Wie vom Brahms-Zyklus aus der letzten Konzertsaison gewohnt, war das Konzert ausverkauft – und dies trotz zweier angekündigter Werke aus dem 20. Jahrhundert. Daß Olivier Messiaens ‘Les offrandes oubliées’ Beethovens Egmont-Ouvertüre weichen mußte, hat sicher viele Konzertbesucher eher gefreut. Doch einige waren sehr wohl enttäuscht, war man doch gespannt auf das direkte Aufeinandertreffen von Messiaen und Beethoven. Statt dessen erschien es so, als erwarte einen nun ein recht konventionelles Programm: In der ersten Hälfte des Deutschen allseits geliebter Instrumentalmusik-Heros Beethoven und dann in der zweiten Hälfte das Skandalstück von einst, Strawinskys ‘Le Sacre du printemps’.
Es kam jedoch ganz anders, und dies lag eben an Lorin Maazel und seinem an diesem Abend brillant spielendem Orchester. Fast meinte man eine diebische Freude bei jedem Instrumentalisten entdecken zu können, Beethovens Egmont und insbesondere die 7. Sinfonie so ‘unerhört’ anders auszuführen. Beethoven als Vorläufer von Strawinsky: Konsequent, fast radikal ließ Maazel die strukturbildenden rhythmischen Qualitäten in der Ouvertüre und der Sinfonie hörbar werden. Schon die Einleitung, das Sostenuto ma non troppo, der Ouvertüre gab einen Vorgeschmack auf das, was dann alle Interpretationen auszeichnen sollte: kompromislos-prägnantes Einlösen der Spielvorschriften, aus dem eine ungeheure Spannung und Ausdrucksvielfalt resultierte. Der Gegensatz vom düsteren Rhythmus in den Streichern und der melodischen Klangfarbenpracht in den Holzbläsern steigerte sich in der Durchführung und die Spannung entlud sich in einer mitreißenden Ausführung der sog. Siegessymphonie in der Coda.
Mag diese Interpretation aufgrund des programmusikalischen Aspekts der Ouvertüre als Schauspielmusik nicht ganz ungewöhnlich sein, so überraschte die Betonung der rhythmischen Qualität in der 7. Sinfonie dann sehr wohl. Nicht das die Melodielinien unberücksichtigt geblieben wären, doch machte den Reiz dieser Interpretation gerade die Kombination von rhythmischer Prägnanz und ungewohnt schnellen Tempi aus. Vergegenwärtigt man sich die Tempovorgaben ‘Poco sostenuto - Vivace’, ‘Allegretto’, ‘Presto’ und ‘Allegro con brio’ für die vier Sätze der Sinfonie, dann war Maazels Interpretation überhaupt nicht außergewöhnlich, sondern ungewohnt nur deshalb, weil dem Hörer häufig der zweite Satz viel langsamer vorgeführt wird. Nach dem Motto: Was eine Sinfonie heißt, muß auch die gewohnten Satzcharakter beinhalten und vor allem einen langsamen Satz haben...
Dieser zweite Satz sowie das abschließende Allegro con brio waren mit das Aufregendste und in der Ausführung Brillanteste der gesamten Interpretation. Wie hier von den tiefen Streichern bis zum Orchestertutti Spannung, dynamische Steigerung und Klangintensität aufgebaut wurden, war wirklich phänomenal. Lorin Maazel kann auf die klanglichen und technischen Qualitäten seiner Musiker vertrauen, überspannte den Bogen jedoch nie.
Die hohen spieltechnischen Anforderungen - die metrischen Fallen von Strawinskys ‘Sacre’ eingerechnet - löste das Orchester mit Bravour. Maazel beschränkte sich nicht auf die Betonung der oft beschworenen „archaischen Gewalt“ der Musik, eine zwangsläufige Folge der Emanzipation des rhythmischen Impulses, der alle Instrumentengruppen besetzt. Sicherlich die Schlagkraft fehlte nicht, doch Maazel achtete genau auf die Differenzierung der einzelnen Klangfarben innerhalb dieser rhythmischen Impulse. Die einzelnen Instrumentengruppen und Solisten konnten dabei ihre außergewöhnlichen Spielfähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis stellen.
Sichtlich zu Frieden mit der Leistung seines Orchesters nahm Lorin Maazel mit der von ihm bekannten Bescheidenheit den Beifall entgegen, der sich nach der Richard Strauss Zugabe noch zu ‘standing ovations’ steigerte.
Zu den Rezensionen der vorhergehenden Konzerte
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