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Klassik - Konzerte
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7. Oktober 2000
München, Philharmonie im Gasteig
2. Abonnementkonzert C

Claude Débussy
Le martyre de Saint-Sébastien (1911)
Györgi Ligeti
Konzert für Violine und Orchester (1990-92)
Guiseppe Verdi
Quattro pezzi sacri (1897)

Frank Peter Zimmermann, Violine
Alison Hagley, Sopran
Philharmonischer Chor München e.V. (Leitung: Andreas Hermann)
Münchner Philharmoniker
Leitung: Lothar Zagrosek

Auditive Traumlandschaften

Von Esther Gehlhoff



Nicht nur eine ungewöhnliche Auswahl der dargebotenen Werke machte das 2. Abonnementkonzert C zu einem besonderen Abend.

Die selten gespielten, zwischen Februar und Mai 1911 in einer späten Schaffensphase entstandenen symphonischen Fragmente "Le martyre de Saint Sébastien" von Claude Débussy (als Bühnenmusik zu Gabriele D'Annunzios gleichnamigem Mysterienspiel komponiert, von André Caplet ausgewählt, adaptiert und uraufgeführt) bildeten den Auftakt zu einem fast durchweg abwechslungsreichen Konzertabend. Während der erste Teil ("La Cour des Lys") den Eindruck mangelnder Transparenz im Streicherklang nicht ungeschehen machen konnte, steigerten sich die Münchner Philharmoniker über die weiteren Stationen des Mysteriums ("Danse extatique et Final du Premier Acte", ""La Passion", "Le Bon Pasteur") zusehends in der sinnlich-durchsichtigen Gestaltung debussytypischer Klänge, Atmosphären, Farben, Stimmungen und Gebärden.

Der leidenschaftlich und äußerst subtil interpretierende Frank Peter Zimmermann - der Pflege zeitgenössischer Violinliteratur besonders verbunden - verschmolz harmonische Finessen und feinste Tonnuancen des voller Überraschungen steckenden und für den Hörer nicht leicht zugänglichen Violinkonzerts von György Ligeti zu einem fulminanten Zauberwerk. Lothar Zagrosek (seit 1997 GMD der Württembergischen Staatsoper) überzeugte mit seinem feingeschliffenen bis blitzartig präzise ausgeführten Dirigat, die Mikrostrukturen jedes eigenwilligen Satzes brillant offenlegend.

Fragen nach den stilistischen Ansätzen des Werkes führen zwangsläufig in musikalische Denkweisen außerhalb Zentraleuropas: Auf der Suche nach neuartigen Intonationssystemen stieß Ligeti Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre auf die Traditionen außereuropäischer Musikkulturen. So faszinierte ihn etwa die "fremdartige Schönheit" der fünf- bis siebenstufigen Systeme javanischer Musik. Diese offenkundige Sensibilisierung für feinste Tonnuancen mündete Anfang der neunziger Jahre in das Konzert für Violine und Orchester: Der Komponist arbeitet darin mit reinen Terzen oder Naturseptimen. Ungewöhnliche Tonhöhen werden hörbar - für die "unpräzise" Intonation und den gewollt "schmutzigen Klang" werden auch einige Instrumente des Orchesters umgestimmt.

Neben "normalen" Istrumenten sind Viola und Violine mit Skordatur in das Orchester eingebunden, Instrumente mit ungenauen Tonhöhen wie Okarinas, dazu eine Blockflöte und auch Lotosflöten. Während der Solist im ersten Satz (Vivace luminoso) flirrende Sechzehntelketten, dazwischenliegende rhythmische Gestalten, Figurationen entlang der Obertonskala zu bewältigen hat, beschwört der zweite Satz (Aria, Hoquetus, Choral: Andante) gänzlich andere Klangwelten. In die melancholische Kantilene der Solovioline werden sukzessive andere Instrumente einbezogen. Die (nicht zuletzt auch den warmen, sonor-satten Klang von Zimmermanns Violine transportierende) Kantilene wird schließlich von einem strengen Quartettsatz der vier eigenwillig klingenden Okarinas abgelöst. Dessen Thematik findet sich vergrößert in Trompete und Posaune, später im Hörnerklang wieder. Eine befremdlich-anziehende, schwebende Klangaura ergibt sich aus dem übrigen Intonationsspektrum.

