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Internationale Gluck-Opern-Festspiele
Nürnberg

14.07.2014 - 27.07.2014

Paris und Helena

Dramma per musica in fünf Akten
Libretto von Raniero de' Calzabigi, Fassung von Christian Baier und Sebastian Hirn
Musik von Christoph Willibald Gluck

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Nürnberg am 24.07.2014


 

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Vor dem Krieg ist nach dem Krieg 

Von Thomas Molke / Fotos von Ludwig Olah


Obwohl Christoph Willibald Gluck sein Dramma per musica Paride ed Elena, das gemeinhin als seine dritte italienische Reformoper nach Orfeo ed Euridice und Alceste gilt, selbst als seine "bedeutendste und wichtigste Oper" bezeichnet hat, gehört dieses Werk zu den eher selten gespielten Stücken und hat sich bisher nicht im Repertoire etablieren können. Schon die Uraufführung 1770 in Wien konnte nur schwache Begeisterung beim Publikum hervorrufen, was aber wohl eher damit zu begründen war, dass sich das Wiener Publikum für eine Festoper ein anderes Sujet gewünscht hatte. Auch zum 300-jährigen Jubiläum von Gluck hat sich kein Opernhaus dieser Oper gewidmet, so dass man sich bei den Internationalen Gluck-Opern-Festspielen entschlossen hat, eine eigene szenische Produktion herauszubringen, die gewissermaßen als Opern-Höhepunkt der diesjährigen Festspiele betrachtet werden kann, da sie als einzige nicht als Koproduktion sondern exklusiv für die Festspiele erarbeitet worden ist. Ob allerdings der Regisseur Sebastian Hirn mit seiner Deutung diesem Anspruch gerecht wird, wird vom Publikum gespalten betrachtet. Bereits kurz vor der Pause kommt es im Zuschauersaal zu Tumulten, wobei ein Besucher die Inszenierung lautstark als "hirnlos" bezeichnet.

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Unterstützung sieht anders aus: Amor (Anna Grechishkina, hinten) geht nicht gerade zimperlich mit Paris (Anna Dennis, vorne) um.

Was hat dazu geführt, dass dem Regisseur so viel Unmut entgegenschlug? Hirn hat zunächst einmal beschlossen, die Handlung der Oper nicht vor, sondern nach dem Trojanischen Krieg anzusiedeln. Natürlich darf der Mythos über den trojanischen Prinzen Paris, dem nach dem Göttinnenstreit von Venus die schönste Frau der Welt versprochen wird und der daraufhin Helena, die Frau des Königs von Sparta raubt, was der Auslöser für den Trojanischen Krieg ist, allgemein als bekannt vorausgesetzt werden. Dennoch ist bei einem unbekannten Werk für den Zuschauer selbst bei Kenntnis der Geschichte nicht klar, welche Episode daraus behandelt werden soll. Wenn also Paris' Werben um Helena in Sparta, worum es eigentlich in der Oper geht, die dann mit der gemeinsamen Flucht von Paris und Helena endet, während Pallas Athene erscheint und den bevorstehenden Krieg prophezeit, nun plötzlich am Ende des Krieges spielen soll, und sich die einzigen Figuren - so die Inhaltsangabe im Programmheft und die Erläuterung des Dramaturgen Christian Baier bei der Einführung - nun vor einem Tribunal für ihr Handeln rechtfertigen sollen, wird dieser Ansatz erstens bei der Darstellung auf der Bühne gar nicht klar und passt zweitens auch nicht zum gesungenen Text, der die Idee einer "Gerichtsverhandlung" an keiner Stelle unterstützt. Da hilft es auch nichts, die Musik stellenweise zu unterbrechen, bis Amor als Stichwortgeber Paris oder Helena den nächsten Einsatz gibt, damit die beiden in ihrer "Verteidigung" fortfahren können.

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Helena (Aleksandra Zamojska) zeigt sich Paris (Anna Dennis, vorne liegend) gegenüber noch recht kühl (im Hintergrund: Amor (Anna Grechishkina) und Hyoung-Min Kim als "Soldat").

