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Musikfestspiele
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Ruhrfestspiele Recklinghausen
01.05.2017 - 18.06.2017

Willkommen - Ein deutscher Abend

Integrations-Revue von Franz Wittenbrink
mit Textbeiträgen von Horst Schroth, Sören Sieg, Ulrich Waller und dem Ensemble

Aufführungsdauer: ca. 1 h 55' (keine Pause)

Produktion des St. Pauli Theaters Hamburg (Uraufführung 14.09.2016)

Premiere im Theater Marl am 16. Mai 2017

 

 

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Schaffen wir das?

Von Thomas Molke / Foto: © Oliver Fantitsch

Seit Franz Wittenbrink 1995 mit seinem Liederabend Sekretärinnen einem ganzen Berufsstand ein musikalisches Denkmal gesetzt hat, werden seine Revuen von zahlreichen Theatern gerne auf den Spielplan gestellt und sind in der Regel Garant für ein ausverkauftes Haus. So stand das musikalische Schauspiel Die Comedian Harmonists über die erste deutsche "Boygroup" in den letzten Jahren in nahezu jedem Theater in Nordrhein-Westfalen als Publikumsrenner auf dem Spielplan. Nachdem Wittenbrink sich in den Folgejahren auf satirische Weise unter anderem den Männern, Müttern oder Eltern im Allgemeinen gewidmet hat, knöpft er sich nun die Deutschen samt ihrem Gutmenschentum vor und hat im Oktober 2016 am St. Pauli Theater Hamburg eine, wie er es nennt, "Integrations-Revue" herausgebracht, die das Thema Flüchtlingspolitik äußerst polarisierend unter die Lupe nimmt und daher von der Tageszeitung Die Zeit als "das erste Musical für AfD-Anhänger in Hamburg" tituliert wurde. Im Rahmen der Ruhrfestspiele kann man sich nun im Theater Marl selbst eine Meinung darüber bilden, ob diese Bezeichnung angemessen ist oder ob man auch mal die "political correctness" über Bord werfen darf und dabei über die Gutmenschen schmunzeln darf, ohne dabei sofort dem politisch rechten Lager zugeordnet zu werden.

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Einladung zu einem Integrationsabend: von links: Herr Ekmek (Rainer Piwek), Manni Groninger (Holger Dexne), Heinz Möller (George Meyer-Goll), Sandra (Victoria Fleer), Daniela Kletzke (Anne Weber), Charlotte Möller (Susanne Jansen) und Günther Urbanczyk (Stephan Schad)

Ausgangspunkt der Revue ist eine Feier, die eine engagierte Gruppe von Privatpersonen unter dem Namen "Privates Flüchtlings-Organisations-Komitee" (kurz "PFOK") für die geflüchteten Menschen in ihrer Unterkunft organisiert hat. Natürlich ist diese Unterkunft eine Turnhalle, die mehr schlecht als recht hergerichtet ist. Die kleinen Blumensträuße, die rechts und links auf der Bühne aufgestellt worden sind, wirken sehr verloren in dem riesigen Saal, aber "Wir müssen ja sparen", wie der Kassenwart des Vereins, Günther Urbanczyk (Stephan Schad), immer wieder betont. Die in unterschiedlichen Farben aufgehängten Buchstaben des Wortes "Willkommen" wirken genauso kindlich naiv wie das weiße Spruchband mit dem Namen der Organisation, das sich während des Abends immer von der Rückwand löst. Dass die Uhr stehen geblieben ist und nun fünf Minuten vor zwölf anzeigt, erweckt genauso einen leicht bedrohlichen Eindruck wie die Anzeige 2:1 für die Gäste. Doch natürlich lassen sich die Veranstalter davon genauso wenig die Freude an der kleinen Feier verderben wie von den zahlreichen Auftritten der Menschen, die bestehende Missstände kritisieren.

Dabei wird kaum ein Klischee ausgespart. Natürlich darf die ewige Studentin Sandra (Victoria Fleer), Abteilung Geisteswissenschaften, nicht fehlen, die immer wieder darauf hinweist, dass der Begriff "Flüchtlinge" nicht korrekt sei und man von "Geflüchteten" zu sprechen habe. Fast schon militant fordert sie Verständnis für die anderen Kulturen ein und empört sich darüber, dass man von einem Mann erwarten könne, einer Frau die Hand zu geben, wenn es doch in seinem Kulturkreis nicht üblich sei. Ihr Studium hat sie mittlerweile an den Nagel gehängt und sieht ihre Bestimmung darin, gesammelte Kleiderspenden zu sortieren. Auch der alteingesessene türkische Klempner Herr Ekmek (Rainer Piwek) ist dabei, der weder unter den jungen Ausländern noch unter den Deutschen einen geeigneten Lehrling findet, der bereit ist zu arbeiten. Fast Angst bekommt man vor der salbungsvollen Stimme des Pfarrers Immelmann (George Meyer-Goll), der den Wohlstand der westlichen Bevölkerung als Grund dafür anführt, dass die Kirchen im Gegensatz zu den Moscheen leer seien, und der mit mehr oder weniger passenden Bibelzitaten Konsumverzicht einfordert. Und wenn die passionierte Deutschlehrerin Daniela Kletzke (Anne Weber) von ihren Erfolgen in ihrem Deutsch-Integrationskurs vorschwärmt und dem Publikum erklärt, welche Ausdrücke man in Deutschland beherrschen müsse, um über die Runden zu kommen, fragt man sich im Publikum erschrocken: Sind wir wirklich so? Da ist es kein Wunder, dass die motivierte und ständig positive Stimmung verbreitende Leiterin des Abends, Charlotte Möller (Susanne Jansen), Trost im Alkohol sucht und am Ende völlig betrunken auf dem aufgestellten Feldbett liegt.

