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Klavierfestival Ruhr 2020

Duisburg, Landschaftspark Nord, Gebläsehalle, 25. Juni 2020



Olli Mustonen
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Klavierfestival Ruhr

Beethoven zertrümmern

Von Stefan Schmöe

Eigentlich sollte beim diesjährigen Klavier-Festival Ruhr das gesamte Klavierwerk Beethovens zur Aufführung kommen. Die Absage etlicher Konzerte hat diesen Plan durchkreuzt, aber ein paar selten zu hörende Nebenwerke sind auf den Programmen geblieben, so eine Reihe von frühen Variationen, komponiert zwischen 1795 und 1803, als Beethovens Stern in Wien aufging. Eine gefällige Melodie, die dem Komponisten die Steilvorlage für allerlei Eskapaden bot - das war auch in wirtschaftlicher Hinsicht für Beethoven interessant.

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Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr

Nun hat der finnische Pianist Olli Mustonnen nicht die geringste Lust, sich in den Dienst Beethovens und die Variationen auf den Prüfstand zu stellen. Vielmehr wird das Notenmaterial, obgleich korrekt gespielt, zur Vorlage für eine denkbar freie Neuinterpretation. Schon das erste Thema "Quant'è più bello" aus der Oper La Molinara von Giovanni Paisiello zerlegt Mustonnen mit extremen Lautstärkeunterschieden, Betonungen auf den "falschen" Taktzeiten, scharf abgerissenen Staccati und einem fast immer harten, ja: derben Anschlag. Auf ein sattes Forte folgt völlig unvermittelt ein Pianissimo-Akkord, um dann im Mezzoforte fortzufahren. Das Prinzip zieht sich durch den gesamten ersten Teil des Abends und lässt kaum einmal melodischen Fluss zu. Die Musik klingt permanent bockig, aufsässig, unangepasst - aber nicht im Sinne des "romantischen" Beethovens, sondern eher des dekonstruierenden 20. Oder 21. Jahrhundert. War bei Igor Levit eine Woche zuvor noch jede musikalische Entwicklung aus dem Vorhergehenden legitimiert, alles aufeinander bezogen und einer inneren Logik folgend, so herrscht bei Mustonen ein Prinzip der permanenten Überraschung und Überrumpelung; vieles scheint nicht zusammenzupassen, eine Entwicklung sucht man vergebens. Die musikalische Logik ergibt sich aus höherer Perspektive: Eine erratische Klanglandschaft. "Er folgt der tiefen Überzeugung, dass jede Aufführung den Geist einer Uraufführung atmen sollte, so dass Interpret und Publikum dem Komponisten wie einem Zeitgenossen begegnen können.", so kann man über Mustonen im Programmheft lesen. Das ist angesichts der Interpretation keineswegs übertrieben.

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Foto: Sven Lorenz / Klavier-Festival Ruhr

Nach verschiedenen Variationswerken, darunter über Rule Britannia und God save the King, dann die Waldstein-Sonate. Mustonen wählt im ersten Satz ein extrem schnelles Tempo, gerade eben noch spielbar. Die hämmernden Akkorde des Beginns wollen sich bei ihm vor Strawinskys Sacre du printemps nicht verstecken. Den Vorschlag in der "Echo-Figur" im vierten Takt nimmt er so kurz, dass der Eindruck eines "falschen" Tons entsteht. Bei der modulierten Wiederholung des Akkord-Themas verzögert er ganz leicht die Achtel in der Oberstimme, wodurch der eigentlich unbestechliche Rhythmus ins Rutschen gerät. Der Wahnsinn hat freilich Methode, ist weder Schlampigkeit noch Überforderung: Mustonen setzt solche Irritationsmomente sehr bewusst ein (in der Überfülle haben sie allerdings auch etwas Ermüdendes). Wirkt das Tempo des ersten Satzes bewusst überzogen, so ist das Rondo-Finale bei Mustonen aufreizend statisch angelegt, wodurch das Thema etwas plärrend Naives bekommt. In den Triller-Figuren bricht der Satz geradezu in sich zusammen; die Prestissimo-Coda ist dann als Kontrast zum behäbigen Tempo zuvor eine irre Raserei an der Grenze zum Unspielbaren. Dass hin und wieder Dolce in den Noten steht, ignoriert Mustonen geflissentlich. Der Klang ist geradezu hingerotzt, laut und grob, dass es allen feinfühligen Kolleginnen und Kollegen am Klavier in den Ohren dröhnt: Beethoven ist nicht schön.

Und was soll man nun davon halten? Spannender als viele brav-oberflächliche Spielarten ist Mustonen Berserker-Interpretation durchaus. Jubilar Beethoven wird die kalkulierte Respektlosigkeit wie den immanenten Wahnsinn in Mustonens Spiel verkraften, und dass neben Beethoven eben auch jede Menge Mustonen zu hören ist, muss kein Fehler sein. Der schöpferische Mehrwert des Ansatzes war freilich auch nicht immer herauszuhören. Ein wenig verwunderlich der ziemlich ungebrochene Jubel des Publikums - aber was will man schon machen, wenn man eine der wenigen Karten ergattert hat und dann ein irrer Finne auf einen losgelassen wird. So jedenfalls hört man Beethoven so schnell nicht wieder.




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Klavier-Festival Ruhr 2020
Duisburg, Landschaftspark Nord, Gebläsehalle
25. Juni 2020, 17 Uhr und 20:30 Uhr
(besprochen ist das Konzert um 20:30 Uhr)


Ausführende

Olli Mustonen, Klavier



Programm

Ludwig van Beethoven
Neun Variationen über das Thema „Quant'è più bello“
aus der Oper La Molinara
von Giovanni Paisiello WoO 69

Sechs Variationen über ein
Originalthema op. 34

Fünf Variationen über „Rule Britannia“ WoO 79

Sieben Variationen über
„God save the King“ WoO 78

Zwölf Variationen über den Russischen Tanz
aus dem Ballett Das Waldmädchen
von Paul Wranitzky WoO 71

Sonate Nr. 21 C-Dur op. 53 „Waldsteinsonate"

Zugaben:

Johann Sebastian Bach
Sinfonia Nr. 2 c-Moll BWV 788
Ludwig van Beethoven
Lustig-Traurig WoO54



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