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Rossini Opera Festival

Pesaro
08.08.2016 - 20.08.2016


Il turco in Italia

Dramma buffo per musica in zwei Akten
Libretto von Felice Romani
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3 h 15' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Palau de les Arts Reina Sofía di Valencia

Premiere im Teatro Rossini in Pesaro am 9. August 2016
(rezensierte Aufführung: 15.08.2016)


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Rossini Opera Festival

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Fellini lässt grüßen

Von Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival


Rossinis Il turco in Italia wird häufig mit der ein Jahr zuvor entstandenen L'italiana in Algeri verglichen, was vielleicht auch der Grund dafür gewesen ist, dass dieses Werk bei der Uraufführung an der Mailänder Scala recht kühl aufgenommen wurde, da viele es als eine Parodie der recht erfolgreichen Italiana betrachteten. Dabei weist Rossini-Experte Alberto Zedda darauf hin, dass es nicht nur musikalisch gravierende Unterschiede zwischen den beiden sogenannten Türkenopern gibt. So lässt sich Isabella, die Titelfigur der Italiana, keineswegs mit Fiorilla im Turco vergleichen. Während nämlich Isabella zur Heldin avanciert, die ihren Geliebten Lindoro aus der Gefangenschaft beim Mustafà befreien will, sind Fiorilla solche hehren Ziele absolut fremd. Sie betrachtet den Türken Selim lediglich als eine willkommene Abwechslung zu ihrem tristen Eheleben mit Don Geronio. Auch heute hat Il turco noch nicht wieder eine ähnliche Popularität erlangt wie L'italiana. In Pesaro hat man mit Davide Livermore, Nicolas Bovey, Gianluca Falaschi und D-Wok das gleiche Regie-Team engagiert, das vor drei Jahren L'italiana hier in Szene gesetzt hat (siehe auch unsere Rezension). Um die Unterschiedlichkeit der beiden Werke herauszuarbeiten, hilft das leider überhaupt nicht, zumal die Inszenierung ein vergleichbares Grundkonzept wählt. Daran kann auch die Starbesetzung mit Erwin Schrott, Olga Peretyatko und Nicola Alaimo nichts ändern.

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Der Dichter Prosdocimo (Pietro Spagnoli) als Federico Fellini inmitten seiner Filmfiguren

Die Geschichte um den Türken Selim, den es nach Italien verschlägt, um sich nach europäischen Frauen umzusehen, ist dabei nicht neu. Felice Romani bedient sich dabei eines Librettos von Caterino Mazzolà, das dieser 1788 in Dresden verfasst hatte und das mit der Musik von Franz Seydelmann ein Jahr später in Wien zur Uraufführung gelangt war. Hinzu kommen Einflüsse von Mozarts Così fan tutte, das 1814 in Mailand gespielt wurde und von Rossini und Romani sicherlich besucht worden war. Der Dichter Prosdocimo, der auf der Suche nach einem Stoff für eine neue Komödie ist, trifft auf Zaida, die einst von Selim aus dem Serail vertrieben worden ist, weil sie fälschlicherweise der Untreue bezichtigt wurde, und nun als wahrsagende Zigeunerin in der Nähe von Neapel lebt. Zu ihr kommt der frustrierte Geronio, der sich prophezeien lassen will, wann seine launische Frau Fiorilla endlich zur Vernunft kommen werde. Diese trifft inzwischen am Strand auf Selim und lädt ihn sofort in ihr Haus ein. Es kommt zu einem Streit zwischen Selim und Geronio, in dem letzterer unterliegt. Selim plant, Fiorilla auf sein Schiff zu entführen und in die Türkei zu bringen. Nun greift Prosdocimo ein. Er rät Zaida, sich als Fiorilla zu verkleiden, damit Selim sie an Fiorillas Stelle entführt. Des Weiteren rät er Geronio und dessen Freund Narciso sich als Türken zu maskieren, um Fiorillas Entführung zu verhindern. In diesem Durcheinander raubt Selim Zaida, und Fiorilla will mit Narciso durchbrennen. Nur Geronio bleibt zunächst allein zurück. Als Selim sich dann schließlich für Zaida entscheidet und Narciso sich wieder von Fiorilla trennt, steht diese allein da und bereut ihr Verhalten. Geronio ist bereit, ihr zu verzeihen und sie wieder bei sich aufzunehmen, und so gibt es am Ende zwei "glückliche" Paare.

