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38. Tage Alter Musik in Herne
14. - 17. November 2013

Die Konzerte

Von
Ingo Negwer und Gerhard Menzel
Konzertfotos: WDR (Thomas Kost)



38. TAGE ALTER MUSIK IN HERNE
vom 14. bis 17. November 2013


14. – 17. November
Klanglandschaften Osteuropas
vom Mittelalter bis zur Frühromantik
zwischen Volkstradition, Kulturdiktat und Emanzipation
Zehn Konzerte des Westdeutschen Rundfunks Köln
und ein Konzert der Stadt Herne

16. November
Andere Welten?
Kulturlandschaften Osteuropas
und ihre Wahrnehmung im Westen
Kulturpolitisches Forum wdr 3

15. – 17. November
Blas- und Saiteninstrumente
Musikinstrumenten-Messe der Stadt Herne
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Klanglandschaften Osteuropas
Konzerte des Westdeutschen Rundfunks Köln


Seit jeher ist es ein Markenzeichen der Tage Alter Musik in Herne, die „alte“ Musik vergangener Epochen in den Fokus zu rücken und dabei immer neue Perspektiven zu suchen. In diesem Jahr stand das traditionsreiche Festival, das von WDR 3 in Kooperation mit der Stadt Herne veranstaltet wird, unter dem Motto „Klanglandschaften Osteuropas“. Die Stationen reichten von St. Petersburg bis Belgrad, von Moskau bis Prag und – chronologisch betrachtet – vom Mittelalter bis zur Frühromantik. 


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Kulturzentrum Herne


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Kreuzkirche Herne
Schon anhand der räumlichen Ausdehnung wird deutlich, dass diese Klanglandschaften kein homogenes Gebilde sind, sondern eine facettenreiche Vielfalt unterschiedlichster Musikkulturen beheimaten. Einflüsse des Westens treffen auf östliche Volksmusiktraditionen, geistliche Gesänge der orthodoxen Kirche auf die Sakralmusik katholischer und evangelischer Konfession. In Herne wurde das große musikalische Erbe Osteuropas in zehn Konzerten ausschließlich von Musikerinnen und Musikern der jeweiligen Regionen präsentiert.



Ihre erste Station machten die Tage Alter Musik in Transsilvanien / Siebenbürgen. Das ungarische Ensemble Musica Profana unter der Leitung von Zsolt Szabó stellte im Kulturzentrum Musik aus dem Codex Caioni vor, einem breit gefächerten frühbarocken Repertoire mit Kompositionen von Alessandro Grandi, Heinrich Schütz u. a., sowie mit anonymen Tänzen als frühen Zeugen der Volksmusik Siebenbürgens. Der Codex Caioni wurde um die Mitte des 17. Jahrhunderts von dem rumänischen Franziskanermönch Ioan Caionu (1629–1687) aufgezeichnet und erst 1985, nachdem ihn Mönche während des 2. Weltkriegs im Kloster Şumuleu-Ciuc versteckt hatten, wiederentdeckt.

Die Musik ist in deutscher Orgeltabulatur notiert. Sie wurde von Musica Profana für ein Instrumentalensemble mit Blockflöten, Violinen, Gamben, Zink, Trompete, Cembalo, Orgel und Laute eingerichtet. Das neunköpfige ungarische Ensemble bot so im Wechsel von westlicher Kunstmusik und östliche Folklore ein kurzweiliges, stilistisch vielfältiges Programm.
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  Musica Profana 


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Vokalensemble Pavle Aksentijević

Zu später Stunde erklangen anschließend geistliche Gesänge des Spätmittelalters aus serbischen, griechischen und rumänischen Quellen. Charakteristisch für diese spezielle Form der orthodoxen Kirchenmusik ist der Isocratina-Gesang, bei dem sich die solistisch vorgetragene Melodie über lang ausgehaltenen Grundtönen erhebt. Das aus sechs Sängern bestehende Vokalensemble Pavle Aksentijević aus Serbien stellt das außergewöhnliche Repertoire in der Kreuzkirche vor.

