Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Rossini Opera Festival

Pesaro
11.08.2019 - 23.08.2019


L'equivoco stravagante

Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Gaetano Gasbarri
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 50' (eine Pause)

Premiere in der Vitifrigo Arena in Pesaro am 13. August 2019


Homepage

 

Rossini Opera Festival

Homepage

 

Skurrile Geschichte in witziger Opulenz

Von Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival)

Rossinis im Alter von 19 Jahren komponierte erste zweiaktige Buffo-Oper L'equivoco stravagante markiert den Anfang einer Reihe von komischen Opern, die mit L'italiana in Algeri, Il barbiere di Siviglia und La Cenerentola ihren Höhepunkt erreichen sollten. Dass das Werk 1811 bereits nach drei Aufführungen in Bologna abgesetzt wurde, lag weder an der mangelnden Begeisterung des Publikums noch den musikalischen Qualitäten des Stückes. Grund dafür war die Zensur, die das Libretto als zu freizügig und verworfen einstufte. Dabei ging es vor allem um frivole Zweideutigkeiten im Text, die von Rossinis Musik noch unterstrichen wurden. In Mailand wurde sogar ein Aufführungsverbot für das ganze Königreich Italien durchgesetzt. Da die Oper neben den großartigen musikalischen Nummern vor allem von ihrem Sprachwitz lebt, hat man sich in Pesaro entschieden, die Übertitel nicht nur in Italienisch sondern auch in Englisch zu präsentieren, um somit einem größeren Teil des Publikums die Zweideutigkeiten verständlich zu machen. Die Nutzung der im letzten Jahr eingerichteten App über die Mobiltelefone wäre bei der schnellen Abfolge des Textes sicherlich zu schwerfällig und langsam.

Bild zum Vergrößern

Ernestina (Teresa Iervolino) zwischen ihrem Hauslehrer Ermanno (Pavel Kolgatin, links), ihrem Bräutigam Buralicchio (Davide Luciano, 2. von rechts) und ihrem Vater Gamberotto (Paolo Bordogna, rechts)

Die Geschichte behandelt ein Thema, dass zur Entstehungszeit der Oper durchaus noch existent war: das Kastratentum. Auch wenn die Praxis der Kastration zu Beginn des 19. Jahrhunderts eigentlich bereits verboten war, waren Kastraten zu dieser Zeit auf den Opernbühnen und in der Kirche durchaus noch präsent. Einer Anekdote gemäß soll Rossini als Kind angeblich nur durch Intervention seiner Mutter vor einer möglichen Karriere als Sängerkastrat bewahrt worden sein. In der Oper will der neureiche Bauer Gamberotto seine Tochter Ernestina mit dem wohlhabenden und selbstverliebten Buralicchio verheiraten. Ernestina, die sich sehr für Philosophie und Bücher interessiert, wird allerdings auch von dem mittellosen Ermanno geliebt, der von den beiden Dienern Frontino und Rosalia als Philosophielehrer für Gamberottos Tochter ins Haus geschleust wird. Da Ernestina zunächst in ihren Gefühlen zwischen Ermanno und Buralicchio schwankt, lässt Frontino dem designierten Bräutigam einen Brief zukommen, wonach Ernestina eigentlich Ernesto heiße und als kleiner Junge aufgrund einer viel versprechenden Knabenstimme kastriert worden sei. Da er im Anschluss aber doch keine Gesangskarriere eingeschlagen habe, werde er nun als Mädchen ausgegeben, um so nicht zum Militär eingezogen zu werden. Entsetzt zeigt Buralicchio Ernestina als Deserteur an und lässt sie von Soldaten einsperren. Ermanno kann Ernestina aus dem Gefängnis befreien. Zurück bei Gamberotto muss Buralicchio erkennen, dass er hereingelegt worden ist. Gamberotto, der über Buralicchios Verhalten empört ist, gewährt Ermanno die Hand seiner Tochter, während Buralicchio beschließt, sich eine andere Frau zu suchen.

Bild zum Vergrößern

Gamberotto (Paolo Bordogna, 2. von rechts) und Buralicchio (Davide Luciano, rechts) gehen die Vertraulichkeiten zwischen Ernestina (Teresa Iervolino, links) und Ermanno (Pavel Kolgatin, links) zu weit (in der Mitte: Rosalia (Claudia Muschio)).

Das Regie-Team um Moshe Leiser und Patrice Caurier verzichtet auf eine zeitliche Einordnung des Stückes und legt die Geschichte als Karikatur an. Mit überdimensionalen Nasen wirken die Figuren nicht real, so dass die  ganze Komik ausgespielt werden kann, ohne dass man dabei die Logik hinterfragen muss. Agostino Cavalca hat für die Charaktere aufwändige Kostüme entworfen, die in ihrer Opulenz an die Entstehungszeit der Oper erinnern. Dabei suggeriert das wallende Kleid, das Ernestina trägt, keineswegs maskuline Züge, so dass man sich fragt, wieso Buralicchio eigentlich auf diesen Schwindel hereinfallen soll. Die Regie arbeitet hier nur mit der Stimmlage Ernestinas und der musikalischen Gestaltung, um bei Buralicchio den Eindruck entstehen zu lassen, dass es sich bei Ernestina wirklich um einen Ernesto handeln könnte. Christian Fennouillat hat die Bühne in einen riesigen goldenen Rahmen gesetzt, der in einem Gemälde auf der Bühne wieder aufgegriffen wird. Während das beige-farbene Tapetenmuster mit den großen Blumenranken Gamberottos finanziellen Aufstieg suggeriert, deutet das große Gemälde mit den Kühen auf der Rückwand Gamberottos einfache Herkunft an. Im zweiten Akt wird das Bild zu einem Fenster, und eine Kuh blickt neugierig ins Zimmer. Leiser und Caurier arbeiten mit einer ausgefeilten Personenregie und einem sehr spielfreudigen Ensemble die Komik des Stückes wunderbar heraus, auch wenn nicht klar wird, wieso die Figuren zum Schlussgesang ihre langen Nasen abstreifen.

