerts geriet zum fulminanten Auftakt und unumstrittenen Höhepunkt des Abends: Technisch absolut versiert, wenn auch intonatorisch nicht durchweg präzise, ließ sie ihrem virtuosen Gestaltungswillen freien Lauf und hatte dafür natürlich ein dankbares Stück Musik gewählt. Vor allem in den lyrischen, klangflächenhaften Passagen vermochte sie ihrem Stradivari-Instrument unerhört warme Töne zu entlocken. Hier und da versuchte sie allerdings - vergeblich - über ihre Grenzen hinauszuwachsen. Interpretatorisch war das Konzert sehr sauber durchgestaltet; das BR-Rundfunksymphonieorchester gab sich größte Mühe, angesichts seiner undankbaren Aufgabe Klangflächen in oft tiefer Lage gestalten zu müssen, so transparent als möglich zu klingen. Der Kontakt im Dreieck Solistin - Orchester - Dirigent war eng und zeigte von allen Seiten die Bereitschaft und Fähigkeit im Team zu agieren.
Nach der Pause dann Karl Amadeus Hartmann sowie Ottorino Respighi: die zweite Symphonie des Erstgenannten nichts weiter als ein - allerdings gewaltiger - Adagiosatz von einer Viertelstunde Dauer, mit größter Besetzung, gewaltigem Aufbäumen und langsamen Wiederverklingen. Ein Satz, der an die großen Symphonie-Adagios der Jahrhundertwende erinnert - vom Umfang und musikalischen Gehalt her genauso wie in den oft unüberhörbaren Anklängen an die Vorbilder. 1949 wurde das Werk in der auch jetzt gehörten, überarbeiteten Fassung uraufgeführt und lässt Lust aufkommen, sich gelegentlich auch den übrigen sieben Symphonien und anderen Werken des 1963 gestorbenen Münchner Komponisten zu widmen.
Fulminant auch die Pinien von Rom, die große Tondichtung Respighis aus den Zwanzigerjahren, die musikalisch durchaus überzeugte, aber doch im Schatten der wirklichen Neuentdeckungen des Abends blieb.