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Musikfestspiele
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33. Tage Alter Musik Regensburg
2. bis 5. Juni 2017


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Tage Alter Musik Regensburg

Musik im Wandel der Zeiten: Von der Ars Nova zur Supernova

Die 33. Tage Alter Musik in Regensburg

Text und Fotos von Ingo Negwer

Mit Joseph Haydns Sinfonie C-Dur Nr. 38 eröffnete das L'Orfeo Barockorchester die 33. Tage Alter Musik in Regensburg. Wie im vergangenen Jahr gestalteten die Österreicher zusammen mit den Regensburger Domspatzen in der Dreieinigkeitskirche den Auftakt des viertägigen Festivals, das zu Pfingsten nach wie vor ein großer Publikumsmagnet ist. Vierzehn der sechzehn Konzerte waren teils seit Monaten ausverkauft, so Mitbegründer und -veranstalter Ludwig Hartmann.

Das Eröffnungskonzert war ganz dem Schaffen Joseph Haydns gewidmet. Dessen Salve Regina E-Dur wirkte im Anschluss an die Sinfonie wie ein stilles, sehr persönliches Gebet, von Hannah Morrison zusammen mit L'Orfeo und den Domspatzen unter der Leitung von Roland Büchner eindringlich gestaltet. Die Sängerin, als Mitglied der Renaissancegruppe Pantagruel vielen noch in bester Erinnerung, blickt inzwischen auf eine beachtliche Karriere zurück. In Regensburg ließ ihr glockenreiner, heller Sopran nicht nur im Salve Regina aufhorchen, sondern auch in der Cäcilienmesse. Neben Hannah Morrison agierten in dieser großen festlichen Messvertonung als Solisten Dorothée Rabsch (Alt), Michael Mogl (Tenor) und Johannes Weinhuber (Bass). Die Domspatzen präsentierten sich einmal mehr als stimmtechnisch und gestalterisch exzellent geschulter Chor.


Vergrößerung in neuem Fenster The Gesualdo Six in der Schottenkirche

Mit The Gesualdo Six stellte sich im Nachtkonzert ein erst 2014 gegründetes Vokalensemble aus Großbritannien vor. Die sechs Sänger und ihr Leiter Owain Park nahmen das Publikum mit auf eine hörenswerte Reise durch die Musik der englischen Renaissance. Das Spektrum reichte von einer noch spätmittelalterlichen isorhythmischen Motette von John Dunstable über John Taverner bis hin zur elisabethanischen Epoche mit Werken von Thomas Tallis und William Byrd. The Gesualdo Six entfalteten ein ruhig fließendes, perfekt aufeinander abgestimmtes Geflecht durchweg exzellenter Stimmen. Als schließlich kurz nach Mitternacht der letzte Akkord von Thomas Tomkins When David heard in der Schottenkirche verklungen war, feierten die Zuhörer das junge Ensemble mit frenetischem Applaus. The Gesualdo Six sind sicherlich die Entdeckung der Tage Alter Musik 2017!

Mittelalter im neuen Gewand

Das deutsche Bläserensemble Les Haulz et les Bas, bereits 2013 zu Gast bei den Tagen Alter Musik, gab am Samstagmittag zunächst ein Konzert in den Straßen und auf den Plätzen der Regensburger Altstadt mit Musik des Spätmittelalters, ehe es im Leeren Beutel sein aktuelles Programm Ars Supernova vorstellte. Jahrhunderte alte Melodien leuchten - gleich dem astronomischen Phänomen einer Supernova - im neuen Gewand von Jazz-Improvisationen hell auf, um anschließend wieder zu verlöschen. Ist das noch historische Aufführungspraxis? Ist das erlaubt? Egal. Letztlich stellt sich jedem Interpreten, ob Purist oder Crossover-Jünger, die Frage, wie Musikwerke längst vergangener Zeiten einem heutigen Publikum nahezubringen sind. Gesine Bänfer, Ian Harrison, Nathaniel Wood, Miguel Tantos und Andrea Piccioni wählten einen besonderen Weg. Neben Schalmei, Zugtrompete, Pommer etc. griffen sie zu Saxophon und moderner Posaune, luden Mike Schweizer (Sax), Jeffrey Miller (Tuba), Thomas Bergmann (Gitarre), Florian Döling (Kontrabass) und Rolf Kilchling (Druns) zu diesem gemeinsamen Projekt ein und ließen die Musik schließlich über eine Anlage tontechnisch abmischen. Ein durchaus gelungenes Experiment, das Ausführenden wie Publikum gleichermaßen Spaß machte.

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Les Haulz et les Bas in der Regensburger Altstadt

Mit größerem Anspruch auf Authentizität zeichnete das Ensemble Masques in der St. Oswald-Kirche den Weg norddeutscher und österreichischer Musik aus den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges hin zu neuer Blüte nach. Die kanadische Formation musizierte ausgewogen und unaufdringlich. Daniel Guillon fügte sich mit weichem Countertenor sensibel in diese Klangästhetik ein. Kompositionen, wie Johann Heinrich Schmelzers Lamento sopra la morte Ferdinandi III oder Dietrich Buxtehudes Muß der Tod denn auch entbinden, kam dieser Interpretationsansatz sehr entgegen. Hingegen vermisste man über weite Strecken die für Schütz, Buxtehude, Schmelzer, Biber und Zeitgenossen so typische, an italienischen Vorbildern orientierte Expressivität.


Vergrößerung in neuem Fenster Les Haulz et les Bas im Leeren Beutel

Überzeugender agierten am Abend Scherzi Musicali in der Dreieinigkeitskirche. Unter der Leitung von Nicolas Achten stellten die Belgier das geistliche Oratorium La Maddalena von Antonio Bertali, 1663 in Wien uraufgeführt, als Hauptwerk ihres Programms vor. Nicht nur in der Person des Komponisten wurde der Einfluss der italienischen Musik auf den Wiener Kaiserhof deutlich, sondern auch stilistisch durch vorangestellte Werke von Claudio Monteverdi, Domenico Mazzochi, Salomone Rossi u.a., die anlässlich einer früheren Aufführung zu Ehren der Maria Magdalena 1617 in Mantua komponiert wurden. Die hervorragenden Instrumentalisten boten den angemessenen Rahmen, in dem die Sänger Deborah Cachet (Sopran) Pauline Claes (Mezzosopran), Reinoud van Mechelen (Tenor), Nicolas Achten (Bariton) und Sönke Tams Freier (Bass) ihre durchweg vorzüglichen Stimmen entfalten konnten.

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Scherzi Musicali

Zu vorgerückter Stunde waren im Reichssaal anschließend Werke von Juan Hidalgo zu hören. Seine Tonos, Villancicos und Theatermusiken schöpfen aus der Fülle der iberischen Volksmusik und ihrer vitalen Rhythmik. La Grande Chapelle nahm sich mit Verve dem geistlichen und weltlichen Schaffen des spanischen Barockmeisters an. Interpreten und Publikum hatten allerdings unter den kaum erträglichen klimatischen Bedingungen einer tropischen Nacht zu leiden. Dem vorzüglichen Ensemble wäre ein angemessenerer Rahmen zu wünschen gewesen. Doch die alten Gemäuer, in denen die Konzerte stattfinden, sind - zumeist ein Segen für das Festival - manchmal auch Fluch zugleich.

Sternstunde mit Händel

Am Sonntagnachmittag feierte das französische Ensemble Alia Mens mit frühen Kantaten von Johann Sebastian Bach seine erfolgreiche Deutschlandpremiere. In solistischer Besetzung mit Maïlys de Villoutreys (Sopran), Pascal Bertin (Altus), Jeffrey Thompson (Tenor) und Etienne Bazola (Bass) gelangen überzeugende Interpretationen der Weimarer Kantaten Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen und Gleich wie der Regen und Schnee vom Himmel fällt. Einige wenige Abstimmungsprobleme und gelegentliche Defizite in der Textverständlichkeit, die dem Nachhall der Alten Kapelle geschuldet gewesen sein mögen, konnten den Gesamteindruck nur wenig trüben. Den Höhepunkt des Konzerts bildete der Actus tragicus: Berückend schön das Arioso mit Choral Heute wirst du mit mir im Paradies sein.


Vergrößerung in neuem Fenster Ensemble Alia Mens in der Alten Kapelle

Das Solomon's Knot Baroque Collective, bereits im Vorjahr zu Gast in Regensburg, führte am Abend die ursprüngliche Dubliner Version von Händels Messiah auf. Kein Chor also stand vor dem Publikum. Stattdessen übernahmen acht Sängerinnen und Sänger sowohl die Solo- als auch die Ensemblepartien. Zoë Brookshaw, Laura Oldfield (Sopran), Kate Symonds-Joy, Roderick Morris (Alt), Thomas Herford, Ruari Bowen (Tenor) und Jonathan Sells (Bass und Leitung) traten, jeweils auswendig singend, vor das Publikum, was der Aufführung eine besondere persönliche Note verlieh. Lediglich Simon Robinson (Bass), kurzfristig für den erkrankten Alex Ashworth eingesprungen, durfte sich des Klavierauszugs bedienen. Das Orchester war ebenfalls auf eine Minimalbesetzung reduziert, was aber dem Gesamteindruck in der Dreieinigkeitskirche keinen Abbruch tat. Im Gegenteil gelangen den hervorragenden Musikern wunderbare Momente, etwa in der sanft von den Streichern begleiteten Arie He shall feed his Flock like a Shepherd. Waren die Trompeten in Teil 1 nur aus der Ferne (Sakristei) zu hören, betraten sie gegen Ende des zweiten Teils den Altarraum, um zusammen mit der Pauke dem berühmten Hallelujah die majestätische Klangpracht zu verleihen. - Nachdem zuvor schon eine Umbesetzung notwendig war, erkrankte in der Pause auch Laura Oldfield, die allerdings tapfer bis (fast) zum Schluss durchhielt. Dennoch gelang eine Aufführung von Händels wohl bekanntestem Werk, die als Highlight der Tage Alter Musik 2017 lange in Erinnerung bleiben dürfte.

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Raquel Andueza und La Galanía

Nach diesem wahrlich fulminanten Messiah fiel es nicht leicht, sich noch einmal auf andere Töne einzulassen. Dennoch blieb auch in der Schottenkirche kein Platz frei, als die tschechische Capella Mariana Musik aus der Zeit Kaiser Rudolfs II. vorstellte. 1583 machte der Kaiser Prag zu seiner ständigen Residenz. Mit ihm kamen zahlreiche berühmte Musiker in die Stadt an der Moldau, unter ihnen Philippe de Monte, dessen achtstimmige Missa super Confitebor tibi Domine das Hauptwerk des überaus hörenswerten Nachtkonzerts bildete. Instrumentalmusik von Alessandro Orologio, Liberale Zanchi, Salomone Rossi sowie weitere italienische Madrigale von Philippe de Monte rundeten das stimmige Programm ab, das mit der Litaniae Deiparae Mariae Virginis von Jacobus Regnart endete.

Pompös gestaltetes Reformationsfest

Am Pfingstmontag gab es zunächst ein weiteres Mal spanische Barockmusik im Reichssaal. Der altehrwürdige Raum war zur Morgenstunde für Akteure und Publikum noch erträglich temperiert, ehe Raquel Andueza und ihr Ensemble La Galanía ihn mit temperamentvoll dargebotenen Kompositionen u.a. von Henry du Bailly, Juan Hildago, Luis de Briceño, Jean-Baptiste Lully gleichsam auf Betriebstemperatur brachten. Raquel Anduezas etwas herber Sopran passt geradezu ideal zu dieser in der andalusischen Folklore verwurzelten Musik. Anschließend waren in der Kirche St. Oswald von La Fonte Musica außergewöhnlich schöne mittelalterliche Klänge zu hören. Filigran und dennoch expressiv interpretierte das italienische Ensemble die hochartifiziellen Kompositionen aus der Epoche der Ars Nova. Warum man die Musik von Jacopo da Bologna, Guillaume de Mauchaut, Francesco Landini choreografieren musste, war trotz der Erläuterungen von Ensembleleiter Michele Pasotti nicht nachvollziehbar, zumal von Nuria Sala Grau (Tanz und Choreografie) ab der Mitte des Kirchenschiffs höchstens der Oberkörper zu sehen war. Muss so wunderbar dargebotene Musik wirklich visualisiert werden? Spricht sie nicht für sich?


