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Bach und Beethoven fahren KarussellVon Christoph Wurzel / Fotos: Kai Bienert Wenn, wie Gustav Mahler befand, Tradition nicht die Anbetung der Asche ist, sondern das Weitertragen des Feuers, dann ist in diesem Sinne Jörg Widmann auch ein Traditionalist – und zwar als Solist auf der Klarinette in seinen beredten Interpretationen klassischer Werke, aber eben auch in seinen Kompositionen. So gegenwärtig seine Klangsprache ist, so ist seine Musik auch an Traditionen orientiert. Es ist, wie Siegfried Mauser in dem neuen Band Musik-Konzepte über Widmann schreibt, als suche er im Blick auf das Fremde wie in einem Spiegel das Eigene und könne sich so dessen eher vergewissern. Jörg Widmann mit dem Cleveland Orchestra Auch in diesem Konzert spielte dieser Erkenntnisprozess eine entscheidende Rolle. Drei der Kompositionen waren deutlich an der Tradition orientiert: an Schubert das Lied für Orchester, an der Form der barocken Suite die Flute en suite und an Beethoven die Konzertouvertüre Con brio. Nur ist es bei Widmann keine Verarbeitung der Tradition, wie es etwa Brahms in seinen Variationen tat, sondern es handelt sich um eine besondere Art der Aneignung – meist im Gestus, vielleicht auch im Gehalt, auf jeden Fall als Quelle der Inspiration. Wie etwa im Lied für Orchester, das in seiner gesanglichen Gestalt wie auch in der stellenweise aufkeimenden Harmonik an ein Schubertlied erinnert. Es ist natürlich die Handschrift Widmanns, aber –wenn auch nur schemenhaft- eben im Spiegel Franz Schuberts. Und die Weitergabe des Feuers hört sich bei Widmann so an, dass in der Suite für Flöte am Schluss sich ganz plötzlich und überraschend Bachs Badinerie einschleicht, frech verfremdet durch dissonante Querschläger vom Schlagzeug aus und brillant auf den Drehstuhl gesetzt, dass der Musik fast schwindlig wird. Das Cleveland Orchestra, für dessen Flötisten Joshua Smith das Stück geschrieben wurde, brachte in dieser halsbrecherischen Situation ein wahres Wunder an Präzision und Klangintensität zustande. Als geistreich humorvoller Spieler mit dem Material gibt Widmann der Flöte in diesem „Konzert“ in acht Sätzen, die auf die Tanzformen der barocken Suite zurückgreifen, die schwersten Aufgaben, die ein Flötist wohl nur bewältigen kann. Joshua Smith schaffte das mit stupender Technik und klanglicher Bravour. Das Stück ist eben, auch weil es die Tradition rekapituliert, für den Zuhörer ein großer Spaß, wie ein musikalisches Memory zum Suchen und Wiederfinden. Franz Welser-Möst Con brio: Schon diese Vortragsart erinnert stark an Tradition. So ist auch die Konzertouvertüre von Jörg Widmann, die mit dieser Bezeichnung betitelt ist, in ihrem Ausdruck am Beethovenschen Feuer orientiert. Das Stück wirbelt Klänge nur so umher, entfacht den Wind buchstäblich hörbar aus den Rohren der Blasinstrumente, steigert sich bis zur Geräuschmusik und sackt schließlich kraftlos mit einem ausgeatmeten Seufzer zusammen. Widmann braucht für sein Klangdesign keinen elektronischen Support. Das erledigte das Cleveland Orchestra in abenteuerlicher Präzision ganz allein. Unsagbar gut, wie es Klänge zum Verschwinden bringen konnte, als würde hinter ihnen die Tür geschlossen. Klangingenieur Franz Welser-Möst hielt vom Pult aus alles bewundernswert präzise zusammen. Das letzte Stück aus Widmanns Zauberküche stellte Teufel Amor als diabolisches, ebenso lust- wie qualvolles Klangdrama vor. Von nur einer Zeile eines Schillertextes ließ Jörg Widmann sich hier inspirieren: „Süßer Amor verweile / In melodischem Flug“. Zwischen welchen Widersprüchen das Wort Liebe hin- und hergeworfen wird, ist der Dramaturgie dieses umfangreichen Stücks eingeschrieben. Ein großartiger Abschluss dieses Portraitkonzerts für den vielleicht gegenwärtig interessantesten Komponisten der mittleren Generation.
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Das ProgrammJörg Widmann
Joshua Smith, Flöte The Cleveland Orchestra Franz Welser-Möst, Dirigent
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