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Musikfestspiele
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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
14.05.2015 - 25.05.2015

Agrippina

Dramma per musica in drei Akten (HWV 6)
Libretto von Vincenzo Grimani
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 30' (zwei Pausen)

Kooperation mit dem Oldenburgischen Staatstheater

Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 15. Mai 2015

 

 

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Intrigen im römischen Kaiserreich

Von Thomas Molke / Fotos von Theodoro da Silva

Als fünfte Jahreszeit bezeichnet man in Deutschland eigentlich Karneval. In Göttingen hingegen ist damit etwas ganz anderes gemeint. Wenn sich nämlich die Stadt an der Leine im Mai in eine internationale Metropole mit Gästen aus aller Welt versammelt, weiß man, dass wieder Festspielzeit ist. Für die diesjährige Opernproduktion hat man mit dem Frühwerk Agrippina ein Dramma per musica ausgewählt, das zum einen Händels Durchbruch als Opernkomponist in Italien markierte, zum anderen aber auch die letzte Oper war, die Händel für Italien schrieb. Mitverantwortlich für den triumphalen Erfolg dürfte wohl unter anderem das Libretto mit der dicht gewobenen Handlung und  den scharf gezeichneten Charakteren sein, das der Kardinal Vincenzo Grimani verfasst hatte, der gleichzeitig Vizekönig von Neapel unter den Habsburgern war und dessen Familie in Venedig das Teatro Grimani di San Giovanni Grisostomo besaß, wo Agrippina am 26. Dezember 1709 zur Uraufführung gelangte, und das als eines der wenigen originalen Opernlibretti gilt, die Händel für seine Kompositionen bearbeitete. Die Arien in Agrippina hat Händel trotzdem zum großen Teil aus seinen früheren italienischen Werken übernommen. Trotz des großen Erfolges brachte Händel die Oper später nicht in London noch einmal heraus, übernahm allerdings einen Teil der Arien in Rinaldo und Il pastor fido. Auf dem europäischen Festland war Agrippina noch einige Jahre lang in weiteren Aufführungen zum Beispiel in Neapel und Hamburg zu erleben.

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Kaiser Claudio (João Fernandes) mit Sorgenfalten: Wer soll sein Nachfolger werden?

Die Handlung der Oper verquickt mehrere zeitlich nicht zusammengehörende historische Ereignisse, die in den Annalen des Tacitus und den Kaiser-Viten Suetons überliefert sind. Kaiserin Agrippina glaubt, dass ihr Ehemann Claudio (Claudius) in einem Sturm auf hoher See den Tod gefunden habe, und setzt nun alles daran, ihren Sohn Nerone (Nero) mit Hilfe der beiden Höflinge Pallante (Pallas) und Narciso (Narcissus) zum neuen Kaiser wählen zu lassen. Doch Claudio ist von seinem Feldherrn Ottone (Otho) aus den Wogen des Meeres gerettet worden und verspricht diesem nun aus Dankbarkeit, ihn zu seinem Nachfolger zu ernennen. Agrippina plant eine Intrige, indem sie Poppea, die Ottone liebt, allerdings auch von Claudio und Nerone begehrt wird, einredet, dass Ottone sie zugunsten des Throns Claudio überlassen wolle. Poppea bewirkt daraufhin beim Kaiser, dass dieser Ottone fallen lässt und stattdessen Nerone zu seinem Nachfolger auswählt. Doch Poppea durchschaut den Schwindel und kann Ottone rehabilitieren. Agrippinas Ränkespiele fliegen auf. Allerdings kann sie sich mit der Entschuldigung retten, dass sie nur in Claudios Interesse gehandelt habe. Da Ottone für Poppea auf den Thron verzichten will, lenkt Claudio ein und ernennt Nerone erneut zu seinem Nachfolger. Juno steigt vom Himmel herab, um Rom eine glanzvolle Zukunft zu verkünden.

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Agrippina (Ulrike Schneider) setzt alles daran, ihren Sohn Nerone (Jake Arditti) zu Claudios Nachfolger zu machen.

