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Bayreuther Festspiele 2022

Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache

Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 5. August 2022

Aufführungsdauer: ca. 6h 30' (zwei Pausen)


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Bayreuther Festspiele
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Das Ende, nüchtern betrachtet

Von Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath


Man hat sich auseinandergelebt. Wenn Siegfried im Vorspiel zur Götterdämmerung "zu neuen Taten" aufbrechen möchte, dann wohl in erster Linie, um dem öden Eheleben zu entfliehen. Brünnhilde und er sind offenbar in trauter Zweisamkeit häuslich geworden, leben in den aus der Walküre noch vertrauten Kinderzimmern von Siegmund und Sieglinde, haben ein Kind bekommen und ins schulpflichtige Alter gebracht. Jetzt geht man sich auf die Nerven, und da ist eine Trennung auf Zeit vielleicht ein probates Mittel in der Beziehungskrise. Wagnerianer wissen natürlich, dass das kein gutes Ende finden wird. Siegfried wirft sich prompt der erstbesten Frau an den Hals, der er begegnet - der mondänen Gutrune - und verhökert Brünnhilde an den feschen Gunther. Dessen Begleiter Hagen müsste Siegfried eigentlich noch aus dem vorigen Opernabend kennen, schließlich haben sich die beiden jungen Männer dort im Hause Fafners kennengelernt und gemeinsam Mime gemeuchelt, was eigentlich verbinden sollte. Tut es nicht, jedenfalls deutet nichts in der Regie darauf hin, dass man sich erinnert. Dabei ist Hagen doch auf Rache aus (hat der Dramaturg im Einführungsvortrag erklärt), weil er bei der Eroberung Brünnhildes nicht mitmachen durfte. Es bleibt in der Regie von Valentin Schwarz allzu vieles unklar und unbestimmt.

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Flüchtet zu neuen Taten vor dem öden Familienleben: Siegfried (hier: Stephen Gould)

Symbole (gerade solche, die durch Requisiten vergegenständlicht werden wie Ring, Speer oder Tarnhelm), ändern im Ring ja häufig ihre Bedeutung (oder sind gar nicht konkret übersetzbar), darauf hat Dramaturg Konrad Kuhn wieder und wieder hingewiesen, weil es entscheidende Auswirkung auf die Inszenierung hat. Vor allem der Ring, um den sich alles dreht, ist ein seltsames Objekt: Obwohl er die Weltherrschaft verspricht, kann er seine wechselnden Besitzer nicht schützen. Schwarz hat ihn im Rheingold umgedeutet in ein Kind, den Jungen im gelben T-Shirt, der sich später als Hagen entpuppte. Ein Kind, das wegen seiner besonderen Fähigkeiten gefürchtet war, dachten wir (schon Fasolt und Fafner erbaten sich im Rheingold genau dieses Kind und kein anderes), aber das ging schon am Ende des Siegfried nicht wirklich auf. Die Regie transformiert hier den Symbolgehalt: Die Idee "Ring gleich Kind" bleibt zwar erhalten, geht jetzt aber auf Siegfrieds und Brünnhildes gemeinsames Kind über. Der floskelhaft (in den Einführungsvorträgen natürlich) vorgetragene Gedanke "wir nehmen unsere Kinder in Geiselhaft" zieht sich als roter Faden durch diesen Ring, allerdings nicht allzu prägnant - gleichwohl wird dem zunehmend genervten Publikum erhebliche Flexibilität im Symboldeuten abgefordert. Wenn jetzt, warum auch immer, alle hinter Siegfrieds Nachwuchs her sind, wird immerhin klar, warum sich Brünnhilde gegenüber Schwester Waltraute (einmal mehr großartig: Christa Mayer) so entschlossen der Herausgabe des "Rings" widersetzt - eine Mutter wird nicht so schnell ihr Kind höheren Ideen opfern. (Überleben wird es den Abend trotzdem nicht.)


Vergrößerung in neuem Fenster Die nächste Wohlstandsgeneration zieht ein: Gutrune und Gunther