Völlig unklar bleiben auch das Bühnenbild und die teilweise recht spärlichen Kostüme, in denen die Protagonisten nicht nur auftreten müssen, sondern sich auch noch ständig in riesigen Wassermassen auf der Bühne wälzen müssen. Was da den Sängerinnen abverlangt wird, ist für das Musiktheater schon grenzwertig. Da muss Anna Grechishkina als Amor mit quasi nacktem Oberkörper auftreten und Aleksandra Zamojska muss sich als Helena nicht nur in ihrem knappen Unterrock mit einem Schlauch abspritzen lassen, sondern sich auch noch, während sie singt, mehrmals einen Eimer Wasser über den Kopf schütten. Auch die großen Tücher, die auf der Bühne liegen, erschließen sich nicht. Ein riesiges rotes Tuch liegt zunächst in der Mitte der Bühne und wird von einem "Soldaten" auf die rechte Seite getragen, wo es dann aus einer Bühnenloge herabgelassen wird. Ein gelbes Tuch hängt zu Beginn auf der linken Seite aus einer Bühnenloge, und wird später auf die Bühne getragen, damit Amor am Ende mit dem Tuch Paris im Wasser ersticken kann, bevor das Tuch dann über eine Stange gehängt wird und wie ein Segel triefend in den Schnürboden gezogen wird. Die zahlreichen umgeworfenen Plastikstühle bieten zu Beginn der Oper ein Bild der Verwüstung, was wohl andeuten soll, dass wir uns am Ende des Krieges befinden. Aber wieso werden sie nach der Pause in Reih und Glied wieder aufgestellt, um dann erneut von den Soldaten umgeschmissen zu werden?

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Paris (Anna Dennis) träumt von Helena (Aleksandra Zamojska in der Projektion).

Mögen diese ganzen Einfälle schon ärgerlich genug sein, dürfte der eigentliche Stein des Anstoßes die Beleuchtung sein, die dann auch kurz vor der Pause zu Unmutsbekundungen im Zuschauersaal führt. Über der Bühne sieht man eine leicht schräg herabhängende Lichtleiste mit Leuchtstoffröhren in mehreren Reihen. Diese quadratische Leiste wird zum Ende des ersten Aktes so herabgelassen, dass sie genau in den Zuschauersaal scheint. Wenn Paris nun Helena mit seinen heißen Liebesschwüren bedrängt, erstrahlen zwischen diesen Röhren weitere Scheinwerfer, zunächst in zartem Gelb. Doch diese Lichtquellen werden immer greller und gleißender, bis es schließlich überhaupt nicht mehr möglich ist, auf die Bühne zu schauen, geschweige denn die Übertitel auch noch ansatzweise zu erkennen. Nach ersten Rufen wie "Licht aus" verharren die Sängerinnen in diesem Bild, während sich lautstarke Proteste im Saal regen, denen mit einzelnen Bravorufen aus dem Parkett gekontert wird. Langsam senkt sich der eiserne Vorhang, und das Publikum wird hochemotional in die Pause entlassen.

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Helena (Aleksandra Zamojska) in der Projektion an der Decke im Zuschauersaal

Auch die Videoeinspielungen stellen eine Überfrachtung der Inszenierung dar. Während der Ouvertüre sieht man an der Decke im Zuschauerraum, falls man bereit ist, sich den Kopf absolut zu verrenken, ein Liebespaar umgeben von riesigen Schaummassen. Es sollen wohl Paris und Helena sein. Dann fallen mehrere Kleidungsstücke um sie herum herab, der Schaum wird weniger und um sie herum sieht man einzelne liegende Menschen, die wahrscheinlich tot sein sollen. Kann man sich während der Ouvertüre theoretisch noch auf diese Einspielungen konzentrieren, erweisen sie sich im weiteren Verlauf des Stückes als überflüssig. Während einer weiteren Szene gibt es nämlich zur Arie von Paris erneut eine Videoeinspielung an der Decke, die Paris und Helena in glücklicher Eintracht zeigt, aber wohl von kaum jemandem wahrgenommen wird, da sie von Anna Dennis' intensivem Spiel als Paris ablenkt. Dass die "Soldaten" das Stück des Weiteren mit einer Videokamera filmen, was dann an die Rückwand der Bühne geworfen wird, erinnert doch sehr an Castorfs Ring-Inszenierung in Bayreuth, nur dass dort diese Videoaufnahmen genutzt wurden, um dem Zuschauer auch Szenen näher zu bringen, die aufgrund des Bühnenbildes nicht von allen Plätzen einsehbar waren. Bei Hirn dienen diese Nahaufnahmen lediglich dazu, die darstellerische Präsenz der Sängerinnen zu unterlegen.

