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Mittwoch, 23.08.2000, 20.00 Uhr, Großes Haus der Städtischen Bühnen Münster
1. Symphoniekonzert


Johann Sebastian Bach / Leopold Stokowski: Toccata und Fuge d-Moll, BWV 565 (1926)
Paul Dessau: Bach-Variationen für großes Orchester (1963)
Robert Schumann: Konzertstück für vier Hörner und Orchester F-Dur, op.86 (1849)
Max Reger: Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart, op.132 (1914)

Symphonieorchester der Stadt Münster
Marc Andreae, Leitung



Eröffnungskonzert des Symphonieorchesters Münster
- So oder so?

Rede (I) und Gegenrede (II) von unseren beiden Rezensenten Monika Jäger und Martin Rohr




(I) Musikalisches Traditionsbewusstsein mit Suche nach dem Klangkörper

Von Monika Jäger - Münster

Das Eröffnungskonzert des Symphonieorchesters Münster unter Leitung des schweizer Gastdirigenten Marc Andreae stand, wie die gesamte Konzertsaison 2000, ganz im Zeichen des Bachjahres: Der Jubilar Bach soll nicht nur im Spiegel der Rezeption seiner Werke, sondern auch in der Würdigung seines kompositorischen Einflusses auf die Nachwelt gegenwärtig sein.

Dementsprechend kraftvoll eröffnete Bachs Toccata und Fuge d-Moll in der Bearbeitung für symphonisches Orchester von Leopold Stokowsky den Abend mit einer vielversprechenden, selten dicht auskomponierten Klangfülle in den Streichern. Doch leider ließ nicht nur das Klangvolumen nach, sobald sich das bekannte Anfangsthema in figurative Motive verzweigte. In den filigranen Bewegungen zerfiel der homogene Gesamtkörper bald in unpräzises Spiel, und die Instrumentalisten verloren in den unisono-Passagen der Streicher und den Parallelführungen der Bläsersolisten schnell den Kontakt zueinander. Auch war die sehr variable Tempogestaltung im Dirigat Andreaes, die mit ausgeprägter Agogik jeder einzelnen Passage gerecht zu werden suchte, nicht dazu angetan, einen musikalischen Fluss aufkommen zu lassen.

Die Unkonzentriertheiten, zu Beginn des Konzerts noch verzeihlich, störten in den nachfolgenden "Bach-Variationen" von Paul Dessau umso mehr. Die eklektizistisch angelegten Variationen über den "Bauerntanz" von Carl Philipp Emanuel Bach vereinen Kompositionsverfahren von strenger Polyphonie bis zur Annäherung an dodekaphonische Techniken und sind damit vor allem auf rhythmische Exaktheit angewiesen - mit einer halbherzigen Ausführung wurde Dessaus Komposition an diesem Abend ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Eine Enttäuschung, die eigentlich für das Symphonieorchester untypisch ist, da unter Will Humburg Werke des 20. Jahrhunderts meist mit besonderer Sorgfalt bedacht werden.

Ganz anders der letzte Programmpunkt vor der Pause: Im "Konzertstück für vier Hörner" F-Dur, op.86 von Robert Schumann bewiesen vor allem die Horn-Solisten des Symphonieorchesters, Michael Koch, Milena Vettraino, Iris Dumke und Björn Andresen, sowohl in der technischen Virtuosität als auch im musikalischen Zusammenspiel größte Qualitäten. In der mitreißenden Übereinstimmung der Solisten entstand eine stimmige und musikalisch lebendige Interpretation, die vom Münsteraner Publikum begeistert aufgenommen wurde.

In der zweiten Konzerthälfte schuf Max Regers "Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart, op.132" quasi eine stilistische Integration der vorangegangenen Stücke: Im Schwelgen in romantischer Klangfülle einerseits und streng verregelten Kompositionsprinzipien andererseits fanden rückblickend die bereits verklungenen Werke zueinander.

In beeindruckend zurückhaltendem Pianissimo beginnend, zeigten Andreae und die Symphoniker endlich ihr Vermögen zu ausdifferenzierter und lebendig gestalteter Klangentwicklung bis hin zum fulminanten Schlussaufbau.

Am Ende klatschte man gerne.




(II) Eröffnungskonzert in Münster: Musikalische Traditionssuche mit Fremdkörper

Von Martin Rohr - Münster

"Der Einfluß Bachs auf die Weltmusik ist wahrhaft gewaltig. Es gibt kaum einen Komponisten, der nicht in diesem oder jenem Maß Bachs wohltätige Wirkung auf sein Schaffen verspürt hätte." Dieser Einschätzung Dmitrij Schostakowitschs aus dem Jahre 1950 folgend, erscheint es - zumal im allerorten begangenen Bachjahr 2000 - nur recht und billig, diesem Bezugspunkt abendländischer Musiktradition einen Schwerpunkt in der Programmgestaltung der Saison 2000/2001 zu widmen.

