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Klassik-Rezensionen

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Freitag, 12.05.2000, 20.00 Uhr, Pfarrkirche St.Gabriel, München
Ausstrahlung im Hörfunkprogram Bayern 4 Klassik am 22. Mai, 22.05 Uhr

4. Konzert der Reihe "Paradisi Gloria" des Bayerischen Rundfunks


Gija Kantscheli :
Nachtgebet
für Sopransaxophon, Streicher und Tonband

Olivier Messiaen: Le tombeau resplendissant
L´ascension

Christian Peters, Sopransaxophon

Münchner Rundfunkorchester
Marcello Viotti, Leitung



Musikalische Neuentdeckungen in München - nicht immer ungetrübter Hörgenuss

Das Jahr 2000 bietet allerorts Anlass für Rückblicke jeglicher Art. Einen in seiner Besonderheit sehr lobenswerten Ansatz wählte der Bayerische Rundfunk: er organisierte eine sechs Konzerte umfassende, "Paradisi Gloria" betitelte Reihe, die einen Überblick über die geistliche Musik des 20. Jahrhunderts verschaffen soll. Alle Konzerte finden mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks und dem Münchner Rundfunkorchester unter seinem Chefdirigenten Marcello Viotti in der Pfarrkirche St. Gabriel im Münchner Osten statt.

Ein solches Vorhaben ist besonders hervorzuheben, weil der Veranstalter angesichts der thematischen Begrenzung nicht eben mit publikumslockenden "Reißern" aufwarten kann und von daher das unternehmerische Risiko vergleichsweise hoch ist, andererseits solche Reihen dem Publikum noch echte Chancen auf musikalische Neuentdeckungen bieten - die Liste der aufgeführten Werke reicht von Strawinsky bis Messiaen, die der eingeladenen Interpreten von Doris Schade (Rezitation) bis zum Hilliard Ensemble.

Eigentlich ein Stück Bühnenmusik, darf Jennifer Ringo den Einakter mit dem Text von Jean Cocteau szenisch gestalten - Sessel, Stehlampe, ein Koffer mit Kleidungsstücken und ein Telefon stellen die sparsam verwendeten Requisiten dar. Auch wenn dem Programmheft nicht zu entnehmen ist, wer für die "Inszenierung" verantwortlich ist, erweist sich diese als durchaus ambitioniert und mehr als schlichte Bebilderung: Das Telefongespräch mit dem früheren Liebhaber, das Poulenc vertont hat, findet nur in der Phantasie der Frau statt. Jennifer Ringo gestaltet das eindrucksvoll, auch wenn ihre Stimme in der hohen Lage nicht sehr wandlungsfähig ist.

Neues zu entdecken gab es auch beim dritten Konzert der Reihe am 12. Mai. Mit den "Nachtgebeten" des 1935 in Georgien geborenen, jetzt in Antwerpen lebenden Gija Kantscheli kam das Werk eines Komponisten zur Aufführung, dessen Schaffen kennen zu lernen lohnend sein kann. Die "Nachtgebete" - vor acht Jahren entstanden - waren in einer Fassung für Sopransaxophon, Streicher und Tonband zu hören. Die Musik ist in der Grundstimmung ruhig und auch düster, selbst der einzige dynamische Ausbruch wirkt verhalten. Das frei tonale Stück lebt von Klangfarben, sowohl im Orchester als auch im Solosaxophon (sehr intensiv: der 36-jährige Christian Peters). Über weite Stecken ist der Klang dem Nichts sehr nahe; eine meditative Stimmung wollte aber im Konzert nicht recht aufkommen - schuld daran war auch Viottis zu sehr nach vorn drängendes Dirigat, v.a. aber die Lage des - leider akustisch nicht ausreichend abgeschirmten - Aufführungsortes St. Gabriel an einer viel befahrenen Hauptstraße. Gespenstisch wirkte der Einsatz des Tonbands: Zu Beginn des Stücks ist darauf der Chor zu hören. Am Ende singt ein Knabensopran "Domine, exaudi vocem meam" - ein Hoffnungsschimmer am Ende eines vom Dunkel dominierten Stückes.

Kantscheli war einer der wenigen freischaffenden Komponisten der UdSSR. In enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Regisseuren schrieb er Film- und Bühnenmusiken, u.a. eine zweiaktige Oper "Musik für die Lebenden". Im Zentrum seines Schaffens stehen u.a. sieben Sinfonien. Die "Nachtgebete" bilden den letzten Teil eines vierteiligen Zyklus namens "Leben ohne Weihnacht", bestehend aus den "Morgen-", "Tages-", "Abend-" und "Nachtgebeten".

Es folgten zwei Frühwerke von Olivier Messiaen, "Le tombeau resplendissant" ("Das leuchtende Grabmal") und "L´ascension" ("Die Himmelfahrt"), die den Zuhörer schlagartig in die klangtrunkene Welt gefühlsbetonter Neoromantik entführten: Da war ein großes Orchester in all seinen Möglichkeiten präsent. Da klang es in den schnellen, rhythmisch betonten Sätzen nach Richard Strauss, in den dazwischen geschobenen pathetischen Elegien nach Tschaikowsky. Da waren die musikalischen Einfälle zwar nicht zahlreich, die Ausgestaltung aber umso beeindruckender. "Musik muss im Stande sein, edle Gefühle, und namentlich die edelsten von allen, die von der Theologie und den Wahrheiten unseres katholischen Glaubens erregten, auszudrücken", schrieb Messiaen, der in den Dreißigerjahren die Gruppe "La Jeune France" gründete, eine Gegenbewegung zum seinerzeit vorherrschenden Neoklassizismus und der "Rückkehr zur Magie in der Musik" verschrieben.

Zwischen den Musikwerken musste man sich anstrengen, den Rezitationen David Bennents zu lauschen, der mit schlecht tragender Stimme und wenig einfühlsamer Betonung Psalmen, Celan, Messiaen sowie de Saint-Exupéry las. Positiv hervorzuheben dagegen ist das informative Programmheft, besonders das darin abgedruckte Interview mit Gija Kantscheli, das leider z.Z. noch nirgendwo anders nachzulesen ist.

Eine Übertragung des Konzertmitschnitts kann am Montag, den 22.5.2000 um 22.05 Uhr auf Bayern 4 Klassik gehört werden. "Paradisi Gloria", Teil IV findet am 8. Juli 2000 wiederum in St. Gabriel (Versailler Str. 20, München) statt. Auf dem Programm: Arvo Pärt - "Litany", Bohuslav Martinu - "Feldmesse", dazu Rezitationen u.a. aus Rilkes "Stundenbuch".

Von Ingo Schüttke



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