Iris und Kevin im Alptraumwunderland
Von Joachim Lange
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Fotos: Forster
Das Neue und Experimentelle hat bei den SWR-Festspielen im wunderbaren Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses seinen festen Platz. In diesem Jahr ist es Ende Mai wieder eine neue Oper von Georg Friedrich Haas. Nach dem erfolgreichen Bluthaus vor zwei Jahren, ist diesmal mit Thomas eine Auseinandersetzung mit dem Tod angekündigt.
Hier steht alles Kopf!
Im aktuellen Jahrgang dieser renommierten, vom Rundfunk im deutschen Südwesten veranstalteten Festspiele, deren Musiksparte vom (Noch-)Basler Intendanten Georges Delnon verantwortet wird, hat auch der Auftakt schon etwas Experimentelles. Und dass, obwohl der Komponist dessen Name über dem Ganzen steht, Henry Purcell (1659-1695) heißt, also schon über 300 Jahre tot ist. Neben seiner einzigen durchkomponierten Oper Dido und Aeneas schaffen es ab und an auch seine Semi-Opern wie King Arthur oder die Mittsommernachtsvariante The Fairy Queen auf die Opernbühnen. Der in letzter Zeit immer mehr als Regisseur tätige Choreograf Joachim Schloemer nimmt jetzt vor allem die Musik zu The Indian Queen, Purcells letzter Semioper, nach dem Libretto von John Dryden und Robert Howard, als Opernvorlage ernst. Dafür riskiert er einen neuen Kontext, indem er dem barocken Kraut- und Rübensujet, dessen Handlung im mexikanisch-peruanischen Urwald des 17. Jahrhunderts spielt, eine moderne psychologisierende Dialogfassung verpasst.
Schamane und Sonne treffen aufeinander
Der Ansatz, aus einem allegorisch überhöhten Kampf exotischer Königinnen eine Exkursion auf eine imaginäre Insel zu machen, ist zunächst mal schlüssig. Iris und Kevin sind Touristen. Aus Alteuropa - wie man an den Vornamen unschwer erkennen kann. Mit dem einheimischen Reiseführer Pablo streifen sie durch einen zusammenphantasierten imaginären Urwald und fallen dabei in ein Loch. Es ist natürlich eines in der dünnen Decke aus Zivilisation über der zwar gezähmten aber noch virulenten archaischen menschlichen Natur. Der Unfall wird zu einer Abenteuer-Reise ins Ich. Iris und Kevin finden sich im Wunderland der Träume, des Unbewussten, der Obsessionen wieder.
Die beiden Touristen begegnen seltsamem Personal und sich selbst
In Jens Kilians exquisitem barock anmutendem Bühnensaal steht nämlich alles auf dem Kopf: Die Tür, aber auch die Sessel und eine Tafel, die dann irgendwann auf dem Boden landet und zu einem Becken wird, in das es hineinregnet. Da laufen sogar die Doppelgänger der Reisenden tatsächlich kopfüber an der Decke umher, als wäre es das Normalste von der Welt. Dieser kunstvoll artistisch zelebrierte Kopfstand (bzw. Kopfgang) ist der Coup dieser Produktion. Die verunglückten Touristen begegnen einem Bärenfell-Schamanen, einem Sonnengott und in Orazia und mit Acacis eigenartigen Doppelgängern. Sie bestaunen rätselhafte Rituale, entdecken Wünsche, können (wie Iris vermutlich von einem Hubschrauber) gerettet werden, bleiben mit durchschnittener Kehle zurück (wie Kevin) oder sind womöglich nur da wirklich zuhause (wie Pablo). Als Idee und als fantasievoll opulente Bühnenaktion mit Musik funktioniert das, selbst ohne eine durchweg schlüssig erzählte Handlung.
Welcher Tourist (wie Kevin - hinten) begegnet schon sich schon als Prinz?
Das Problem sind die überkandidelten Dialogtexte, mit denen die drei Schauspieler (Anna Tenta als Iris, Vincent Leittersorf als Kevin und Pascal Lalo als mexikanischer Reiseführer Pablo) obendrein, trotz oder wegen der Mikroports, nicht das Wiedergabeniveau erreichen, auf dem die Sänger ihren Part beisteuern. Für ein Festival ist das gleichwohl ein akzeptabler Versuch, mit musikalischen Kostbarkeiten aus der barocken Schatztruhe ähnlich frei und souverän umzugehen, wie es zur Zeit ihrer Entstehung üblich war. Hervé Niquet und sein vorzügliches Chor- und Instrumental-Ensemble Le Concert Spirituel machen aus Purcells Musik mit souverän lustvoller historischer Geste lauter funkelnde Schmuckstücke. Der höchst barock-souveräne Schwede Andres Dahlin (als mexikanischer Prinz Acacis) und der kraftvoll vitale Mathis Vidal (als Sonnengott) glänzen als Tenöre, die makellose Ruby Hughes (als Inka-Prinzessin Orazia), die mezzosatte Mirelle Lebel (als Zempoalla eine Doppelgängerin des Reiseleiters) und Marc Labonenette (als Schamane im Bärenfell) sorgen darüber hinaus auch für vokalen Glanz. Die musikalischen und optischen Qualitäten können freilich nicht völlig aufwiegen, dass es sich bei dieser Indian Queen um etwas Unvollendetes handelt.
FAZIT
Die Eröffnungsproduktion der Schwetzinger Festspiele ist ein Experiment, bei dem Joachim Schloemer versucht hat, aus einer Semioper eine Gesamtkunstwerk zu machen. Das ist nur zum Teil gelungen. Musikalisch und optisch hat der Abend allerdings seinen Reiz.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Hervé Niquet
Inszenierung
Joachim Schloemer
Bühne
Jens Kilian
Kostüme
Marie-Thérèse Jossen
Dramaturgie
Bettina Auer
Chor und Orchester Le Concert Spirituel
Solisten
Orazia
Ruby Hughes
Zempoalla
Mireille Lebel
Die Sonne
Mathias Vidal
Acacis
Anders Dahlin
Bärenmann, eine Schamane
Marc Labonnette
Iris, eine Touristin
Anna Tenta
Pablo, ein mexikanischer Reiseführer
Pascal Lalo
Kevin, ein Tourist
Vincent Leittersdorf
Zeremonienmeister
Markus Hofmann
Artisten
Oliver Kahl Benedikt Ocker Susanne Preissler Marianne Preissler
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Schwetzinger SWR Festspiele 2013
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