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Die Hoffnung auf göttliche Gnade bleibtvon Stefan Schmöe / Fotos: Martin Steffen
Man spricht ja gerne (und ein wenig inflationär) von den "Kathedralen der Industriekultur". So auch bei der Maschinenhalle der Zeche Zollern in Dortmund. 1902-1903 erbaut mit Nachklängen von Historismus und Jugendstil, sieht der elegante Stahlfachwerkbau so gar nicht nach Schmutz und Schweiß aus, und der Sonnenuntergang hinter den großen Glasfenstern tut ein Übriges. Einer Kathedrale würdig ist auch der sehr lange Nachhall bei diesem Chorkonzert mit einem reinen A-cappella-Programm mit im weiteren Sinn geistlichen Werken. Es singt der Chor MusicAeterna aus Perm.
Perm? Diese Millionenstadt liegt über 1000 km östlich von Moskau dem Ural vorgelagert und hat sich einen Namen auf der Opernlandkarte gemacht, seit der eigenwillige griechischstämmige Dirigent Theodor Currentzis dort arbeitet und am Rande Europas fernab der Metropolen unter offenbar ausgezeichneten Rahmenbedingungen sein Klangideal erarbeitet. Unter der Bezeichnung MusicAeterna hat er dort Orchester und Chor aufgebaut - ersteres war im Vorjahr bei der Triennale in Wagners Rheingold zu hören. Obwohl Opernchor (da ist man ja anderes gewohnt), singt der ChorMusicAeterna in diesem Konzert glasklar fast ohne Vibrato, dazu mit faszinierend sauberer Intonation. Und die Sopranistinnen können auch in hoher und höchster Lage im zarten Pianissimo federleicht über allem schweben. Der Klang kann sehr weich sein, aber auch ein überaus kraftvolles, strahlendes Fortissimo erreichen, dann nicht ganz ohne Schärfe.
Thomas Tallis hat um 1573 eine rätselhafte Motette komponiert - rätselhaft der Besetzung wegen: Nicht weniger als acht fünfstimmige Chöre kommen zum Einsatz. Das war seinerzeit wohl der Versuch, der italienischen Mehrchörigkeit, die gerade in London angekommen war, etwas entgegen zu setzen. MusicAeterna singt das Werk zum Auftakt des Konzerts noch ein Stück hinter dem Chorpodium (das etwa in der Mitte der Halle steht) und damit weit weg vom Publikum. Der von Tallis intendierte Rundumklang geht dadurch verloren, statt dessen entsteht ein nicht mehr aufzulösender Mischklang - der hat seine eigene Faszination, von der kompositorischen Struktur aber bekommt man nicht allzu viel mit, vielmehr wird die Musik zur Klangfläche. Vielleicht ist das an dieser Stelle sogar gewollt, denn so entsteht eine Verbindung zu György Ligetis Lux Aeterna aus dem Jahr 1966, einem Schlüsselwerk der modernen Chormusik. In diesem 16-stimmigen Satz wandert der oft kaum zu ortende Klang allmählich durch den Chor, und hier ist die vibrierende Klangfläche vom Komponisten intendiert.
Ganz anders der russische Komponist Alfred Schnittke (1934 - 1998), der in seinen Drei geistlichen Gesängen (1984) Gebetstexte, darunter ein Vater unser, im sehr schlichten, tonalen Satz vertont hat, geradezu naiv (was, gänzlich unsozialistisch, in der Entstehungszeit kurz vor dem Beginn von Gorbatschows Perestroika durchaus eine politische Aussage barg) und doch sehr wirkungsvoll, und da glänzt der Chor mit samtweichem, vollem Klang. Kompositorisch Anspruchsvoller ist das Konzert für Chor (1984-85) nach Texten des mittelalterlichen Mystikers Gregor von Narek (951 - 1003) - leider werden hier nur der zweite und vierte Satz gesungen, dabei hätte man gerne das komplette Werk im Zusammenhang gehört. An diesem Abend geht es aber weniger um die Präsentation bestimmter Kompositionen oder Komponisten als um eine Antwort auf zentrale (Glaubens-)Fragen der Menschheit, die Hoffnung auf Gnade im Spannungsfeld von fünf Jahrhunderten, auch von Ost- und Westeuropa. "Was glaubt Ihr denn?" fragt die Ruhrtriennale gerade ganz konkret im Projekt Urban Prayers (unsere Rezension). Einen möglichen Antwortversuch liefert dieses Konzert, und die mönchsartigen Kutten der Chorherren (die Damen tragen strenge schwarze Kleider) unterstreicht das noch: Dieses Projekt will anders sein als ein "normales" Chorkonzert.
So werden die Werke Schnittkes nicht als Block dargeboten, sondern innerhalb eines symmetrisch aufgebauten Programms im steten Wechsel mit Ligeti und drei wunderbaren Motetten Henry Purcells (1659 - 1695) aus den Jahren 1579-1580, also beinahe zeitgleich mit Tallis' Komposition entstanden in England, am westlichen Rand Europas. Diese Musik könnte man gut, vielleicht besser, auch in kleinerer Besetzung aufführen, aber da Tallis nun einmal 40 Sängerinnen und Sänger fordert, singt MusicAeterna in gleicher klangprächtiger Formation, zeichnet unter dem differenzierten Dirigat von Vitaly Polonsky die kleinteiligen Bewegungen dieser Musik nach, ohne den beinahe oratorischen Gestus aufzugeben - das hat natürlich eine "romantische" Komponente, zumal in dieser Akustik. Hear my Prayers wird zum groß angelegten Schmerzensschrei von verblüffender Modernität und geht nahtlos die Verbindung zu Schnittke und Ligeti ein. I will sing unto the Lord ist ein Ruhepunkt im Zentrum des Programms.
Am Ende des Konzerts erklingt wie eine Klammer noch einmal die Motette von Thomas Tallis: "Ich habe niemals meine Hoffnung in einen anderen als Dich gelegt, Gott Israels, der Du zornig sein und doch wieder gnädig werden wirst.". Diesmal singt der Chor vom Podium aus, direkt beim Publikum, und so wird die Musik ungleich deutlicher und klarer (man hört freilich auch, dass die solistisch besetzten Stimmen teilweise recht unterschiedliche Klangfarben haben), als habe sich die Botschaft aus dem mystischen Raunen des Beginns nun herauskristallisiert. Schade nur, dass die acht Chöre ungetrennt nebeneinander stehen, dass Tallis' Raumkonzept nicht konsequenter aufgegriffen wird. Dennoch geht so ein sehr bewegendes Konzert zu Ende, vom Publikum mit stehendem Applaus gewürdigt. Für diese eineinhalb Stunden ist die Maschinenhalle tatsächlich zur Kathedrale geworden.
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Spem in aliumThomas Tallis: Spem in alium Alfred Schnittke: Drei geistliche Gesänge Henry Purcell: Hear my prayer Alfred Schnittke: Konzert für Chor (2. Satz) Henry Purcell: I will sing unto the lord György Ligeti: Lux Aeterna Henry Purcell: Remember not, Lord Alfred Schnittke: Konzert für Chor (4. Satz) Thomas Tallis: Spem in alium Ausführende
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- Fine -