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Herbstfestspiele 2014

Musik und Literatur

Auf Schostakowitschs Spuren
Bruno Ganz, Rezitation
delian::quartett


25. November 2014  im Theater Baden-Baden

 


Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

„Die Tonart der Tränen war as - Moll“

Von Christoph Wurzel / Fotos: Manolopress

Unbestritten wird Dimitri Schostakowitsch heute als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts gesehen. Zur Zeit des Systemkonflikts zwischen Ost und West allerdings wurde der russische Komponist gerade im Westen zumeist anders wahrgenommen. Als Träger mehrerer Stalin-, Lenin- und Nationalpreise der UdSSR galt er noch bis in die Siebziger Jahre hinein bei uns als sowjetischer Staatskomponist. Ja, wenn man es ganz übel meinte: als Propagandist sozialistischer Kultur. Man nahm Schostakowitsch dabei mehr in seiner ihm von Seiten der Staatsmacht aufgedrängten Rolle wahr, seine Musik erkannte man – jedenfalls in all ihren Dimensionen – kaum. Dass Schostakowitsch fast sein ganzes Komponistenleben hindurch immer in tiefer Zerrissenheit zwischen der Anpassung an die Forderungen der kommunistischen Kulturbürokratie und der Bewahrung seiner Identität als frei denkender, autonomer Künstler leben musste, blieb außerhalb der Betrachtung. Dieser Zwiespalt hat auf Schostakowitschs Leben schwer gelastet, kaum ein Werk ist davon nicht spürbar geprägt. Seit dem berüchtigten Verdikts Stalins, die Musik seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk sei chaotisch und volksfeindlich, musste Schostakowitsch über Jahrzehnte hinweg ständig mit Verhaftung, Verschleppung oder gar Vernichtung rechnen, so wie es zahllosen anderen Künstlers in der Sowjetunion ergangen ist. Doch Schostakowitsch musste ja leben, gedruckt und aufgeführt werden und als Lehrer an Hochschulen wirken. Auch sein internationales Renommee bezahlte er gleichsam mit der Vereinnahmung seitens des Staates. Aber Schostakowitsch litt schwer unter seiner Rolle. Nur in seiner Musik konnte er sein wahres Denken und Fühlen zeigen: „Ich habe keine unwahre Note geschrieben“.

Von Schostakowitsch gibt es keine autobiografischen Aufzeichnungen. Nur von fremder Hand existieren einige Biografien über ihn, teils mehr, teils weniger autorisiert. In dem jüngsten Werk, welches sich mit dem Leben des Komponisten beschäftigt, zeigt der amerikanische Autor William T. Vollman in seinem Roman Europe Central Schostakowitsch als eine zentrale Gestalt. Vergleichbar mit Tolstois Krieg und Frieden erzählt Vollman in diesem voluminösen Epos durch fiktive und auch reale Personen die Geschichte des 2. Weltkriegs wechselseitig aus deutscher und sowjetischer Perspektive. Aus einigen Kapiteln dieses Romans rezitierte Bruno Ganz an diesem Abend in Baden – Baden. Und das delian::quartet spielte passend ausgewählte Passagen aus Schostakowitschs Quartetten bzw. selbst hergestellte Quartett-Bearbeitungen.

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Bruno Ganz bei seiner Lesung im Theater Baden-Baden

In den zwei Stunden dieser Musik-Text-Collage wurde die ganze Spanne von Schostakowitschs Existenz im Zwiespalt zwischen Anpassung und Widerstand aufgefächert. Wie er als junger Pianist zum reinen Broterwerb mit starkem Widerwillen dümmliche Stummfilme begleiten muss, aber zugleich sein Genie in packenden Filmmusiken realisiert. Oder die mit viel Ironie erzählte Begebenheit, als er in seiner Rolle als Präsident des Tschaikowski-Wettbewerbs dem etwas unbedarft erscheinenden US-Amerikaner Van Cliburn den damals sensationellen Ersten Preis überreichen muss. Dagegen die Schilderung der von Angst und Schrecken beherrschten 900 Tage der Belagerung Leningrads durch die Nazi-Armee, in denen Hunger und Tod zum bitteren Alltag gehörten. Später wird er seine 7. Sinfonie, die „Leningrader“, diesen Schreckensjahren widmen, den Hunderttausenden Opfern, der Qual, aber auch der Solidarität unter den Menschen, eine Musik, die aber von den Kulturapparatschiks als „Heldenlied“ so gründlich missverstanden wurde. Schließlich die nackte Angst, die ihn packt, nachdem Stalin während der Aufführung seiner Lady Macbeth vorzeitig das Bolschoitheater verlassen hatte und er am nächsten Tag in der Prawda als Volksfeind beschimpft wird, was für ihn das Damoklesschwert potentieller Verfolgung bedeutet. Seine Form des Widerstands drückt sich in der Musik aus, in ganz besonders persönlicher Sprache in seiner Kammermusik. Gegen jede Form von Verwertung oder Nutzbarmachung hat  Schostakowitsch sich sein Leben lang gewehrt.

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Das delian::quartet im Theater Baden-Baden

Mit dem Largo des 8. Streichquartetts, den Tönen D-Es-C-H, begann das delian::quartet den musikalischen Teil des Portraits, jener klingenden Chiffre, die Schostakowitsch in seiner Musik oft als Mittel seines musikalischen Widerstands, seines individuellen Behauptungswillens eingesetzt hat. Und auch die anderen Facetten seiner musikalischen Sprache, der Sarkasmus im 3. Streichquartett (geschrieben zur Zeit des Höhepunkts Stalinscher Macht), die Musik zum Film Die Hornisse, die trotz aller Leichtigkeit einen doppelten Boden besitzt, die tiefe Zuneigung zum jüdischen Volk (im 4. Quartett) als Protest gegen den sowjetischen Antisemitismus bis hin zum todtraurigen letzten Satz des 8. Quartetts (das nur aus langsamen Sätzen besteht) als Memorial für die Opfer von Krieg und Faschismus, aber zugleich auch als Ausdruck persönlichster Trauer angesichts der eigenen von Leid und langer Krankheit überschatteten Lebensbilanz.

FAZIT

Dank der einfühlsamen Rezitation der großartigen Texte durch Bruno Ganz und der mit großer Empathie und starker Expression vom delian::quartet gespielten Musik wurde dieser Abend zu einem Konzert, das weit über  bloße Unterhaltung hinausreichte  und damit zu einer berührenden Hommage für einen beeindruckenden Komponisten wurde.

Weitere Rezensionen zu den Herbstfestspielen 2014:

Klavierrezital mit Grigory Sokolov




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Programm

Rezitation:
William T. Vollmann
„Europe Central“ (2005) (Auszüge)

Dimitri Schostakowitsch
Auszüge aus den Streichquartetten
Nr. 3, 4, und 8, aus Bühnenmusiken zu
 Hamlet, op. 32, Die menschliche
Komödie op. 83
und der Filmmusik Die Hornisse


Bruno Ganz, Rezitation

Delian::quartet:
Adrian Pinzaru, Violine
Andreas Moscho, Violine
Aida-Carmen Soanea,Viola
Jelena Očić, Violoncello






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)









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