Die nicht allzu homogen singenden Nornen (satt im Klang: Okka von der Damerau; angestrengt: Stéphanie Müther und Kelly God) sind Spukgestalten, die dem Kind wie ein Albtraum erscheinen, was die (inhaltlich eigentlich überflüssige Szene) ganz gelungen ausdeutet. Siegfried reist ja bekanntlich mit Brünnhildes Ross Grane, und das ist in diesem Ring ein Mann, Brünnhildes Beschützer. Der wird bei den Gibichungen mit dem angeblichen Vergessenstrank ausgeschaltet und erfährt ein unschönes Ende unter dem Schlachtermesser. Michael Kupfer-Radecky ist ein toll singender, irrsinnig aufgedrehter Gunther, Elisabeth Teige eine etwas ungenau fokussierende, großformatige Gutrune im giftgrünen Hosenanzug, und Albert Dohmen ein stimmlich nicht "schwarzer", aber ungemein zupackender Hagen - offenbar ein Großwildjäger-Trio, dessen bislang spektakulärster Jagderfolg, glaubt man dem stolz präsentierten Gemälde, ein Zebra war. Der zweite Aufzug im wohltuend entrümpelten Ambiente gerät dem Regisseur geradezu konventionell, dabei ein wenig langweilig. Die Masken, die die Mannen vor sich hertragen, sollen wohl die Hauptfiguren im Gewand der Uraufführung 1876 zeigen, erfährt man: richtig, in der Einführung. Da rät Dramaturg Konrad Kuhn auch, sich die Fernsehaufzeichnung anzuschauen, in den Großaufnahmen sehe man das besser. Ein Ratschlag, der vielleicht manchen, der einen vierstelligen Betrag für Ring-Tickets gezahlt hat, irritiert zurücklässt.

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Die "Mannen" erscheinen Gunther wie Geister aus der Ring-Uraufführung von 1876

Im letzten Akt schließt sich der Ring zumindest optisch, denn wir kehren zurück zu dem Swimming Pool des Rheingolds, wo das Drama seinen Anfang nahm, nur sieht man das inzwischen leere und überraschend tiefe Becken nun im Querschnitt. Vertrocknete Landschaft in der Ferne. Siegfried und Kind angeln in einer Pfütze am Beckengrund und lassen sich von den im Stile der Walküren-Riege gealterten, aber immer noch sehr schön singenden Rheintöchtern (Lea-ann Dunbar, Stephanie Houtzeel, Katie Stevenson) nicht weiter stören. Aus nicht weiter ersichtlichen Gründen liegt ein gefüllter Benzinkanister herum, mit dem Brünnhilde den Weltenbrand andeuten kann, der dann aber ausbleibt. Stattdessen gibt es eine nüchterne Installation aus weißen Neonröhren im Hintergrund. Und ganz zum Schluss ein Video, das Gegenstück zum Video am Beginn des Rheingolds, wo man zwei sich bekämpfende Föten sah, Alberich und Wotan. Jetzt umschlingen die beiden sich brüderlich-friedlich. Und so lautet die große Botschaft dieses neuen, lang erwarteten Ring des Nibelungen: Habt euch lieb. So schlicht kann ein mehrtägiges Bühnenfestspiel enden.

Das Festspielorchester blieb mit ein paar holprigen Einsätzen eine Spur unter dem eigentlichen Leistungsvermögen, und die musikalische Ausgestaltung unter dem Dirigat von Cornelius Meister erreicht nicht die im Siegfried gehörte Intensität und Stringenz. Meister achtet wie in allen Ring-Teilen sorgfältig darauf, den Sängern den Vortritt zu lassen (und "rettet" umsichtig bei Irrtümern). Er verzichtet auf das große Pathos, dirigiert beweglich und fließend, arbeitet mit schnell wechselnden Klangfarben. Die ganz große Spannung etwa am Ende des ersten Aufzugs oder in den Chören und der "Speereid"-Szene" des zweiten Aufzugs wollte sich nicht einstellen, wie auch dem szenisch nüchternen Weltuntergang ein eher solides als wirklich berührendes akustisches Panorama entgegengestellt wird. Alles in allem keine schlechte, aber auch keine ganz große Interpretation. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Meister diese von vielen Ausfällen und Umbesetzungen überschattete Produktion ja extrem kurzfristig und daher mit geringer Probenzeit von Pietari Inkinen übernommen und ein unter schwierigen Umständen mehr als achtbares, ja: in der Summe beeindruckendes Resultat erzielt hat. Musikalisch ist dieser Ring trotz aller Widrigkeiten ein Erfolg.


Vergrößerung in neuem Fenster Gescheiterte Doppelhochzeit: (von links) Gunther, Siegfried, Gutrune und Brünnhilde

Schwieriger ist das Urteil über die (nach der Götterdämmerung geradezu gehässig niedergebrüllte) szenische Seite. Das Regieteam um Valentin Schwarz erzählt die Geschichte neu, mit einigen entscheidenden Modifikationen, woran man sich aus puristischer Werktreue-Sicht stören mag, aber auch einräumen sollte, dass Schwarz damit eine Reihe von heiklen Punkten in Wagners Dramaturgie angeht, und dessen "Kinder, schafft Neues!"-Verdikt legitimiert sowieso manchen Eingriff. Letztendlich bleibt allerdings eher nicht der Eindruck, dass Schwarz überzeugendere oder auch nur in der Zielsetzung grundsätzlich andere Wege gefunden hätte. Gesehen hat man einen Lebensstil, der hemmungslos auf Kosten unserer Kinder geht (die allerdings selbst sehr schnell zu wenig sympathischen Erwachsenen werden), aber das wird als Leitidee zu wenig greifbar. Harry Kupfer hat in seinem Bayreuther Ring von 1988 ein Schlussbild gefunden, dass ganz ähnliche Gedanken ungleich suggestiver zum Ausdruck brachte: Dort suchten zwei Kinder mit Taschenlampen ihren Weg durch die von der Partygesellschaft verwüstete Welt, und das war ein theatralischer Moment mit Nachwirkung, wie man ihn sich bei Schwarz vergeblich wünscht. Auch die anfänglich aufblitzende "Netflix-Dramaturgie" mit einer vermeintlich zeitgemäßen Erzähltechnik verwässert mehr und mehr und entwickelt sich nicht zum tragfähigen Inszenierungsmuster - auch, weil Schwarz eben viele wichtige Elemente gar nicht oder zu ungenau auf der Bühne zeigt, sich dabei in einer Kleinteiligkeit verliert (wie auch die Bühnenbilder von Andrea Cozzi), die nur von den ersten Reihen aus erkennbar ist. Um ein Kammerspiel im riesigen Festspielhaus zu zeigen, fehlt es dann doch entschieden an handwerklicher Souveränität. Dadurch erschließt sich vieles nur über die Einführungsvorträge des Dramaturgen Konrad Kuhn (die ausschließlich digital angeboten werden) oder zumindest über die "Ring-Erzählung" von Valentin Schwarz, eine modifizierte Inhaltsangabe, die in diesem Jahr absurderweise auch nur digital verfügbar ist (weil man vorab nicht zu viel verraten wollte und die Texte deshalb scheibchenweise immer erst am Tage der Aufführung veröffentlichte?).

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Das Ende aller Pläne am Bauzaun vor dem abbruchreifen Rhein-Schwimmbad: Hagen

Immerhin: Langweilig ist es fast nie, auch wenn die Personenregie keineswegs besonders ausgefeilt daherkommt. Es gibt viel zu sehen (oder zu erahnen), zu deuten und umzudeuten, was eher zu schlüssigen Einzelszenen führt als zu sinnstiftenden Großzusammenhängen - was auf Dauer auch recht nervig ist. In Erinnerung bleibt Wotans Abschied am Schluss der Walküre, der leider keine szenisch konsequente Fortsetzung im Siegfried findet, wo der Wotan-Wanderer doch eher an den Rheingold-Geschäftsmann anknüpft als an den Aussteiger. Aber sonst? Schwarz verzichtet auf Götter und Helden, auf Speere und (oft) Schwerter, auf Mythologie und Geschichtsbewusstsein. Sein historisch heimatloses Personal erscheint dabei nicht allzu interessant. Vielleicht ist das die wesentliche, zeitgemäße Botschaft: Uns wird (als Spiegelbild, darf man unterstellen) eine Gesellschaft von üblen Schurken vorgehalten. Und anders als bei Wagner haben die nicht einmal Größe.


FAZIT

Mit ein paar Abstrichen eine musikalisch gute Aufführung, wie sich dieser Ring überhaupt vor allem hören lassen kann. Szenisch setzt die Götterdämmerung die Schwächen der oft allzu kompliziert gedachten vorangegangenen Teile fort und kann gelungene Episoden nicht überzeugend zu einem bühnenwirksamen Ganzen zusammensetzen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Cornelius Meister

Inszenierung
Valentin Schwarz

Bühnenbild
Andrea Cozzi

Kostüme
Andy Besuch

Dramaturgie
Konrad Kuhn

Licht
Reinhard Traub

Video
Luis August Krawen

Chor
Eberhard Friedrich

Statisterie, Chor und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

* Besetzung der Premiere

Siegfried
* Clay Hilley
Stephen Gould

Gunther
Michael Kupfer-Radecky

Alberich
Olafur Sigurdarson

Hagen
Albert Dohmen

Brünnhilde
Iréne Theorin

Gutrune
Elisabeth Teige

Waltraute
Christa Mayer

1. Norn
Okka von der Damerau

2. Norn
Stéphanie Müther

3. Norn
Kelly God

Woglinde
Lea-ann Dunbar

Wellgunde
Stephanie Houtzeel

Floßhilde
Katie Stevenson


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Der Ring 2022:

Das Rheingold
Die Walküre
Siegfried
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