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Freitag, 03.09.1999, Jahrhunderthalle Bochum
Sonderkonzert

Charles Ives:Symphonie Nr. 4 (1910-1916)
Michael Gordon:Sunshine of Your Love (1999)
John Adams:Naive and Sentimental Music (1999)

Frankfurter Kantorei
Ensemble Modern Orchestra
Franck Ollu, Co-Dirigent (Ives)
John Adams, Leitung



Auftakt des neuen Konzertzyklus "Durch alle Zeit...":

"JahrhundertKlänge" 1: Furiose amerikanische Musik zu Saisonbeginn

Von Markus Bruderreck

Die Bochumer Symphoniker mit ihrem GMD Steven Sloane sind, so scheint es, nicht mehr zu bremsen. Schon seit einigen Spielzeiten bereichern sie mit abwechslungsreichen Programmen und künstlerisch überdurchschnittlichen Leistungen die Konzertszene des Ruhrgebiets. Nachdem Eberhard Kloke das Orchester auf ein musikalisch bemitleidenswertes Niveau heruntergefahren hatte, nahm sein Nachfolger Sloane das auf, was dieser ihm an Gutem hinterlassen hatte: Die Projektkonzerte und die Öffnung des Repertoires zur zeitgenössischen Musik hin. Ein solches neues Großprojekt, ein neuer Konzertzyklus also eröffnete am 3. September die Spielzeit 1999/2000. Man kann es sich denken: Es geht um den Klang des bald verflossenen Jahrhunderts. Unter dem Titel "Durch alle Zeit... KlangWege ins neue Jahrtausend" versuchen die Bochumer bis zum Jahreswechsel, das Jahrundert musikalisch abzustecken, Landmarken zu setzen. Mit "JahrhundertKlänge 1: America Sounds" ging es los. Allerdings war hier zunächst das Ensemble Modern Orchestra unter John Adams zu hören.

Im ersten Teil erklingt zunächst die 4. Symphonie von Charles Ives, ein in seiner Modernität atemberaubendes Werk, bedenkt man seine Entstehungszeit 1910-1916. Ives arbeitet mit statischen Klangschichtungen, die sich komplex überlagern. Eine kleine Batterie Trommeln ist links vom Publikum aufgestellt, eine kleine von Harfen dominierte Gruppe schräg rechts hinter den Zuhörern. Wenn das riesige Orchester vorne schweigt, klingen im Hintergrund zuweilen einige Instrumente weiter. Zu Beginn des Werkes singt die Frankfurter Kantorei im "Prelude" überschriebenen ersten Satz die Vertonung von Lowell Masons "Watchman"-Choral. Diesem amerikanischen Romantizismus setzt Ives im zweiten Satz eine Struktur entgegen, in der sich immer mehr komplexe Schichten in der Musik auftürmen und die schließlich in klanglichem Chaos und in Orientierungslosigkeit endet. Aus dem dritten, langsamen Satz klingt wiederum mehr Romantik als Modernität. Der letzte Satz wird begleitet von einem steten Ostinato der externen Trommelgruppe und endet mit Chorvokalisen zu der Melodie des amerikanischen Kirchenlieds "Nearer, my God, to Thee".

Eine Aufführung der vierten Ives-Symphonie ist ein Erlebnis. Schauwert hat es beispielsweise, wenn im zweiten Satz ein zweiter Dirigent erforderlich wird, um bestimmte Orchestergruppen zu leiten. Die Akustik des großen Industriegebäudes ist zwar extrem hallig, und nicht selten hat man den Eindruck, Einzelheiten verschwimmen zu Klangwolken. Da mag das erst etwa ein Jahr alte Ensemble Modern Orchestra (ein Projektorchester des Ensemble Modern) noch so geschliffen und dabei mit Sinn für Romantik spielen. Der in weißem Anzug dirigierende John Adams hat mit energischer Geste, aber doch mit lockerer Hand das Orchester fest im Griff.

Warum hat man wohl das recht kurze Werk von Michael Gordon "Sunshine of Your love" nach der Pause gespielt, dann aber gleich wieder eine lange Pause gemacht? Rechnete man auf einen Schockeffekt, oder wollte man die Eigenständigkeit aller Werke gewährleisten? Gordons Werk jedenfalls wartet mit Bruitismus auf: Etwa zehn Minuten wildeste und bis in die Extreme getriebene Minimal-Music. Der Titel also täuscht eher. Michael Gordon kreuzt U mit E, das Orchester wird von wummernden E-Bässen und E-Gitarren flankiert, die für ordentlich Dezibel sorgen: Zuweilen meint man, man sei in einer Techno-Disco. Bei diesem Konzept wird man automatisch an Mark-Anthony Turnage erinnert, der ebenfalls U-Musik-Strukturen zur Grundlage seiner Werke gemacht hat. Gegenüber Gordon nimmt sich Turnage allerdings wie ein Waisenknabe aus. Kein Wunder, daß dies Werk beim Publikum gut ankommt, insbesondere wohl beim jüngeren.

Zum Schluß des Konzerts: Ein gewichtiges, brandneues und vom Publikum umjubeltes Werk von John Adams selbst. Mit Steve Reich und Philip Glass gilt John Adams als prominentester Vertreter der Minimal Music. In den letzten Jahren freilich hat sich Adams stilistisch noch mehr von ehedem allzu simplen musikalischen Strukturen entfernt (für die beispielsweise Glass berühmt und umstritten ist). Seine Musik ist farbiger geworden, komplexer, dazu virtuos orchestriert und mit Sinn für Dramaturgie: Kurz, Sie ist effektvoll und irgendwie sehr amerikanisch. Mit seiner "Naive and Sentimental Music" (etwas ungeschickt mit "Naive und sentimentalische Musik" übersetzt; muß es nicht eher "empfindsame Musik" heißen?) bezieht sich Adams auf Schillers Schrift "Über naive und sentimentalische Dichtkunst" (1795).
Im ersten Satz, einem ausgedehnten Essay für Orchester, der in Brucknersche Klangballungen ausufert, wird eine "naive und sentimentale" Melodie exponiert und vielfach verwandelt. Der zweite Satz, "Mother of the Man" überschrieben, lehnt sich an Busonis "Berceuse élégiaque" an und entwickelt mit Ruhe und mit einem Augenzwinkern in den glissandierenden Hawaiigitarren ein geruhsames Wiegenlied. Mit diesem Satz greift Adams die Idee vom "Wiegenlied des Mannes am Grab seiner Mutter" wieder auf, die ihn offensichtlich bereits lange beschäftigt: 1990 hat Adams eine Bearbeitung von Busonis Werk vorgelegt. Der letzte Satz dann ist Adams, wie man ihn kennt, er ist "voll Adamscher Flora und Fauna", wie der Komponist selbst bemerkt. "Chain to the Rhythm" ist der Adams von "Nixon in China": Adams at his best.




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