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Bählamms Fest

Musiktheater in 13 Bildern
Libretto von Elfriede Jelinek
nach The Baa-Lamb´s Holiday von Leonora Carrington
Übersetzung: Heribert Becker
Musik von Olga Neuwirth

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer: ca. 1h 45' (keine Pause)

Eine Produktion der Ruhrtriennale
Premiere am 15. August 2021 in der Jahrhunderthalle Bochum

Die Produktion ist ab 23. August 2021 als Video-on-Demand zu sehen auf www.ruhr3.com/digital

Logo: Ruhrtriennale 2021

Familienaufstellung der besonderen Art

von Stefan Schmöe / Fotos © Volker Beushausen

"Bäääh" macht das Schaf, das tumbe Herdenwesen, und "bääääh" macht dann folglich auch das Lamm, das duldsame Opfertier, das es heilsgeschichtlich immerhin bis zum Agnus Dei gebracht hat, und wenn die jungen Schäfchen, also die Bäh-Lämmer, Weihnachten feiern, dann kann man das in kindlicher Naivität ja durchaus "Bählamms Fest" nennen, obgleich es vielleicht gar nicht so naiv ist, sondern gedanklich den großen Bogen von der Geburt zur Passion schlägt. Aber ganz so pathetisch müssen die Gedanken vielleicht gar nicht sein bei Olga Neuwirths Oper Bählamms Fest, wobei das als Hintergrund schon taugt. Das Lamm an sich hat halt so seine Rolle in der abendländischen Kultur.

Vergrößerung in neuem Fenster Englische Heidelandschaft mit Blockhütte und Nebel in der Jahrhunderthalle

Gerissen werden so einige Lämmer im Umfeld des einsam in der Heide gelegenen englischen Landsitzes der Mrs. Carnis (stimmlich etwas angestrengt: Hilary Summers), und als Täter entpuppt sich alsbald deren Sohn Jeremy (überzeugend: Countertenor Andrew Watts), dessen Vater, und jetzt wird´s schwierig, ein Hund ist, nämlich Mrs. Carnis´ leidlich gut singender Rüde Henry (Graham F. Valentine mit charismatischem Sprechgesang). Dieser Jeremy hat eine Affäre mit Theodora (mit schönem lyrischem Sopran: Katrien Baerts), der jungen Gattin seines öden und despotischen Halbbruders Philipp (etwas blass: Dietrich Henschel). Ein wenig Bewegung in die ungewöhnliche Familienaufstellung kommt durch das Erscheinen von Philipps verschollener ersten Frau Elizabeth (brillant und zupackend in den Koloraturen: Gloria Rehm). Man erfährt, dass Mrs. Carnis in ihrer Kindheit so manches Haustier zu Tode gequält hat, und wie die Grenzen zwischen Mensch und Tier verwischen auch die zwischen Lebendigen und Toten, denn so manches verstorbene Wesen erscheint als Geist. Jenseits des Absurden zeigt sich da eine Gesellschaft, die nicht gerade nett miteinander umspringt.

Vergrößerung in neuem Fenster Familienbande: Im Haus Mrs. Carnis mit totem Schaf, draußen Philipp und seine verschollen geglaubte erste Ehefrau Elizabeth

Die Handlung basiert auf einem surrealen Schauspiel der Malerin, Bildhauerin und Schriftstellerin Leonora Carrington (1917 - 2011) von 1940 - zu der Zeit lebte sie mit Max Ernst zusammen, der vor den Nazis nach Frankreich geflüchtet war, nach Kriegsbeginn aber als Deutscher in Frankreich interniert wurde. Elfriede Jelinek hat daraus das Libretto für Olga Neuwirths 1999 uraufgeführter Oper erstellt, die in 13 Bildern die Geschichte mehr vage umreißt als konkret erzählt. Neuwirth hat eine collagenhafte Musik erstellt, im Grundton aufgebaut aus atonalen Klangentwicklungen, mitunter regelrechten Klangfeldern, aber auch vielen Anspielungen auf sehr unterschiedliche bekannte Formmodelle. Das Kammerorchester und die Stimmen werden oft elektronisch verfremdet und erhalten einen unwirklichen Klang. So gelingt es der Komponistin, den Bildern ganz unterschiedliche Prägungen zu geben, immer wieder irritierende Klangräume zu schaffen, in denen manches scheinbar Vertraute neue Bedeutung erhält. Eine durchaus surreale Musik, in vielen Szenen fesselnd. Das Theremin, ein elektronisches Instrument mit stufenlos veränderbarer Tonhöhe, sorgt für eine sphärisch-gruselige Stimmung. Unter der souveränen Leitung von Sylvain Cambreling spielt das Ensemble Modern beeindruckend sicher.

