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Dienstag, 27.7.1999, 20.00 Uhr, Stadthalle Mühlheim

Ludwig van Beethoven:
11 Bagatellen op.119
6 Bagatellen op.126
33 Variationen über einen Walzer von Anton Diabelli C-Dur op.120

Valery Afanassiev, Klavier

Beethoven im Olymp

Afanassievs promethischer Kampf

Von Oliver Kautny

Beethovens Bagatellen sind verblüffende Miniaturen, die oft fragmentarisch und einfach klingen. Vor allem der Zyklus op. 119 beginnt fast unschuldig,spröde - und Afanassiev setze noch eins drauf. Er spielte streng und schnörkellos und machte keine Anstalten, aus einfachen Klangbildern Monumentales zu machen. Kühle Demut beherrschte die ersten fünf der elf Stücke aus op. 119. Und das wohl mit Grund: sie alle stammmen aus Beethovens früher Schaffensperiode. Erst danach "riskierte" Afanassiev mehr Klangfarbe. Der spätere Beethoven bekam schließlich durch dezentes Pedal romantischere Züge. Afanassiev gelang es hier meisterlich, das musikalische Konzentrat zu expressiver Dramatik zu verdichten. Insbesondere das Andante ma non troppo (Nr.11) geriet zu einem eindringlichen musikalischen Gebet, das Afanassiev quasi religiöse Einstellung zu Beethoven glaubhaft werden ließ.

Der zweite Bagatellen-Zyklus ist musikalisch eigentlich viel spannender. Leider schien Afanassiev nicht mehr mit voller Konzentration bei der Sache zu sein. Er erreichte nicht mehr die Intensität, die sein Spiel im op.119 auszeichnete. Auch schlichen sich ein paar unschöne Fehler ein. Und das nervöse Presto (Nr.5) schien mir überhaupt keine innere Mitte mehr zu haben. Die 6 Bagattellen op. 126 blieben also oberflächlich, als ob Afanassiev mit den Gedanken schon bei dem Hauptwerk seines Konzertes nach der Pause - den Variationen über ein Thema von Diabelli - war.
Für die Diabelli-Variationen hatte Afanassiev es sich nicht nehmen lassen, selbst zur Feder zu greifen. Schließlich ist der 1947 geborene Russe nicht nur Pianist, Dirigent und Komponist, sondern auch Romancier und Essayist. Zwei Dinge will ich aus seinen 11seitigen Programmnotizen hervorheben. Für Afanassiev ist dieses monumentale Variationswerk quasi ein ästhetischer Gottesbeweis. Beethoven habe sich mit diesem kongenialen Opus im Olymp als größter künstlerischer Genius verewigt. Nur Dante reiche an dessen Größe, mit dessen Commedia Afanassiev die Diabelli-Variationen auch vergleicht.

Daß diese Gedanken - vorsichtig ausgedrückt - mehr als gewagt sind, muß hier nicht weiter betont werden. Doch machen Sie etwas von dem ungeheueren Anspruch deutlich, dem sich der Meisterschüler von Emil Gilels sich stellen mußte. Zumal er sich einer eindeutigen Mission verschrieben hatte: das kryptische Werk, das von so vielen abgelehnt wird, verstehbar zu machen. Eine wahrlich promethische Aufgabe.

Ich glaube jedenfalls, daß Afanassiev seinen eigenen Ansprüchen nicht ganz genügen konnte. Zweifellos leistete er Gewaltiges, indem er die 33 Varaitionen in dutzenden Nuancen fein artikulierte, lyrisch sangbar machte oder brutal durch den Saal donnerte. Eigenwillig und spröde blieb er auch hier. Immer an der Grenze zwischen großem Ausdruck und Entsagung expressiver Klischés. Für den großen Wurf blieb er aber zu weit unter seinen technischen Möglichkeiten. Da war maches zu grob geschnitzt für meinen Geschmack. Die Schönheitsfehler, die Afanassiev hier wie schon in den Bagatellen op.126 unterliefen, sollten nicht zu schwer wiegen. Dennoch stören Sie natürlich den Gesamteindruck, zumal ihnen nichts so Überragendes ausgleichend gegenüberstand.So schien es mir wenigstens. Einem Rezipienten, den nämlich Afanassievs wichtigste Mission nicht erreichte: "Beethoven zu verstehen": Stellen Sie sich einmal eine Sprache vor, die immer wieder von fremden Klängen durchbrochen wird. Laute, denen sei keine Bedeutung beimessen können. Diese halbverständliche Sprache ist wie ein Zwitterwesen, das durch ihren ständigen Übergang von Verstehen und Nichtverstehen verwirrt.
Genauso schien mir Beethovens Mamutwerk, das in der Maske vertrauter Harmonik mit fremden Klangwelten Verstecken spielt. In der Erwartung vertrauter Verläufe á la Beethovensonate ist man ständig auf dem Holzweg. Ich würde sogar behaupten, Ligeti und Stockhausen sind dagegen Kinderkram. Bei Beethoven kann man sich eben nicht auf die ästhetische Irritation moderner Kunst verlassen, mit der wir uns doch schon so häuslich eingerichtet haben (Wen schockt noch Beuys Fettecke?).
Beethoven aber, den glaubt man doch zu kennen, konsumieren zu können. Die Diabelli-Variationen sind aber das perfekte Gegenbeispiel.

Fazit: Schwierige Kost. Ein Pianist nicht in Bestform. Ein geteiltes Publikum: frenetischer Jubel - freundlicher Applaus.




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