Bild zum Vergrößern

Panik am Ende des ersten Aktes: Das Militär rückt an (Chor und auf der rechten Seite von links: Ernestina (Teresa Iervolina), Frontino (Manuel Amati), Ermanno (Pavel Kolgatin), Gamberotto (Paolo Bordogna) und Buralicchio (Davide Luciano)).

Musikalisch hat dieses Werk einiges zu bieten, was Rossinis Genie ausmacht. Perfekt werden hier bereits in den Ensembles die schnellen Parlando-Stellen angelegt, die von den Herren des von Giovanni Farina einstudierten Coro del Teatro Ventidio Basso und den Solisten mit großer Präzision und punktgenauem Spiel umgesetzt werden. Zu nennen ist hier vor allem das erste Finale, wenn alle irritiert über das anrückende Militär sind. So verwundert es nicht, dass sich Rossini für seine späteren Opern ausgiebig an diesem frühen Werk bedient hat, zumal das Stück ja nach der frühzeitigen Absetzung nicht mehr aufgeführt werden durfte. Carlo Rizzi arbeitet am Pult des Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai die musikalische Vielfalt differenziert heraus und führt den Rossini-typischen Klang in grandiosen Steigerungen zur Perfektion. Die Tenorpartie des Ermanno ist noch nicht so virtuos gestaltet, wie man es aus späteren Opern Rossinis kennt. Pavel Kolgatin verfügt über einen weichen lyrischen Tenor, der beim ersten Auftritt noch ein wenig unsicher wirkt, im weiteren Verlauf die Höhen mit Leichtigkeit sauber aussingt. Irritieren mag auch, dass der Diener Frontino für einen Tenor komponiert ist. Manuel Amatis leichter Spieltenor hat bisweilen ein wenig Schwierigkeiten, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Im Zusammenspiel mit Claudia Muschio als Rosalia punktet Amati hingegen durch große Komik.

Bild zum Vergrößern

Ernestina (Teresa Iervolino) wird als Deserteur von den Soldaten abgeführt.

Die beiden Paraderollen der Oper sind Gamberotto und Buralicchio, die mit Paolo Bordogna und Davide Luciano hochkarätig besetzt sind. Bordogna begeistert als neureicher Bauer, der seine einfache Herkunft nicht verleugnen kann, mit wunderbar komödiantischem Spiel. Schon sein erster Auftritt gelingt grandios, wenn er sich über die ihn plagenden Insekten beschwert, die keinen Unterschied zwischen Arm und Reich machen, und er sich permanent kratzend über die Bühne bewegt. Stimmlich glänzt er durch einen kräftigen Bariton, der die schnellen Läufe und Parlando-Stellen in Perfektion beherrscht. Luciano gestaltet den Buralicchio als herrlich selbstverliebten Geck, vor dem kein Rock sicher ist. Schon in seiner Auftrittskavatine punktet er durch markante Tiefen und flexible Stimmführung. Im Zusammenspiel mit Bordogna treibt er die Komik auf die Spitze. Wie Schwiegervater und Schwiegersohn in spe sich gegenseitig mit Schmeicheleien überhäufen, lässt schon fast den Eindruck gewinnen, dass die beiden besser zusammenpassen als Buralicchio und Ernestina. Teresa Iervolino verfügt als Ernestina über einen sehr dunklen Mezzosopran, der zu Ausbrüchen in dramatische Höhen fähig ist. Mit hervorragender Diktion gestaltet sie die Rezitative und Parlando-Stellen mit sehr tiefer Stimme, so dass trotz aller weiblicher Optik durchaus die Frage aufkommen kann, ob sich hinter ihr nicht vielleicht doch ein Mann verbirgt. Dabei punktet sie mit einer herrlich gespielten Naivität, wenn sie ganz in ihrer eigenen Welt der Bücher lebt. Herrlich komisch gelingt ihr Versuch im zweiten Akt, Buralicchio zu verführen, wenn dieser sie für einen Mann hält. Ihre von Ermanno ermöglichte Flucht aus dem Kerker mit dem anschließenden feurigen Appell an die Soldaten gestaltet sie mit großer Theatralik, die die Ironie der Szene auf die Spitze treibt. So gibt es am Ende verdienten Jubel für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

FAZIT

Moshe Leiser und Patrice Caurier zeigen, dass die Komik dieses Frühwerks Rossinis ohne Aktualisierung funktioniert. Was die Musik betrifft, hätte das Werk bei aller Verrücktheit der Handlung einen Platz im Repertoire verdient.

Weitere Rezensionen zu dem Rossini Opera Festival 2019



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Carlo Rizzi

Regie
Moshe Leiser
Patrice Caurier

Bühnenbild
Christian Fennouillat

Kostüme
Agostino Cavalca

Licht
Christophe Forey

Chorleitung
Giovanni Farina



Coro del Teatro Ventidio Basso

Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai


Solisten

Ernestina
Teresa Iervolino

Gamberotto
Paolo Bordogna

Buralicchio
Davide Luciano

Ermanno
Pavel Kolgatin

Rosalia
Claudia Muschio

Frontino
Manuel Amati

 


Zur Homepage vom
Rossini Opera Festival




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -