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Musikfestspiele
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Ruhrfestspiele Recklinghausen
01.05.2017 - 18.06.2017

Sechs Personen suchen einen Komponisten

Musiktheaterabend von Claude Lenners nach Luigi Pirandello

Aufführungsdauer: ca. 1 h 40' (keine Pause)

Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg und dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

Premiere im Kleinen Ruhrfestspielhaus Recklinghausen am 13. Juni 2017

 

 

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Auf der Suche nach einem Komponisten

Von Thomas Molke / Fotos: © Bohumil Kostohryz

Sechs Personen suchen einen Autor gilt nicht nur als das bekannteste Stück des sizilianischen Nobelpreisträgers Luigi Pirandello, sondern schuf auch die Grundlage für das moderne Drama und ließ seinen Autor in kurzer Zeit zu einem der führenden Dramatiker des 20. Jahrhunderts avancieren. Mit der sechsköpfigen Familie, die in eine Theaterprobe hineinplatzt und vom Theaterdirektor fordert, dass ihre Geschichte aufgeführt werde, konfrontierte Pirandello das Publikum mit einer neuen Perspektive, bei der die Trennung zwischen Zuschauern und Akteuren aufgehoben wird. Frank Hoffmann, der künstlerische Leiter der Ruhrfestspiele, hat sich nach eigenem Bekunden bei aller Faszination für das Stück immer an der ersten Szene gestört, die einen Probencharakter darstellen soll, durch die vorgegebenen festen Dialoge jedoch ihren Probencharakter verliert. Deshalb hat er sich gemeinsam mit dem Komponisten Claude Lenners für die Ruhrfestspiele überlegt, die Theaterprobe durch eine Orchesterprobe zu ersetzen. Die sechs Personen sind nun nicht mehr auf der Suche nach einem Autor, sondern einem Komponisten, der ihre Geschichte erzählt.

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Die Stieftochter (Marie Jung, vorne) tanzt Foxtrott (im Hintergrund von links: das kleine Mädchen (Beniko Döhler), die Mutter (Petra Schmidt), der kleine Junge (Theo Lieser) und der Vater (Ulrich Gebauer)).

An der Grundkonstellation des Stückes von Pirandello ändert sich dabei nicht viel. Die Schauspieler und Bühnenarbeiter der Vorlage werden durch insgesamt sieben Musikerinnen ersetzt, die sich zu Beginn des Abends auf einer Art Hinterbühne zu einer Probe zusammenfinden. Die Probensituation wirkt in der Darstellung ein wenig hölzern. So deklamiert Tomas Möwes als Theaterdirektor, der hier eigentlich ein Dirigent ist, übertrieben theatralisch, wenn mitten im Spiel sein Telefon klingelt und er seinem "Schatz" laut flüsternd erklärt, dass er jetzt nicht telefonieren könne. Überzeugen kann hingegen Monique Simon, die große Komik entfacht, wenn sie als leicht schusselige Putzfrau während der Probe eigentlich für Ordnung sorgen will, dabei aber ständig etwas umschmeißt und die Musikerinnen, vor allem aber den Theaterdirektor, permanent stört.

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Der Theaterdirektor (Tomas Möwes, links) lauscht dem Sohn (Tobias Glagau, vorne Mitte) (im Hintergrund von links: die Mutter (Petra Schmidt), das kleine Mädchen (Beniko Döhler), der kleine Junge (Theo Lieser) und die Stieftochter (Marie Jung)).

Die sechsköpfige Familie entspricht genau der Vorlage Pirandellos und erzählt mit der sexuellen Beziehung zwischen dem Vater und der Stieftochter, die von Madame Pace zur Prostitution gezwungen wird, den zwei Männern der Mutter und dem tragischen Tod der beiden kleinen Kinder die bekannte Geschichte, bei der nicht wirklich nachvollziehbar wird, wieso diese Geschichte jetzt ein Stück des Musiktheaters werden soll. Lediglich die Mutter und der Sohn sind mit Petra Schmidt und Tobias Glagau mit zwei Opernsängern besetzt, während der Vater und die Stieftochter mit Ulrich Gebauer und Marie Jung von zwei Schauspielern dargestellt werden. Dass Vater und Stieftochter folglich einen Komponisten suchen, um ihr Stück auf die Bühne zu bringen, ist nicht wirklich schlüssig.

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Das kleine Mädchen (Beniko Döhler, Mitte) spielt Violine (links: die Mutter (Petra Schmidt) und die Stieftochter (Marie Jung), in der Mitte: der Vater (Ulrich Gebauer), rechts: der Theaterdirektor (Tomas Möwes) und Madame Pace (Monique Simon)).

Auch die vier "musikalischen Säulen", auf denen laut Programmheft Lenners' Musik fußt und die Lenners als Entwicklung "von der Theaterszene zur Opernszene" bezeichnet, erschließen sich nicht wirklich. Lenners mischt hierbei unterschiedliche Musikstile, inspiriert von einem Satz der Stieftochter, in dem sie die Familie als Bastarde bezeichnet. Den Anfang macht moderne zeitgenössische Musik, die anstelle einer Ouvertüre steht und die Orchesterprobe darstellt. Wenn die Stieftochter dann mit der Geschichte der Familie beginnt, erklingt eine Art Slow-Foxtrott der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, der in seinem Stil an Kurt Weill erinnert. Auch Pirandello hat in seinem Urtext an dieser Stelle Foxtrott verlangt. In der dritten "Säule" überlagern sich dann Foxtrott-Klänge mit disharmonischer moderner Musik, die die düstere Welt des Bordells der Madame Pace heraufbeschwören. Die Putzfrau schlüpft jetzt in die Rolle der Puffmutter, wobei sie ihren Mopp wie ein Zepter vor sich herträgt. Auch die Musikerinnen ziehen sich um und erscheinen als leichte Damen, was zwar vielleicht nett anzusehen ist, die musikalische Entwicklung aber nicht weiterbringt.

Bewegend gelingt dann die Todesszene der beiden Kinder. Beniko Döhler spielt als kleines Mädchen vorher noch auf unterschiedlichen Instrumenten eine Variante von "Morgen kommt der Weihnachtsmann", bevor sie schließlich in eine Kiste steigt. Theo Lieser spielt den kleinen Jungen beeindruckend abwesend, so dass sein Verschwinden in einem Schrank mit dem anschließenden Schuss unter die Haut geht. Es folgt eine Vertonung des "Mater Dolorosa", bei dem der Schmerz der Mutter über den Verlust der beiden Kinder greifbar wird. Trotzdem erhält Petra Schmidt musikalisch kaum die Möglichkeit, das Leid der Mutter in angemessener Operntragik zu präsentieren. Ihre Figur bleibt in der Inszenierung sehr blass, was aber weniger Schmidt als vielmehr dem Konzept des Stückes angelastet werden muss. Gleiches gilt für Tobias Glagau als Sohn, der ebenfalls kaum Gelegenheit hat, seine Rolle musikalisch zu entfalten.

Die Hauptfiguren bleiben der Vater und die Stieftochter, die von Gebauer und Jung eindringlich dargestellt werden. Da Jung sich vor ein paar Tagen den Fuß gebrochen hat, ist sie gezwungen, ihre Rolle im Rollstuhl zu spielen. Mit ihrer überbordenden Bühnenpräsenz schafft sie es aber, diesen Rollstuhl so in ihr Spiel einzubauen, als ob es von der Regie so vorgesehen wäre. So avanciert die Stieftochter zur eigentlichen zentralen tragischen Figur des Abends. Gebauer begeistert ebenfalls durch klare Diktion und intensives Spiel. Dass einzelne Zuschauer im nahezu ausverkauften kleinen Haus während des Stückes den Saal verlassen, lässt sich nur so erklären, dass sie nicht wussten, auf was für ein Stück sie sich an diesem Abend eingelassen haben. Wer Pirandellos Stück mag, wird auch in der Bearbeitung von Claude Lenners und in der Regie von Frank Hoffmann auf seine Kosten kommen, wie der abschließende Applaus am Ende beweist.

FAZIT

Man hätte diesen Abend auch unter dem Originaltitel von Pirandellos Stück spielen können. Zu einem richtigen Musiktheaterabend entwickelt sich das Stück trotz der eingefügten Musik von Claude Lenners nicht. 

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Produktionsteam

Regie
Frank Hoffmann

Bühne und Licht
Jean Flammang

Kostüme
Susann Bieling

Dramaturgie
Sofiane Boussahel



 

Musik
Erika Araki (Violine 1)
Nicola Borsche (Violine 2)
Kerstin Grötsch (Klarinette)
Annette Reifig (Klavier)
Karolin Scholz (Violoncello)
Annett Wedmann (Flöte)
Gisèle Blondeau (Kontrabass)

 

Solisten

Der Vater
Ulrich Gebauer

Die Mutter
Petra Schmidt

Die Stieftochter
Marie Jung

Der Sohn
Tobias Glagau

Der kleine Junge
Theo Lieser

Das kleine Mädchen
Beniko Döhler

Die Putzfrau / Madame Pace
Monique Simon

Der Theaterdirektor
Tomas Möwes

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Ruhrfestspiele Recklinghausen
(Homepage)



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