Dieser feurige Engel hat tatsächlich Feuer. Die Inszenierung von Mariusz Treliński sorgt - neben der Wiederaufnahme der Zauberflöte - eindeutig für den künstlerischen Höhepunkt dieses Festspieljahrgangs. Dem künstlerischen Leiter der polnischen Nationaloper gelingt es auf frappierende Weise, zum Kern von Prokofjews Oper vorzudringen, ihren psychologischen Kern freizulegen und damit Spannung zu erzeugen und zu halten. Der Regisseur glaubt offensichtlich nicht an den Teufel. Er braucht weder göttliche noch teuflische Erscheinungen, die seine Renata bedrängen. Hier ist es die Diagnose von Traumata, mit denen sie in einer Welt aus den Fugen und voller Drogen und Gewalt nicht überleben kann. Die Heldin taumelt auf ihr Ende zu, als wäre sie in einem Film von David Lynch. Man merkt der Bühne von Boris Kudlička, aber auch den Kostümen von Kaspar Glarner und dem Licht von Felice Ross an, dass Treliński Absolvent einer Filmschule (von Lodz) ist.
Renata und Duschvorhang
Die szenische Uraufführung von Prokofjews Oper gab es erst zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten (1891-1953), der am gleichen Tag wie Josef Stalin starb, in der Regie von Giorgio Strehler in Venedig. Selbst die konzertante Uraufführung kam erst 1954 zustande, das Publikum in der Heimat des Komponisten musste sogar bis 1983 auf das Werk warten. Prokofjew hat sich das Libretto in den zwanziger Jahren aus dem Roman des russischen Schriftstellers Walerie Brjussow aus dem Jahre 1908 destilliert. Der führt uns in 16. Jahrhundert ins mittelalterliche Köln. Dort wird die geheimnisvolle Renata seit ihrer Kindheit von der Vision eines feurigen Engels verfolgt, der für sie das Objekt einer sexuellen Obsession ist. Was sich heutzutage, jenseits des historischen Kontextes, kaum anders als die Verdrängung einer Missbrauchserfahrung deuten lässt. Renata sehnt die Begegnung mit diesem Engel herbei und glaubt, dass er ihr in Gestalt eines Grafen, der sie wieder verlassen hat, tatsächlich begegnet ist.
Kaltes Neonlicht scheint ins Hotel
Die Handlung setzt ein, wenn sie dem Ritter Ruprecht begegnet. Der erliegt schnell ihrer Faszination. Sie bringt ihn dazu, jenen Grafen aufzuspüren und zum Zweikampf zu fordern. Ruprecht wird schwer verwundet. Das historische Gewand der Geschichte fordert seinen Tribut, wenn Renata am Ende in die Fänge der Inquisition gerät und auf dem Scheiterhaufen endet.
Die Bühne ist eine nächtliche Hotelszene in einer undefinierten Stadt. Ein Konstrukt auf drei Ebenen mit neun Räumen, samt Fahrstuhl und Komfort der Moderne. Kaltes Neonlicht von außen. Merkwürdiges Personal in der Lobby. Deprimierende Zimmer. Der Hilfeschrei einer Frau hinterm Duschvorhang wie in einem Hitchcock Film. Hier checkt Ruprecht ein und bezieht sein Zimmer. Schnell ist klar, dass das Ganze nichts Gutes verheißt. Nachdem er es sich gerade halbwegs bequem gemacht hat, muss er einer Frau zu Hilfe eilen. Sie glaubt sich verfolgt. Er meint, sie beschützen zu müssen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Musikalisch und szenisch eine eskalierende Höllenfahrt. Liebe oder besser Begehren und Besessenheit kreuzen sich in Gestalt von Renata mit Wahnsinn. Diese explosive Mischung kann sich durchaus mit Salome und Elektra von Richard Strauss oder der Penthesilea von Otmar Schoeck messen.
Triste Zweisamkeit: Ruprecht und Renata
Im Kern geht es um die (Nicht-)Beziehung von Renata und Ruprecht, aus der Ruprecht gerne eine Beziehung machen würde. Gegen das Phantom in dieser Dreiecksgeschichte - mit jenem Engel Madiel - hat er keine Chance. Die Litauerin Ausrine Stundyte ist derzeit auf die Rolle der Renata abonniert. Sie wurde dafür schon in Lyon und München gefeiert, auch weil sie den Überlebenswahnsinn in jeder Spielart glaubhaft darzustellen vermag. Scott Hendricks als Ruprecht ist ein Partner auf Augenhöhe. Auch alle weiteren Partien bis hin zum hervorragenden Chor sind in dieser musikalisch und szenisch überaus geschlossen wirkenden Produktion hervorragend besetzt. Besonders Andrei Popov in den Rollen von Mephistopheles und Agrippa von Nettesheim, Krzysztof B?czyk als Faust und Inquisitor (blind und ganz in rätselhaft entrücktem Weiss), sowie Pavlo Tolstoi als dealender Jakob Glock und Arzt profilieren ihre Rollenporträts in dem entfesselten Panoptikum.
Renata und der "Inquisitor"
Kazushi Ono spielt seine Erfahrung im Umgang mit dieser Oper mit dem Orchester de Paris voll aus. Er peitscht die Musik in den diabolischen Höhepunkten auf, ohne in ein Dauerexpressivo zu verfallen. Bis hin zum eskalierenden Finale einer klösterlichen Massenhysterie, die hier nach einem Mädcheninternat aussieht. Hier entfaltet die Musik ihren rauschhaften Sog und ist dabei irritierend und verstörend.
FAZIT
Eine imponierend gelungenes Gesamtkunstwerk - musikalisch und szenisch auf Festivalniveau.
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