Vergrößerung in neuem Fenster La Fonte Musica in der St.-Oswald-Kirche

Auch bei den Tagen Alter Musik 2017 war das 500-jährige Jubiläum der Reformation selbstverständlich präsent. In der barocken Dreieinigkeitskirche, einer der bedeutendsten evangelischen Sakralbauten Bayerns, führten die Capella Ducale und Musica Fiata unter der Leitung von Roland Wilson jene Musik von Heinrich Schütz und Michael Praetorius auf, mit der man 1617 in Dresden 100 Jahre Reformation gefeiert hatte. Die großbesetzten Kompositionen, teils von Wilson rekonstruiert, ließen erahnen, mit welchem Machtbewusstsein und Sinn für Repräsentation der kursächsische Hof am Vorabend des 30-jährigen Kriegs seine Konfession huldigen ließ. Jedoch fehlte bei der Regensburger Aufführung der Sinn für die räumliche Trennung der bis zu fünf vokal-instrumentalen Chöre, so dass viel Hörenswertes von den triumphal aufspielenden Bläsern nahezu erdrückt wurde. Die Sängerinnen und Sänger der Capella hatten daher nur wenig Gelegenheit, sich gut vernehmbar in Szene zu setzen. Mit Ausnahme der jungen Marieluise Werneburg (Sopran) konnten sie zudem nicht recht überzeugen. Dabei bietet der große Kirchenraum mit seiner wunderbaren Akustik für derartige Werke einen geradezu idealen Rahmen - wie Hans-Christoph Rademann mit seinem Dresdner Kammerchor und Barockorchester im vergangenen Jahr mit einem durchaus vergleichbaren Programm bewiesen hatte. So blieb der ganz große Wurf zum Finale des Festivals aus. Dennoch boten die Tage Alter Musik 2017 erneut ein höchst anspruchsvolles, abwechslungsreiches Programm mit vielen Höhepunkten und so mancher Entdeckung.




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2. bis 5. Juni 2017
Tage Alter Musik Regensburg

Die Konzerte der 33. Tage Alter Musik:

Freitag, 2. Juni

20.00 Uhr, Dreieinigkeitskirche
Regensburger Domspatzen
L'Orfeo Barockorchester (Österreich)

22.45 Uhr, Schottenkirche
The Gesualdo Six (Großbritannien)


Samstag, 3. Juni

11.00 Uhr, Theater am Bismarckplatz
The Beethoven Project
Susanna Ogata & Ian Watson (USA)

14.00 Uhr, Leerer Beutel
Les Haulz et les Bas (Deutschland)

16.00 Uhr, St.-Oswald-Kirche
Ensemble Masques (Kanada)

20.00 Uhr, Dreieinigkeitskirche
Scherzi Musicali (Belgien)

22.45 Uhr, Reichssaal
La Grande Chapelle (Spanien)


Sonntag, 4. Juni

11.00 Uhr, Minoritenkirche
Ensemble Labyrinthus (Russland)

14.00 Uhr, Reichssaal
Schwanthaler Trompetenconsort (Österreich)

16.00 Uhr, Alte Kapelle
Ensemble Alia Mens (Frankreich)

20.00 Uhr, Dreieinigkeitskirche
Solomon's Knot Baroque Collective
(Großbritannien)

22.45 Uhr, Schottenkirche
Cappella Mariana (Tschechien)


Montag, 5. Juni

11.00 Uhr, Reichssaal
Raquel Andueza & La Galanía (Spanien)

14.00 Uhr, St.-Oswald-Kirche
La Fonte Musica (Italien)

16.00 Uhr, Basilika St. Emmeram
Züricher Barockorchester (Schweiz)

20.00 Uhr, Dreieinigkeitskirche
Musica Fiata & La Capella Ducale
(Deutschland)


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
www.tagealtermusik-regensburg.de/
(Homepage)




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