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Fiorilla (Olga Peretyatko) flirtet mit Selim (Erwin Schrott).

Livermore verlegt die Handlung in ein Filmstudio. Bereits vor der Ouvertüre treffen die Figuren des Stückes als Schauspieler ein, wobei nicht ganz klar wird, ob sie nun zusammengekommen sind, um sich den fertigen Film anzuschauen, oder ob die Dreharbeiten erst beginnen sollen. Jedenfalls tritt Prosdocimo als Federico Fellini auf, um einige Voraufnahmen zu präsentieren. Auf weiße Tücher, die in mehreren Ebenen aus dem Schnürboden herabgelassen werden, sind nun während der Ouvertüre zahlreiche Projektionen zu sehen, die Selim in einem orientalischen Türkenkostüm mit einem Säbel hantierend zeigen. Fiorilla erinnert in ihrem Petticoat an diverse Filmschönheiten der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Wieso Narciso als Priester gezeigt wird, erschließt sich allerdings genauso wenig wie die Tatsache, dass Zaida in einem zwar zauberhaften Zigeunerinnenkostüm einen langen schwarzen Bart mit einer Schleife verpasst bekommt. Es ist auch keineswegs witzig, dass Selim sich letztendlich ausgerechnet von diesem Bart angezogen fühlen soll und sich deshalb am Ende für Zaida und gegen Fiorilla entscheidet. Dass Zaida ihr Gesicht verschleiern muss, um sich beim Maskenball als Fiorilla zu tarnen, kann dabei schon beinahe als politisch heikel betrachtet werden. Während Zaida mit ihrem Bart absolut überflüssige männliche Züge bekommt, wird ihr Gefährte Albazar, der sie einst vor der Rache des Türken bewahrt hat, als Frau kostümiert.

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Selim (Erwin Schrott) entscheidet sich schließlich für seine zuvor verstoßene Frau Zaida (Cecilia Molinari).

Doch mit dem Unsinn ist an dieser Stelle keineswegs Schluss. Prosdocimo legt seinen Anzug ab und schlüpft in ein weißes an eine Toga erinnerndes Gewand, um anschließend ein riesiges Holzfass auf der Bühne zu besteigen. Was soll das jetzt schon wieder bedeuten? Diogenes in der Tonne? Hinzu kommen einige weibliche Statistinnen, die wohl diverse Figuren aus Fellini-Filmen darstellen sollen und recht unmotiviert in die Handlung eingreifen. Besonders nervig ist dabei eine etwas korpulentere Darstellerin mit auftoupiertem schwarzen Haar in einem sackartigen braunen Kleid, die stets mit alberne Miene ihre Oberweite nach vorne streckt. Dass sie auch noch wie eine Domina Narciso als Priester ständig in die Knie zwingt, macht die Sache nicht besser. Aber Livermore scheint von diesem Gag fasziniert zu sein. Schließlich übernimmt er ihn auch noch für den Schlussapplaus. Während die anderen Figuren von Prosdocimo auf die Bühne gerufen werden, lässt er bei Narciso erneut die Statistin in Aktion treten. So werden die komischen Möglichkeiten des Stückes mit einem Regie-Konzept verspielt, das nicht aufgeht. Dabei geben die Akteure wirklich alles, und so kommt zumindest im Finale des ersten Aktes etwas Komik auf, wenn Fiorilla und Zaida in einem Kampf aufeinander losgehen.

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Finale 1. Akt: von links: Albazar (Pietro Adaini), Zaida (Cecilia Molinari), Selim (Erwin Schrott), Prosdocimo (Pietro Spagnoli), Fiorilla (Olga Peretyatko), Geronio (Nicola Alaimo) und Narciso (René Barbera)

Im zweiten Teil kommt es zu einem kurzen Schockmoment. Prosdocimo tritt wieder als Fellini in seinem Anzug auf, sitzt an einem Tisch und tippt die Geschichte in seine Schreibmaschine. Da wirft er versehentlich den Tisch um, und die Schreibmaschine knallt in den Orchestergraben. Einen Moment herrscht absolute Stille im Saal. Pietro Spagnoli (Prosdocimo) blickt geschockt in den Orchestergraben hinab. Nach einem kurzen Moment erscheinen zwei Hände, die die Schreibmaschine wieder auf die Bühne reichen. Anscheinend ist niemand getroffen worden. Doch Spagnoli ist noch richtig benommen. Immer wieder blickt er in den Graben, um sich zu versichern, dass auch wirklich niemandem etwas passiert ist. Dann beschließt er, das restliche Stück ohne Schreibmaschine weiterzuspielen und stellt sie in der Loge über der Bühne ab. Erst jetzt geht es weiter.