Während Balász Kovalik vor zwei Jahren in Gießen die Handlung in eine Kindertagesstätte verlegte und damit die nachvollziehbare Motivation der Figuren hinterfragte, erzählt das Regieteam um Laurence Dale die Geschichte mit minimalen Strichen gemäß dem Libretto und ändert nur den Schluss ab. Statt der letzten Szene, in der Juno erscheint, um der Hochzeit von Ottone und Poppea ihren Segen zu geben, wird ein Tanz gespielt, in dem Dale einen Ausblick gibt, wie es in der Realität mit den Figuren der Oper weitergegangen ist. So reicht Agrippina ihrem Gatten zur Feier des Tages einen Korb mit Fliegenpilzen, deren Genuss Claudio schnell das Zeitliche segnen lässt. Nerone verzichtet natürlich nicht auf Poppea, sondern schafft es, sie Ottone erneut abspenstig zu machen, um sie dann in einem Anfall von Raserei mit einem Fußtritt ins Jenseits zu befördern. Auch dem Einfluss seiner Mutter Agrippina entzieht er sich, indem er sie ebenfalls umbringt, bevor er sich schließlich selbst das Leben nimmt und Ottone im sogenannten Vier-Kaiser-Jahr dann doch, wenn auch nur für kurze Zeit, zum neuen Kaiser ausgerufen wird.

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Agrippina (Ulrike Schneider, hinten) instrumentalisiert die schöne Poppea (Ida Falk Winland, vorne) für ihre Zwecke.

Das Bühnenbild von Tom Schenk ist recht abstrakt gehalten und entfaltet mit wenigen Mitteln und einer ausgefeilten Lichtregie eine großartige Wirkung. Dazu nutzt Schenk zwei riesige drehbare Stellwände, die auf der einen Seite mit einer Spiegelfront und auf der anderen Seite mit einem je nach Lichteinfall durchschimmernden Material versehen sind. Mit der Spiegelfläche kann zum einen die riesige Säule, die vor einer dunklen Rückwand steht vervielfacht und somit der Raum in einen Säulengang verwandelt werden. Zum anderen spiegelt sich beim Drehen der Wände, welche Intrigen in den Bereichen der Bühne gesponnen werden, die vom Publikum eigentlich sonst nicht einsehbar wären. Auch dem Publikum wird damit am Ende der jeweiligen Akte gewissermaßen der Spiegel mit der Frage vorgehalten, ob die Politik heutzutage großartig anders funktioniert. Die andere Seite der Stellwand ermöglicht den Figuren, wie aus dem Off die Szene zu beobachten und dennoch auf die Geschehnisse zu reagieren. So versteckt beispielsweise Poppea im dritten Akt Ottone in dem einen und Nerone in dem anderen Schrank, um beide ihr Gespräch mit dem auftretenden Claudio belauschen zu lassen. Als Requisiten genügen neben der bereits erwähnten Säule ein geschwungener Hocker, der als Thron fungiert und ein Bett im dritten Akt, in dem sich Nerone und sein Vater mit der begehrten Poppea vergnügen wollen.

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Pallante (Ross Ramgobin, links) und Narciso (Owen Willetts, rechts) huldigen Claudios potentiellem Nachfolger Ottone (Christopher Ainslie, Mitte).

Die Kostüme von Robby Duiveman sind aufwändig gestaltet und erinnern weniger an die römische Antike als vielmehr an die Renaissance. Agrippina macht in ihrem schwarzen ausladenden Gewand mit dem hohen Kragen und der mit roten Perlen besetzten Haube deutlich, dass sie die eigentliche Herrscherin im Stück ist. Nur in ihrer großen Arie im zweiten Akt, "Pensieri, voi mi tormentate", in der sie den Erfolg ihrer Intrigen gefährdet sieht und den Beistand der Götter erfleht, wirkt sie optisch nicht mehr mondän. Eine dünne graue Haartracht lässt sie in einem gespenstisch wirkenden Nachtgewand als alte schwache Frau erscheinen, die ihre Macht schwinden sieht. Nerone erinnert mit den feuerroten Haaren und dem knallroten Kostüm bereits an den Teufel, als der er sich während seiner Herrschaft später entpuppt. Pallante und Narciso zeigen in ihren höfischen Kostümen, dass sie das Intrigenspiel durchschauen. Poppea wirkt zwar in ihrem hellen glatt herabfließenden Kleid als blondes Unschuldslamm, zeigt aber dann ab der Mitte des zweiten Aktes, dass der Schein trügt. Nur bei Ottone sind die hellen Farben Programm für seine Naivität und Aufrichtigkeit. Claudio erinnert optisch eher an einen Narren als an einen Kaiser, was mit dem hinkenden Gang und dem leicht wackelnden Kopf allerdings auch historische Beschreibungen dieser Figur aufgreift.