Vergrößerung in neuem Fenster Hütte mit Videowand

Regie führen Bush Moukarzel und Ben Kidd vom irischen Künstlerkollektiv "Dead Centre". Sie haben gemeinsam mit Ausstatterin Nina Wetzel in die riesige Bochumer Jahrhunderthalle eine formidable Heidelandschaft mit gepflanzt und in die Mitte auf die Drehbühne zwar kein Landhaus, aber eine Holzhütte als Behausung der an den Rollstuhl gefesselten Mrs. Carnis gesetzt. Die Bühnennebel wabern, und in der Abenddämmerung (die Aufführungen beginnen um 21 Uhr) sieht das alles durchaus eindrucksvoll aus. Die Szenerie gemahnt leicht parodistisch an englische Gruselfilme (die erste Schauspielpremiere der Triennale zeigt eine Dramatisierung von Edgar Allan Poes Der Untergang des Hauses Usher; hier geht es entsprechend um den Untergang des Hauses Carnis). Das wird allerdings schnell zum Problem, denn das bildmächtige Ambiente bleibt derart bestimmend, dass die Aufführung keinen Weg mehr hinausfindet. Im englischen Moor wird Jelineks und Neuwirths Bilderfolge aber schnell banal. Sich über das Genre lustig zu machen wäre natürlich viel zu wenig, aber unfreiwillig drängt sich dieser Aspekt in den Vordergrund.

Vergrößerung in neuem Fenster Wolfsmensch Jeremy und Schwägerin Theodora

Die Rückwand der Hütte erweist sich bald als riesiger Bildschirm mit brillant scharfen Bildern. Oft scheint es, als könne man durch diese Wand hindurchblicken in eine andere Welt. Damit gelingen einige ganz starke Momente. Mitunter aber scheint die Technik sich selbst zu genügen, imponieren zu wollen: Schaut her, das alles ist möglich. Wenn sie sich zurücknimmt, drohen andere Gefahren: Die Kostüme von Nina Wetzel sind oft ziemlich peinlich; entstellen mit viel zu eng anliegendem anzugartigem Overall den Jeremy, machen Mrs. Carnis zur leeren Karikatur, und wenn die Geister der gequälten Tiere aus ihrer Kindheit als plüschige Kuschelmonster erscheinen oder die (toll singenden) Knaben der Chorakademie Dortmund als Comicfiguren, dann ist das mehr infantile Albernheit als Surrealismus, weil jegliches Geheimnis fehlt. Die Lämmer treten wie schwarz verschleierte Tempeltänzerinnen auf, die Polizisten kriechen in veralteten Uniformen als Hunde herum wie in einer drittklassigen Polizeikomödie der 1970er-Jahre. Vor allem erwächst aus dieser mal mystischen, mal flapsigen Bebilderung kein Konzept, was diese Oper heute darstellen, ja: bedeuten kann. Vielleicht überlassen wir daher den Lämmern das letzte Wort: "Bäääh".

FAZIT

Ein Kessel Buntes ergibt noch keinen Surrealismus: Musikalisch hat Olga Neuwirths Oper ihre eindrucksvollen und auch wegen ihrer Vielschichtigkeit suggestiven Momente. Szenisch bleibt der Pseudo-Surrealismus allerdings viel zu oberflächlich, da fehlt zwischen Heidelandschaft und high tech die zündende Idee, was das alles eigentlich soll.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Silvain Cambreling

Regie
Death Centre
(Bush Moukarzel
Ben Kidd)

Bühne und Kostüme
Nina Wetzel

Co-Bühne
Charlotte Spichalsky

Co-Kostüme
Anneke Goertz

Video
Jack Phelan

Video Associate
Sebastien Dupouey

Lichtdesign
Patrick Fuchs

Co-Lichtdesign
Stephen Dodd

Choreographie
Anne-Lise Brevers

artistic associate choreography
Olivia Ancona

Dramaturgie
Barbara Eckle

Live-Electronik Performance
José Miguel Fernandez

Live-Electronik und Sound Design
Markus Noisternig
Manuel Poletti
(Music Unit, Paris)

Klabgregie
Norbert Ommer


Ensemble Modern


Solisten

Theodora
Katrien Baerts

Mrs. Carnis
Hilary Summers

Philipp
Dietrich Henschel

Jeremy
Andrew Watts

Robert/Schäfer/Schafbock
Marcel Beekman

Elizabeth
Gloria Rehm

Violet/Mary
Linsey Coppens

Henry
Graham F. Valentine

Spinne/Fledermaus/Mädchen
Solisten des Knabenchores der
Chorakademie Dortmund

Theremin Vox
Lydia Kavina


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