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Kaum besser zu habenVon Christoph Wurzel Just als Simon Rattle mit den Philharmonikern in die vier Konzerte mit den Symphonien von Schumann und Brahms startete, spekulierte eine überregionale deutsche Tageszeitung in ihrem Feuilleton (wieder einmal) über die Nachfolgefrage. Dies mag aus rein terminlichen Gründen berechtigt sein, denn im kommenden Frühjahr soll der neue Chef gekürt werden, der dann 2018 in Berlin antritt. Zudem birgt die bevorstehende Entscheidung schon ein gewisses Überraschungspotential, dass aber die Ära Rattle bei den Philharmonikern bereits jetzt erschöpft und die Kraft bei den gemeinsamen Anstrengungen erlahmt sein könnte, das war beim Beginn dieser neuen Konzertsaison nun gar nicht zu spüren. Im Gegenteil – die Philharmoniker präsentierten mit ihrem Schumann-Brahms-Marathon unter Rattles Leitung vier fulminante Konzerte, die als Ausnahmeereignisse bezeichnet werden können. Da sprühten noch munter hitzige Funken zwischen dem Orchester und seinem Chef, die aus den acht Symphonien Schumanns und Brahms’ gemeinsam geschlagen wurden. Schumann und Brahms mit ihren symphonischen Werken gegenüber zu stellen, liegt nahe und auch wieder nicht. Die Freundschaft beider Komponisten, in die sich nicht unproblematisch auch Clara Schumann einbezog, könnte eine Wahl-Verwandtschaft auch im Musikalischen vermuten lassen. Dabei gibt es gerade hier nur geringe Beziehungen zwischen dem spontan und genialisch komponierenden Schumann und dem in seiner Kompositionsweise eher rational und ökonomisch kalkulierenden Brahms. Dieser Gegensatz wurde besonders in der Aufführung der zweiten Symphonien deutlich: Schumanns Werk als Ausdruck der tiefen persönlichen Krise der Jahre 1845 / 46 mit dem berührenden Schlussthema des letzten Satzes, das an Beethovens „ferne Geliebte“ erinnert und als eine Botschaft an Clara gelesen werden kann und Brahms’ Zweite als nahezu alle persönlichen Einflüsse verleugnende reine Musik. Aber auch wieder etwas Gemeinsames klang in beiden Werken an – der Bezug auf das Komponierhandwerk alter Meister, die Kontrapunktik in Schumanns drittem Satz und die strenge Komplexität im erstem Satz bei Brahms. In der stilistischen Präzision dieser Aufführungen wurden solche Querverbindungen zu spannenden Entdeckungen. Über derart strukturelle Korrespondenzen hinaus waren die Aufführungen aber vor allem außerordentlich gut gespielte Musik. Rattle dirigierte die technisch exzellent disponierten Philharmoniker mit starker Suggestionskraft. Die denkbar reichste Palette an Klangfarben leuchtete da auf, nicht nur in den überragend aufspielenden Holzbläsern mit den Ausnahmesolisten Emanuel Pahud (Flöte), Albrecht Mayer (Oboe) und an den ersten beiden Abenden Andreas Ottensamer und dann Wenzel Fuchs (Klarinetten), gerade auch in den Streichern, die souverän zwischen weich und schneidend wechselten, großartig zum Beispiel das glühend expressive Adagio der Zweiten (op. 61) von Schumann. In seinen Symphonien herrschte eine elegante, schlanke Tongebung vor, durchweht von jugendlicher Frische in der ersten, der „Frühlingssymphonie“ und ebenso in der Vierten (op. 120), die der Chronologie nach eigentlich Schumanns zweite Symphonie ist. Die nach erfolgloser Uraufführung 10 Jahre später bearbeitete Fassung ist heute gängige Praxis im Konzertbetrieb. Rattle wählte für diesen Zyklus allerdings die ursprüngliche Fassung, die übrigens auch Brahms bevorzugt haben soll. So standen sich am Abend der vierten Symphonien zwei Werke gegenüber, zwischen deren Entstehung rund 45 Jahre liegen. Einzig in Schumanns dritter, der „Rheinischen“ Symphonie hätte die Klanggestalt besonders im düster feierlichen Ausdruck des Finalsatzes den Charakter der Musik noch deutlicher betonen können. Der Musik von Brahms kamen klangliche Leichtigkeit und Transparenz besonders zugute, dies nicht allein in den Mittelsätzen, deren graziöser Charakter (3. Satz der Zweiten!) dadurch wunderbar unterstrichen wurde. Rattle gelang es großartig, Brahms’ Symphonien kammermusikalisch zu durchlüften. Und auch noch in der Wucht der Finalsätze blieb der Klang bei aller Masse und Fülle noch durchhörbar. Großartig gelangen die Übergänge, wenn Brahms wie aus einer symphonischen Ursuppe heraus neue Gedanken kreiert. Zum ganz besonderen Ereignis wurde natürlich der Alphornruf im Finale der 1. Symphonie, der dem diesjährigen Musikfest das Motto gibt. Hier konnte das philharmonische Hornquartett all seinen Glanz strahlen lassen. Wie Rattle dann den Satz über das schreitende Streicherthema („largamente“) bis zum triumphalen Choralschluss steigerte, war eine Meisterleistung für sich. So war der Jubel an allen vier Abenden riesengroß und Rattle durfte die Ovationen seiner Fans besonders im rückseitigen Block auch noch nach dem Abgang des Orchesters ganz allein entgegen nehmen.
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