Mag man auch zu dem Regie-Konzept gar keinen Zugang finden, lässt die musikalische Umsetzung keine Wünsche offen. Olga Peretyatko, die kürzlich für ihr Rossini-Album mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet worden ist, begeistert optisch und stimmlich als Fiorilla. Die Projektionen von ihr erinnern an die junge Audrey Hepburn und sind eine regelrechte Augenweide. Des Weiteren begeistert sie mit großer Flexibilität in den schnellen Läufen und leuchtend klar ausgesungenen Koloraturen. So fängt sie den flatterhaften und launischen Charakter Fiorillas absolut überzeugend ein. In ihrer großen Arie im zweiten Akt, "Squallida veste, e bruna", in der sie sich von allen verlassen wähnt und ihr Verhalten bereut, glänzt sie mit großer Dramatik und stupenden Spitzentönen. Einziges Ärgernis ist, dass sie häufig rauchend über die Bühne laufen muss. Geronio stellt für Nicola Alaimo eine Paraderolle dar. Mit überbordendem Spielwitz interpretiert er den gehörnten Ehemann, der am Ende doch bereit ist, seiner Ehefrau zu verzeihen. Dabei erweist er sich mit beweglichem Buffo-Bariton als Meister der Parlando-Stellen, der hierbei eine Geschwindigkeit vorlegt, die den Zuschauer den Atem anhalten lässt. So stellt seine große Arie im zweiten Akt, in der er sich auf den bevorstehenden Maskenball vorbereitet, einen weiteren musikalischen Höhepunkt dar. Erwin Schrott überzeugt in der Titelpartie mit markantem Bass und komödiantischem Spiel. Im Buffo-Duett im zweiten Akt kann er mit Alaimos Parlando-Ton gut mithalten. Auch mit Peretyatko findet er in den Duetten zu einer bewegenden Innigkeit, die nachvollziehbar macht, dass Fiorilla sich zu dem charmanten Türken hingezogen fühlt.

René Barbera überzeugt als Narciso mit strahlendem Tenor und sauber ausgesungenen Höhen, auch wenn die von Livermore intendierte Personenregie bei dieser Figur überhaupt nicht klar wird. Auch Cecilia Molinari macht als Zaida aus ihrer Rolle das beste und versucht, mit dem unvorteilhaften Bart, weiblichen Charme zu versprühen. Ihr warmer Mezzosopran lässt dabei keine Wünsche offen. Pietro Spagnoli stattet die Figur des Drahtziehers Prosdocimo mit kräftigem Bariton aus, und auch Pietro Adaini gefällt in der kleineren Partie des Albazar. Der von Mirca Rosciani einstudierte Chor des Teatro della Fortuna M. Agostini überzeugt ebenso wie das Orchester Filarmonica Gioachino Rossini unter der Leitung von Speranza Scappucci, so dass es am Ende großen Applaus für die musikalische Umsetzung gibt, der nur von den szenischen Albernheiten getrübt wird.

FAZIT

Davide Livermores Inszenierung beweist, dass Videoprojektionen nicht in jeder Produktion aufgehen. Auch wenn die Handlung der Oper nicht ernst zu nehmen ist und komisch sein soll, funktioniert das Fellini-Konzept überhaupt nicht. Schade ist nur, dass dabei die musikalischen Meriten regelrecht verschwendet werden.

Weitere Rezensionen zu dem Rossini Opera Festival 2016



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Speranza Scappucci

Regie und Bühne
Davide Livermore

Videodesign
D-Wok

Kostüme
Gianluca Falaschi

Licht
Nicolas Bovey

Chorleitung
Mirca Rosciani



Filarmonica Gioachino Rossini

Chor des Teatro della Fortuna M. Agostini


Solisten

Selim
Erwin Schrott

Fiorilla
Olga Peretyatko

Geronio
Nicola Alaimo

Narciso
René Barbera

Prosdocimo
Pietro Spagnoli

Zaida
Cecilia Molinari

Albazar
Pietro Adaini


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