Musikalisch bietet der Abend ein buntes Kaleidoskop von deutschem Liedgut über kurze Ausflüge in die klassische Musik bis hin zu Schlager und Pop. Als Ouvertüre erklingt die deutsche Nationalhymne in leicht abgewandelter Form. Später präsentiert Rainer Piwek sie auch noch einmal mit orientalischen Anklängen. Wenn Susanne Jansen mit dem Ensemble zum Meistersingerfinale aus Wagners Oper ansetzt, stellt sich die Frage, welche "deutschen" Werte den Neuankömmlingen in dieser Unterkunft eigentlich vermittelt werden sollen, zumal Jansen dazu auch noch mit einem Helm zu einer deutschtümelnden Walküre ausgestattet wird. Da bleibt ihr hinterher leicht alkoholisiert wirklich nur noch "Trinke, Liebchen, Alkohol" aus Die Fledermaus übrig, frei nach dem Motto: "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist." Auch das Publikum darf im Kanon mitsingen, passender Weise "Froh zu sein bedarf es wenig". Ein Lied der Comedian Harmonists darf auch nicht fehlen, und so gibt es passend zur Integration "Ali Baba". Witzig gelingt auch die Umdeutung des Songs "Our House" zu "Das Ömohau", bei dem Holger Dexne als Herr Hanfnagel eine zweckmäßige Unterkunft für die Flüchtlinge vorstellt, in der sie ihren Strom selbst erzeugen. Im Gedächtnis bleibt auch der Auftritt von Jansen, Fleer und Weber mit dem rockigen Song "Boy, oh Boy" in schwarzer Burka.

Wenn dann am Ende alle das Lied "Wir sitzen so fröhlich beisammen" anstimmen, wird man im Publikum schon nachdenklich, ob diese besungene Fröhlichkeit überhaupt noch angebracht ist, und so steht das Mantra der Kanzlerin "Wir schaffen das" wieder als Frage im Raum, wie es zuvor schon einmal vom Ensemble mit Merkel-Raute vorgetragen worden ist. Das Publikum belohnt das Ensemble und die drei Musiker mit großem Applaus und wird mit "Der Mond ist aufgegangen" als Zugabe belohnt, bevor sich der Vorhang dann nach knapp zwei kurzweiligen Stunden schließt.

FAZIT

Franz Wittenbrink ist es mit dieser Revue gelungen, einen kritischen und dabei auch unterhaltsamen Blick auf die Deutschen und ihren Umgang mit den Flüchtlingen zu werfen. Anders als Sekretärinnen oder seine anderen Revuen dürfte dem Abend allerdings nicht eine so lange Laufzeit beschert sein, da er einen gewissen Aktualitätsbezug benötigt.

Weitere Rezensionen zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen 2017

 

Produktionsteam

Regie
Franz Wittenbrink

Musikalische Leitung
Franz Wittenbrink /
Mathias Weibrich

Bühne
Nina von Essen /
Rena Donsbach

Kostüme
Nini von Selzam

Licht
Melanie Voll

Choreographie
Hakan T. Aslan



 

Trompete, Keyboard
Jan-Peter Klöpfel

Gitarre, Bratsche, Drums, E-Bass
Matthias Pogoda

Klavier, Keyboard, Akkordeon
Franz Wittenbrink /
Mathias Weibrich

 

Solisten

Charlotte Möller
Susanne Jansen

Heinz, Charlottes Mann / Pfarrer Immelmann
George Meyer-Goll

Günther Urbanczyk
Stephan Schad

Sandra / Polizistin
Victoria Fleer

Daniela Kletzke / Frau von Reizenstein
Anne Weber

Mann Groninger / Herr Hanfnagel / Ein Autonomer
Holger Dexne

Özgür Ekmek / Herr Emir
Rainer Piwek

 

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Ruhrfestspiele Recklinghausen
(Homepage)



Da capo al Fine

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