Gelenkfunktion hat der kurze dritte, "Intermezzo" überschriebene Satz. Zwischen den beiden langsamen Sätzen greift er das Gesangliche der "Aria" wieder auf, verknüpft es aber zunächst mit stehenden Klangfeldern, danach mit abwärtsführenden Skalen, die schon auf den Parforceritt des Schlusssatzes vorverweisen. Aus den vielfach (kanonisch) gesetzten Streichern entsteht ein dichtes Spektrum chromatisch geführter Stimmen. Ein ständiges Fließen scheint Hauptcharakteristikum dieses Satzes. "Steil wie ein Wasserfall" steht am abrupten Ende des Satzes (nach einem kurzen Crescendo und einem Beckenschlag) in der Partitur.

Der vierte Satz ("Passacaglia: Lento Intenso") beinhaltet wohl eine der eindrucksvollsten Passagen des gesamten Konzerts und zwar entscheidend geprägt durch den fragilen, ätherischen Beginn, der mit unmerklich sich verändernden Harmonien sicherlich auf die "gläserne Traumlandschaft" verweist, von der Ligeti in diesem Kontext sprach. Diese auditive "Traumlandschaft" wird im weiteren Verlauf der Passacaglia immer wieder scheints in Frage gestellt, von Einwürfen jäh unterbrochen, bis sie am Ende im Nichts verläuft.

Der gestaltreiche, teils chaotisch anmutende Schluss des Werkes (Appassionato: Agitato molto) reiht Bilder wie in einem Kaleidoskop aneinander. Selbstzitate, Tänzerisches, Folkloristsiches, halsbrecherische Virtuosität finden sich zu einer dramatischen Vielfalt an Figuren und Charakteren zusammen. Der Satz läuft in einer großangelegten Kadenz zusammen, deren Länge auf "ein bis zwei Minuten" festgelegt ist und zu der Ligeti in der Partitur notiert: "Sie ist stets hektisch, kann aber meldodisches Material ad libitum von allen fünf Sätzen verwenden. Gegen Ende soll sie prestissimo sein. Die Kadenz wird gemäß Absprache zwischen dem Solisten und dem Dirigenten ganz plötzlich vom Orchester unterbrochen. Diese Unterbrechung geschieht ­wie unvorbereitet', blitzartig. Dabei soll der Solist sich in hohen Lagen befinden, in größter Geschwindigkeit. Beim Eintritt des hohen Wood-Blocks verstummt die Solovioline unvermittelt."

Die zweite Konzerthälfte dominierte der Philharmonische Chor e.V. (Einstudierung Andreas Herrmann) mit dem bombastischen Spätwerk "Quattro pezzi sacri" von Guiseppe Verdi. 83-jährig schuf Verdi sein opus ultimum nicht als Zyklus, sondern (mit intendiert gedanklicher Verklammerung) als vier einzelne Stücke: "Ave Maria", "Stabat mater", "Laudi alla Vergine Maria", "Te Deum" . Ihre unterschiedliche Länge entspricht jeweils in etwa der Textproportion. Schon das vierstimmige, a-capella zu singende "Ave Maria", um eine Rätseltonleiter - scala enigmata - herumkomponiert, verlangt dem gut einstudierten Chor höchste intonatorische Konzentration ab. Explosive Crescendi und die völlige Zurücknahme des gewaltigen Jubels wieder hin zum Motiv des 'Stabat mater dolorosa', Stückbeginn und Schluss zugleich, kennzeichnen die musikalische Konzeption des "Stabat Mater". Wie ein lyrisches Intermezzo und gleichsam entrücktes Klangbild mit Ausblick auf das Paradies wirkt das "Laudi", a capella gesetzt für einen vierstimmigen (wiederum dynamisch wie intonatorisch brillierenden) Frauenchor.

Nicht nur musikalisch, sondern auch inszenatorisch opernhaft "prächtig" dargeboten wurde schließlich das achtstimmige "Te Deum": In zwei Chorgruppen räumlich jeweils gegenüber auf Seitenflügeln über dem Orchester postiert, überzeugen Klangfülle und orchestrale "blechbewehrte Kraft". Den Anfang von Verdis "Te Deum" bildet die vom Männerchor gesungene liturigische Formel, zum Dreiklang ausgeweitet und schließlich in mittelalterliche Fauxbourdon-Technik (akkordische Parallelbewegung) mündend. Ebenso ausgefallen mutet der Schluss des Werkes (und somit natürlich des "Te Deum") an: "In te speravi" (Auf dich habe ich gehofft) bereitet endlich der Sopranistin (stimmlich wundervoll zu erahnen Alison Hagley) ihre wenigen, fast eintonigen solistischen Takte, nach welchen die Musik leise wird und und in einen fistelnd hohen Ton der Violine und dem tiefsten Ton der Kontrabässe verläuft, nachgeradezu "hinter der Grenze der Wahrnehmbarkeit" entschwindet.


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