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Auftritt der Pallas Athene (Christiane Oelze) (im Hintergrund links: Helena (Aleksandra Zamojska) mit einem "Soldaten")

Als gelungen darf der Auftritt von Pallas Athene bezeichnet werden. Durch einen dichten Nebel tritt die Göttin auf und bringt mit ihrem dunkelblauen Oberteil mit leuchtenden Perlen darauf zumindest ansatzweise göttlichen Glanz in die Inszenierung. Die Bedeutung der vier "Soldaten" hingegen erschließt sich in der Inszenierung nicht. Während Marlene Blumert als Kameramann (Reporter?) fungiert und Giles Welinski mit seinen sexuellen Übergriffen auf Helena wohl auf Vergewaltigungen hinweisen soll, die ein Krieg bei den Opfern häufig nach sich zieht, bleibt die Funktion der anderen beiden Darsteller völlig unklar, besonders wenn sie mit abgehackten Ausfallschritten während Paris' Arie über die Bühne schreiten. Soll das Tanz darstellen?

Dass es dennoch am Ende der Aufführung großen Jubel gibt, dürfte der musikalischen Darstellung zu verdanken sein. Anna Dennis zeichnet mit überwältigender darstellerischer Präsenz und leuchtendem Sopran den Paris und lässt mit ihrem eindringlichen Gesang die Unstimmigkeiten der Inszenierung vergessen. Welche Leidenschaft sie dem trojanischen Prinzen verleiht, ist atemberaubend. Schade, dass die Regie-Einfälle dieses großartige Spiel stellenweise regelrecht behindern. Aleksandra Zamojska verleiht der Helena mit ihrem Sopran zahlreiche Nuancen. Wie sie die Zerrissenheit dieser jungen Frau darstellt, die schließlich verheiratet ist und dem Werben des jungen Prinzen nicht nachgeben will, wirkt absolut überzeugend. Auch Anna Grechishkina begeistert als Amor mit strahlendem Sopran. Christiane Oelze überzeugt bei ihrem recht kurzen Auftritt als Pallas Athene mit kräftigem Sopran und klarer Diktion. Der Konzertchor Fürth Nürnberg und die Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von Andreas Spering runden die musikalische Leistung des Abends hervorragend ab, so dass es am Ende frenetischen Applaus für die Sängerinnen und Musiker gibt. Sobald sich das Regie-Team auf der Bühne zeigt, bricht ein Orkan von Buhrufen aus dem Zuschauersaal herein, gegen den sich die verhältnismäßig wenigen Bravorufe nicht durchzusetzen vermögen.

FAZIT

Musikalisch begeistert diese Produktion auf ganzer Linie. Szenisch hat man vielleicht einen kleinen "Skandal", der ja in gewisser Weise auch zu Festspielen in der heutigen Zeit gehört.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andreas Spering

Inszenierung, Bühnenbild und Videodesign
Sebastian Hirn

Kostüme
Monika Staykova

Lichtdesign
Jo Schramm

Video- und Tontechnik
Dorian Häfner

Chor
Christian Martin Gabriel

Dramaturgie
Christian Baier

 


Konzertchor Fürth Nürnberg

Staatsphilharmonie Nürnberg


Solisten

Paris
Anna Dennis

Helena
Aleksandra Zamojska

Amor
Anna Grechishkina

Pallas Athene
Christiane Oelze

Soldaten
Marlene Blumert (Live-Cam)
Natali Fernandes
Hyoung-Min Kim
Giles Welinski


Weitere
Informationen

erhalten Sie von den
Gluck-Festspielen Nürnberg
(Homepage)



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