Wies in den ersten beiden Werken des Eröffnungskonzertes, J. S. Bachs Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 in der Orchestrierung von Leopold Stokowski und den "Bach-Variationen für großes Orchester" von Paul Dessau aus dem Jahre 1963, bereits der Titel auf den Bezug zu Bach hin, so offenbart sie sich in Max Regers "Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart" op.132 vor allem in dessen Bewusstsein für polyphones Denken. Insofern scheint zum Saisonauftakt in Münster ein schlüssiges Programm gelungen.

Jedoch nur fast, denn als drittes Werk vor der Pause platziert erschien das "Konzertstück für vier Hörner und Orchester" F-Dur op.86 von Robert Schumann geradezu als Fremdkörper, was sowohl die programmatische Konzeption des Konzertes als auch die Ausführung durch Orchester und Solisten betraf. Doch der Reihe nach:

In der Orchestrierung des britischen Dirigenten Leopold Stokowski erscheint Bachs Orgelwerk als große orchestrale Komposition, die die verschiedenen Register des symphonischen Orchesters effektvoll einsetzt. Besonders die scharfen Kontraste zwischen den Registern und Verwendung tiefer und rauher Klänge sind charakteristisch für Stokowskis Bach-Deutung --- eine Deutung, die zu keinem Zeitpunkt den Anspruch auf Authentizität Bachscher Intentionen zu erheben scheint.

Dem Orchester gelang es, den kontrastreichen Charakter umzusetzen, wenn auch mit einigen Ungenauigkeiten in Intonation und Rhythmus. Leider war die sehr variable Tempogestaltung des Gastdirigenten Marc Andreae, die mit der ausgeprägten Agogik jeder einzelnen Passage gerecht zu werden suchte, nicht dazu angetan, einen musikalischen Fluss aufkommen zu lassen. Dennoch agierte das Orchester als großer Klangkörper, in dem sich die einzelnen Instrumente dem Gesamtzusammenhang unter- bzw. einordneten.

Die anschließenden "Bach-Variationen" von Dessau fügten sich mit der großen Orchesterbesetzung folgerichtig in den durch Stokowski vorgegebenen Rahmen. Dennoch warfen sie ein gänzlich anderes Bild auf die kompositorische Bach-Rezeption: Die Variationen über das Thema des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel hoben nicht nur die Strenge Bachscher Polyphonie hervor, sondern kontrastiert diese durch muntere Spielmusiken und expressiv-intime Intrumentalsoli. Besonders hervorzuheben ist die Konzertmeisterin, die mit der Klarheit ihres solistischen Spiels Maßstäbe setzte. Hiervon inspiriert schienen die Streicher des Orchesters zu völlig neuen Klängen fähig, die in ihrer Zurückgenommenheit fesselten. Auch wenn es sich hierbei immer nur um kurze Momente handelte, die von Ungenauigkeiten und Spannungslücken unterbrochen wurden, machten Dessaus Variationen das Konzert zu einem lohnenden Ereignis.

Gleiches lässt sich von Robert Schumanns Konzertstück für vier Hörner leider nicht behaupten. Die Aufführung in Münster verleitete zu der Annahme, Schumann habe vier Hörner gewählt, damit immer ein Solist spielen kann, während die anderen ihre Instrumente entleeren. Denn nur selten werden die Möglichkeiten des kompletten Hornsatzes genutzt und klaren Konturen fehlen. Man vermisst orchestrale Hornsätze der "Rheinischen Symphonie" ebenso wie den solistischen Glanz der Hornkonzerte von Mozart bis Richard Strauss. Bei aller Virtuosität der Solostimmen vermochten die vier Solisten Michael Koch, Milena Vettraino, Iris Dumke und Björn Andresen keine Spannung vermitteln und wirkten erstaunlich wenig präsent. Orchester und Solisten agierten seltsam beziehungslos nebeneinander. Dass das Werk dennoch vom Publikum begeistert aufgenommen wurde, mag ebenso an der exotischen Besetzung liegen, wie daran, dass die Solisten als Mitglieder des Städtischen Orchesters einen gewissen Heimvorteil genossen.

Mit einer soliden Leistung bewältige das Orchester die Mozart-Variationen von Max Reger, die Mozarts Variationsthema unvermittelt in den Kontext spätromantischer Symphonik versetzt. Das Resultat ist gewissermaßen eine Studie über bürgerliche Musikkultur, in der stilisierte Idylle neben wagnerscher Dramatik steht. Trotzdem hält Reger weitgehend an den formalen Vorgaben der Mozartschen Periode fest. Das gegenüber Dessaus Variationen geradezu sparsame Orchester bemühte sich um gepflegten Klang, auch wenn der Zusammenhang zwischen den Variationen durch zu große Pausen und unvermittelte Tempowechsel zeitweise verlorenging.

Am Ende klatschte man dennoch gerne.



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