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Klavierfestival Ruhr 2017

Konzerthaus Dortmund, 27. Juni 2017



András Schiff
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Klavierfestival Ruhr

Musik und Humanität

Von Stefan Schmöe

Das Programm ist erklärungsbedürftig. Musik von Johann Sebastian Bach und Béla Bartók, und die nicht einmal sauber getrennt, sondern im Wechsel und nahtlos aneinander anschließend - ohne Erläuterung wollte das auch András Schiff nicht stehen lassen. So gab der Pianist nicht nur eine gar nicht so kurze Einführung in die Kompositionen (was für sich genommen die Zusammenstellung noch nicht plausibler machte), sondern auch ein außermusikalisches Statement: Bach wie Bartók seien, so Schiff, musikalische Weltbürger und überzeugte Europäer. Bach, der seine deutsche Heimat nie verlassen hat, aber Musik und Kultur des Kontinents aufsog und einfließen ließ in sein eigenes Werk; Bartók, der aus seiner ungarischen Heimat vertriebene Erforscher der Volksmusik, der im fernen Amerika nicht glücklich wurde. Musik sei nie unpolitisch, so Schiffs mit Emphase vorgetragenes Credo, und nationalistische Engstirnigkeit wie in seiner ungarischen Heimat eine Katastrophe. So geriet die Verbindung von Bartók und Bach zum flammenden Plädoyer für Offenheit über politische wie künstlerisch-programmatische Grenzen hinweg.

Foto

Leider kein Foto vom Konzert: András Schiff (Foto © Prika Ketterer)

Die Konfrontation zweier stilistisch so unterschiedlicher Komponisten erwies sich als ebenso (kurzfristig) verstörend wie reizvoll. Johann Sebastian Bachs Capriccio B-Dur Über die Abreise des geliebten Bruders, ein um 1704 entstandenes Werk (über die die Bezeichnung "Jugendwerk" lässt sich bei einem mit 19 Jahren für seine Zeit durchaus "erwachsenen" Komponisten wohl streiten) verbindet in sechs kurzen Sätzen barocke Formmodelle wie Passacaglia und Fuge mit einer liedhaften, fast naiven Melodik zu einem reizvollen Stück früher Programmmusik. Schiff spielt mit nach innen gekehrtem Tonfall und kleinen rhythmischen Freiheiten so, als musiziere er das charmante kleine Werk nur für sich, mit Leichtigkeit und einer Spur (aber nie zu viel) Sentiment, den empfindsamen Stil der kommenden Generation andeutend. Die vertrackten Rhythmen der Tänze im bulgarischen Rhythmus aus dem sechsten Band von Bartóks Mikrokosmos spinnen auf irritierend andere Weise Bachs Behandlung von Rhythmus und Harmonik fort, öffnen auf jeden Fall die Ohren für die Kühnheiten der vier höchst anspruchsvollen Duette aus Bachs Clavier-Übung III BWV 802 - 805. Schiff beginnt bei Bartók fast impressionistisch zart, zeigt aber zunehmend auch die Schärfen dieser Musik mit einem kraftvoll federnden und energischen, aber immer auf einen "schönen" Ton bedachten Anschlag, selbst in der schroffen Sonate aus dem Jahr 1926 mit ihren perkussiven Elementen, die am Ende des ersten Konzertteils stand.

Nach der Pause dann ein "Dialog" (so beschreibt der Pianist die Gegenüberstellung) von Leoš Janáčeks viersätzigem Zyklus Im Nebel mit Schumanns C-Dur-Fantasie. Das Verbindende sei die Poesie, so Schiff, und dahinter steht bei beiden Komponisten ein autobiographischer Hintergrund. Auch hier kultiviert Schiff die Schroffheiten der Musik Janáčeks, die dennoch ihre Wirkung entfalten. Schiff, der sehr zart und verinnerlicht beginnt, braucht nie musikalisch grob zu werden; in seiner immensen Ausdrucksskala machen auch kleine Abstufungen die musikalische Idee deutlich die fahlen Abgründe des Finalsatzes.

In Schumanns Fantasie tritt bei Schiff an Stelle eines Beethovenschen großen Plans eine mitunter fast improvisatorische Freiheit. So ändert in einer Figur plötzlich Lautstärke, Anschlagsart oder sogar das Tempo, ohne die musikalische Logik preiszugeben. Schiff erinnerte in seiner Einführung an das Beethoven-Zitat "So nimm hin denn, meine Lieder" aus dem Zyklus An die ferne Geliebte, das Schumann wie ein Motto an den Beginn seiner Komposition setzt und (der ihm zur Entstehungszeit noch fernen) Clara Wieck gilt. Schiff entscheidet sich für eine alternative Version der letzten Takte des Finalsatzes, die im Autograph vom Komponisten durchgestrichen ist und daher nicht als "authorisiert" gilt, gleichwohl für den Pianisten der Spannendere ist, weil er das Betthoven-Zitat noch einmal aufgreift und damit den großen Bogen schlägt. Ein Liebesgedicht sei dieses Werk, so Schiff - aber eines der intimeren Art, bestimmt für eben die Geliebte und nicht für die Öffentlichkeit, könnte man angesichts der auf äußeren Glanz verzichtenden, ungeheuer fein ausgehörten Interpretation. Wie Schiff in den mystischen vier Einleitungstakten auf dem Basston aufbauend eine entrückte Klangwelt eröffnet, das ist allerhöchste Kunst (und der wunderbare Bösendorfer klingt nicht nur da unendlich weich).

Die humanitäre Botschaft, die an diesem großen Abend immer mitschwingt, wird auf unerwartete Weise noch einmal deutlich bei den Zugaben - nicht so sehr bei der eloquent flüssig vorgetragenen Arabeske C-Dur op. 18 als beim Lustigen Landmann aus dem Album für die Jugend, diesem Anfänger-Stück per excellence, das Schiff in aller Schlichtheit zu großer Kunst veredelte, die man durchaus als musikalische Lesart eines "Lasset die Kinder zu mir kommen" hören konnte. Eine intime musikalische Umformulierung des Schiller-Beethoven'schen "alle Menschen werden Brüder".




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Klavierfestival Ruhr 2017
Konzerthaus Dortmund
27. Juni 2017


Ausführende

András Schiff, Klavier



Programm

Johann Sebastian Bach:
Capriccio über die Abreise des
geliebten Bruders
B-Dur BWV 992

Béla Bartók:
Sechs Tänze im bulgarischen Rhythmus
Sz 107 aus Mikrokosmos VI

Johann Sebastian Bach:
Vier Duette BWV 802-805
aus der Clavier-Uebung III

Béla Bartók:
Sonate für Klavier Sz 80


- Pause -


Leoš Janáček:
im Nebel

Robert Schumann:
Fantasie C-Dur op.17


Zugaben:

Robert Schumann:
Arabeske C-Dur op. 18

Der fröhliche Landmann
aus Album für die Jugend op.68



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Klavierfestival Ruhr
(Homepage)








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