In einer ausgeklügelten Personenregie setzen die Solisten des Abends nicht nur darstellerisch Dales Konzept hervorragend um, sondern begeistern auch stimmlich auf ganzer Linie. Ulrike Schneider brilliert in der Titelpartie mit einem farbigen Mezzo, der die Vielschichtigkeit der Kaiserin differenziert herausarbeitet. Ein Höhepunkt dürfte dabei die bereits erwähnte Arie "Pensieri, voi mi tormentate" aus dem zweiten Akt sein. Wie es ihr am Ende mit dramatischen Ausbrüchen gelingt, ihren Mann doch noch von ihren "guten" Absichten zu überzeugen, wird von Schneider mit großartiger Mimik und Gestik ausgespielt. Auch in den Koloraturen beweist sie absolute Beweglichkeit. Ihr zur Seite steht mit João Fernandes ein Claudio, der einerseits die Handicaps dieses umstrittenen Kaisers großartig ausspielt und andererseits mit profundem Bass punktet. Mit welcher Schwärze er im zweiten Akt in seiner Arie "Cade il mondo soggiogato" die bezwungene Welt auch stimmlich in die Tiefe stürzen lässt, ist bemerkenswert. Jake Arditti spielt mit leuchtendem Counter den in Ansätzen bereits durchschimmernden Wahnsinn Nerones glaubhaft aus. Da kommt auch schon einmal eine Statistin beim Liebesspiel zu Tode. Auch Ross Ramgobin und Owen Willetts überzeugen als Intriganten Pallante und Narciso. Während Ramgobin mit kräftigem Bariton Pallante als Macho anlegt, der sich von Agrippinas Charme einwickeln lässt, präsentiert Willetts den Narciso mit beweglichem Counter eher als Schleimer.

Als zweites Paar begeistern Ida Falk Winland und Christopher Ainslie. Winland punktet als Poppea mit glockenklarem Sopran, der in den Höhen eine enorme Durchschlagskraft besitzt, und spielt den Wandel von dem naiven Blondchen zur manipulierenden Intrigantin, die Agrippina in nichts nachsteht, hervorragend aus. Ainslie stattet den Ottone mit einem weichen Countertenor aus, der dem Charakter der Figur genau entspricht. Dabei gehören ihm wohl die musikalisch schönsten Nummern des Abends. Zu nennen ist hier seine bewegende Arie "Voi che udite il mio lamento" im zweiten Akt, in der er beklagt, von allen missachtet zu werden. Ainslie findet dabei zu einer Innigkeit, die unter die Haut geht. Einen weiteren Höhepunkt stellt seine Arie "Tacerò, tacerò" im dritten Akt dar, wenn er Poppea verspricht, sich im Schrank zu verstecken und ihr Spiel mit Nerone und Claudio geduldig zu ertragen. Auch hier wird deutlich, dass Ottone der einzig wirklich gute Charakter in dieser Oper ist, auch wenn ihn das vielleicht als etwas langweilig erscheinen lässt. Laurence Cummings rundet den hervorragenden Gesang mit dem FestspielOrchester Göttingen, das er selbst auch noch am Cembalo begleitet, mit barocker Frische ab, so dass es am Ende frenetischen Jubel für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Mit der richtigen Personenregie und einem hervorragenden Ensemble können auch viereinhalb Stunden wie im Flug vergehen. Die diesjährige Opernproduktion der Internationalen Händel-Festspiele ist eine absolute Punktlandung.

Weitere Rezensionen zu den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen 2015

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung und Cembalo
Laurence Cummings

Regie
Laurence Dale

Bühnenbild
Tom Schenk

Kostüme
Robby Duiveman



FestspielOrchester Göttingen

Statisterie

 

Solisten

Agrippina
Ulrike Schneider

Claudio
João Fernandes

Ottone
Christopher Ainslie

Nerone
Jake Arditti

Poppea
Ida Falk Winland

Pallante
Ross Ramgobin

Narciso
Owen Willetts

Lesbo
Ronaldo Steiner

 

Weitere
Informationen

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Händel-Festspiele Göttingen
(Homepage)



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