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Musikfestspiele
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Winter in Schwetzingen

Das Barock-Fest im Rokokotheater des Schlosses
15.12.2013 - 05.02.2014

Iphigenie auf Tauris (Ifigenia in Tauride)

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Marco Coltellini
Musik von Tommaso Traetta


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 50' (eine Pause)

Premiere im Rokokotheater am 15. Dezember 2013

 

 


 

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Morden im Haus der Atriden

Von Thomas Molke / Fotos: Florian Merdes

Tommaso Traetta gilt gemeinsam mit Niccolò Jommelli als einer der bedeutendsten Repräsentanten der Neapolitanischen Schule. Doch obwohl er bei seinem Tod 1779 mit seinen über 40 Opern, Sinfonien und Divertimenti zu einem der renommiertesten Komponisten seiner Zeit zählte, sind seine Werke heute in Vergessenheit geraten. Dabei war er für die Opern-Reformbestrebungen sicherlich ähnlich bedeutend wie Christoph Willibald Gluck, mit dem man heutzutage im Allgemeinen den Übergang von der Opera seria zum musikalischen Drama assoziiert. Bereits ein Jahr, nachdem Gluck mit Orfeo ed Euridice seine erste Reformoper anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Krönung von Kaiser Franz I. zur Uraufführung gebracht hatte, präsentierte er zum gleichen Anlass in Wien mit Ifigenia in Tauride ein Werk, das sich, gemessen an den über 20 Partituren, die heute noch in ganz Europa erhalten sind, großer Beliebtheit im 18. Jahrhundert erfreut hat. Da beim Winter in Schwetzingen seit zwei Jahren der Schwerpunkt auf die Neapolitanischen Meister der frühen italienischen Oper gelegt wird, hat man in diesem Jahr Traettas vergessenes Dramma per musica "ausgegraben", um zu demonstrieren, dass es musikalisch durchaus dem Vergleich mit Glucks 16 Jahre später komponierter Variante standhalten kann.

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Ifigenia (Aleksandra Zamojska, vorne Mitte) bereitet mit ihrer Vertrauten Dori (Rinnat Moriah, im Hintergrund mit dem Chor) die Opferhandlungen vor.

Die Handlung geht zurück auf eine mythologische Episode der Atriden, die durch ein 1757 in Paris uraufgeführtes Schauspiel von Guimond de la Touche in den folgenden Jahren einen regelrechten Iphigenie-Hype im Musik- und Sprechtheater auslöste. Agamemnon, der König von Mykene, hatte einst seine Tochter Iphigenie in Aulis geopfert, um mit den Griechen nach Troja segeln zu können. Die Göttin Artemis rettete Iphigenie jedoch vor dem Opfertod und brachte sie nach Tauris zu dem Tyrannen Thoas, wo sie als Priesterin jeden Fremden der Göttin Artemis - bei Traetta ist es Pallas Athene - opfern musste. Klytämnestra, Iphigenies Mutter, war über den vermeintlichen Tod der Tochter  so verletzt, dass sie gemeinsam mit ihrem Liebhaber Ägisth ihren Gatten Agamemnon ermordete, als dieser siegreich aus Troja zurückkehrte. Daraufhin rächte Iphigenies Bruder Orest den Mord am Vater und tötete die eigene Mutter, woraufhin er von den Furien verfolgt wurde. Ein Orakelspruch in Delphi verhieß ihm, dass er nur Frieden finden werde, wenn er die Schwester - Orest glaubte, dass damit das Palladium, die Statue der Göttin, gemeint sei - aus dem Tempel in Tauris zurück nach Argos bringe. Die Oper beginnt mit Orestes (Orests) Ankunft auf Tauris und unterscheidet sich in einigen Aspekten vom Mythos und der bekannteren Version von Gluck. Zum einen hat ifigenia (Iphigenie) eine Vertraute namens Dori, die den gefangenen Oreste befreit und ihm und Pilade (Pylades) einen geheimen Gang aus dem Tempel weist. Als Strafe für diesen Verrat soll sie gemeinsam mit Pilade, der auf der Flucht in Gefangenschaft geraten ist, hingerichtet werden. Als Oreste zurückkehrt, um den Freund zu retten, und sich zu erkennen gibt, tötet Ifigenia selbst Toante (Thoas) und befreit damit auch die Taurer von ihrem Tyrannen.

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Oreste (Artem Krutko) wird von den Furien (Chor) mit Wahnvorstellungen gequält.

Rudolf Frey misstraut dem scheinbar glücklichen Ende und hält es für äußerst unwahrscheinlich, dass Ifigenia und Oreste nach den ganzen traumatischen Erlebnissen ein sorgenfreies Leben führen können. Schließlich musste Ifigenia 15 Jahre lang jeden Fremden, der Tauris betrat, den Göttern opfern. Sie ist also alles andere als eine reine, hehre Priesterin. Frey betrachtet sie als eine Art Geisel des Tyrannen, in dem sie einerseits eine Vaterfigur und andererseits einen Begehrenden sieht. Dies mag vielleicht erklären, wieso sie einen grünen Tornister bei sich trägt, in dem sich auch zwei Kuscheltiere befinden. Als sie sich der Opferung des Fremden widersetzt, zerlegt Toante kurzerhand ein Kuscheltier in seine Einzelteile und lässt sie mit einer Art Blow-Job Buße tun. Wenn Ifigenia Toante am Ende erschießt, kommt dieser Akt nach Freys Deutung schon beinahe einem Vatermord gleich, so dass sowohl Oreste als auch Ifigenia beide ein Elternteil ermordet haben, und wie Oreste nach dem Mord an der Mutter von den Furien verfolgt und mit Wahnvorstellungen bestraft wird, lässt Frey auch Ifigenia am Ende der Oper beiim jubelnden Schlusschor verrückt werden. Ein friedliches Leben wird für die beiden Geschwister folglich eher unwahrscheinlich bleiben.

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Pilade (Irina Simmes) ist bereit, für seinen Freund Orest sein Leben zu riskieren.

Fragen werfen die Kostüme und das Bühnenbild von Aurel Lenfert auf. Während Toante in seinem schwarzen Kostüm recht bedrohlich wirkt, bleibt völlig unklar, wieso Lenfert Ifigenia in einen gelben Pullover mit grüner Hose und Dori in ein dunkelgrünes Kostüm kleidet. Beim Chor der Taurer wirkt die Garderobe ebenfalls absolut willkürlich und ohne jeden Zusammenhang zur Handlung. Auch beim Bühnenbild erschließt sich nicht alles. Während der eiserne Vorhang mit der Kreideaufschrift, dass jeder Fremde hier geopfert werde, noch nachvollziehbar ist und auch das aus dem Schnürboden herabgelassene Bühnenelement mit dem aufgemalten Tempeleingang sogar ein wenig Illusion der Antike weckt, wirkt der ansonsten kahle weiße Raum mit der Matratze im Hintergrund und den zahlreichen Säcken, die in der Bühnenmitte ein Karree bilden, eher befremdlich. Wieso ordnet Ifigenia im ersten Akt hier Schuhe und Schuhkartons? Sollen das die Überbleibsel der bereits geopferten Fremden sein, so wie in der rechten hinteren Ecke mehrere blaue Bündel aufgestellt sind? Optisch beeindruckend gelingen eigentlich nur die Opfer-Szenen und Orestes Wahnvorstellung. Bei den geplanten Opferungen wird ein Karree aus weißen Plastiksäcken in der Mitte der Bühne gebildet, wobei eine aufgerichtete Holzbank wie eine Art Marterpfahl fungiert. In dieser Szene tragen alle klinisches Weiß, um das Opferblut noch deutlicher hervortreten zu lassen. Wenn Oreste im zweiten Akt von den Furien mit Wahnvorstellungen gepeinigt wird, gelingt ebenfalls ein beeindruckendes Bild. Die Geister treten alle mit weiß geschminkten Gesichtern auf und verbreiten so eine unheimliche Atmosphäre. Im Hintergrund wird Klytämnestra in einem feuerroten Kleid sichtbar, die von einem Jungen mit blutroter Farbe überschüttet wird. Schade, dass Frey im Folgenden Ifigenia nicht in einem ähnlichen Kleid auftreten lässt, um die im Text geäußerte Ähnlichkeit zwischen Tochter und Mutter zu unterstreichen.

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Blutiges Ende auf Tauris: Iphigenie (Aleksandra Zamojska) und Orest (Artem Krutko)

Musikalisch hat diese Oper durchaus ihre Meriten, die von den Solisten größtenteils sehr gut umgesetzt werden. Rinnat Moriah stattet Ifigenias Vertraute Dori mit einem leuchtenden Sopran aus und bewegt vor allem im Duett mit Ifigenia im dritten Akt, wenn diese beklagt, dass sie nun ihre Vertraute opfern soll. Aleksandra Zamojska stattet die Titelpartie mit dramatischen Höhen und einer kräftigen Mittellage aus und zeigt sich auch in den Koloraturen recht beweglich. Irina Simmes begeistert als Pilade mit glasklarem Sopran und sauber angesetzten Spitzentönen. Namwon Huh verfügt zwar über einen warmen lyrischen Tenor, der dem brutalen Charakter des Toante allerdings in keiner Weise gerecht wird. Seine Stimme klingt viel zu weich, als dass man ihm den grausamen Tyrannen abnimmt. Hinzu kommt, dass ihm in den musikalischen Läufen ein wenig die stimmliche Beweglichkeit fehlt. So verpuffen leider die Glanzarien, die dieser Partie eigentlich in die Kehle gelegt worden sind. Die Entdeckung des Abends ist sicherlich der Countertenor Artem Krutko in der Rolle des Oreste. Krutkos Countertenor verfügt über eine ungewöhnliche Tiefe, die an einen warm-timbrierten Alt erinnert und dabei unwahrscheinlich maskulin klingt. Auch die Ausbrüche in die Höhen bereiten ihm keine Schwierigkeiten, so dass er zum uneingeschränkten Star des Abends avanciert. Wolfgang Katschner lässt mit dem Philharmonischen Orchester Heidelberg Traettas Musik aus dem Orchestergraben regelrecht aufblühen, so dass es am Ende lang anhaltenden und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Gerade zum Vergleich mit Glucks Reformopern sollte man sich diese deutsche Erstaufführung nicht entgehen lassen. Wer es im Winter nicht mehr nach Schwetzingen schaffen sollte, wird diese Produktion auch noch einmal im Rahmen der Internationalen Gluck-Opern-Festspiele 2014 im Markgrafentheater Erlangen am 15. und 16. Juli 2014 erleben können.




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Produktionsteam  

Musikalische Leitung
Wolfgang Katschner

Regie
Rudolf Frey

Bühne und Kostüme
Aurel Lenfert

Chordirektion
Jan Schweiger /
Ursula Stigloher

Dramaturgie
Heribert Germeshausen



Philharmonisches Orchester
Heidelberg

Chor des Theaters und
Orchesters Heidelberg

Statisterie des Theaters und
Orchesters Heidelberg

 

Solisten 

Ifigenia
Aleksandra Zamojska

Oreste
Artem Krutko

Toante
Namwon Huh

Pilade

Irina Simmes

Dori
Rinnat Moriah


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