Ingo Negwer

Das Nachmittagskonzert am folgenden Tag in der Kreuzkirche bestritt der Russische Patriarchatschor Moskau.  Der 1983 von Anatoly Grindenko aus Mönchen und Seminaristen des Ordens des heiligen Sergius (in Zagorsk) gegründete Chor des Russisch-Orthodoxen Patriarchats besteht seit 1985 aus professionellen Sängern verschiedener Kirchen Moskaus. Es ist das einzige Ensemble, das zugleich musikwissenschaftliche Forschung und lebendige Gesangspraxis betreibt. Bei dem Vorhaben, die lange vernachlässigte, rein vokale orthodoxe Kirchenmusik wiederzubeleben, mussten alte, zahlreich erhaltene Manuskripte aus dem 11. Jahrhundert entziffert werden, die über Jahrhunderte in Vergessenheit geraten waren.

Auf dem Programm in der Kreuzkirche Herne standen auch russische Vokalpolyphonie  aus der Zeit, in der unter Zar Iwan „der Schreckliche“ für eine Renaissance der Kirchenmusik erfolgte. Neue Gesangsschulen und viele Lehrmeister sorgten für einen neuen russischorthodoxen Kirchenklang, der auch heute noch viele Zuhörer beeindruckt. Unter der Leitung von Anatoly Grindenko zelebrierten die zehn Mitglieder des Russischen Patriarchatschor Moskau die Werke mit klanggewaltigen, sehr präsenten Außenstimmen sowie einem homogenen Kang mit verinnerlichtem Ausdruck und Emphase.


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Russischer Patriarchatschor Moskau
Leitung: Anatoly Grindenko
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  Pratum Integrum

Im Abendkonzert  stand mit „Galantéries barbares“ im Kulturzentrum virtuose Musik aus Moskau und St. Petersburg in der Zeit zwischen Zarin Katharina II. „der Großen“ und Zar Alexander I. auf dem Programm. Der Zarenhof sorgte seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts für eine Blüte der Musik in Moskau und St. Petersburg. Dabei wurde vor allem die Operntradition in der Landessprache gefördert. Zu der ersten russischen Komponistenschule mit internationaler Erfahrung gehörten auch Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski und Jewstignei Ipatjewitsch Fomin. Die junge Sopranistin Anna Gorbachyova konnte sich durch drei sehr variable gestaltete Opernarien von Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski auszeichnen.


Der zweite Teil des Konzertes dominierte - nach der Ouvertüre zum Melodrama Orfej von Jewstignei Ipatjewitsch Fomin - das Grand Concert G-Dur op. 50 von Johann Wilhelm Haessler. Nachdem Haessler 1790 in London gemeinsam mit Joseph Haydn konzertiert hatte, führten seine Konzertreisen durch Europa unter anderem nach Riga, Moskau und Petersburg, wo er von Zarin Katharina „der Großen“ zum Kaiserlich-Russischen Kapellmeister ernannt wurde.


Olga Martynova, die Solistin des Grand Concert G-dur, schien mit dem in Herne ausgewählten Hammerflügel nicht das passende Instrument gefunden zu haben. Vielleicht klang das live im Radio wie gewünscht, aber im Saal des Kulturzentrums kam der Hammerflügel nicht recht zur Geltung. Das Orchester Pratum Integrum, das als einziges in Russland mit dem gesamten Spektrum an historischen Instrumenten aufwarten kann, spielte unter der Leitung von Pavel Serbin etwas brav und mehr auf Konzentration bedacht, als dass es zum freien Ausspielen kam. Trotz allem waren die noch nicht gehörten Kompositionen und Eindrücke sehr interessant.

Gerhard Menzel


Das slowakische Ensemble Musica Aeterna und sein Leiter Peter Zajíček unterhielten am Samstagnachmittag das Publikum mit Kammermusik des späten 18. Jahrhunderts aus Bratislava / Pressburg. Heute nahezu vergessene Komponisten lieferten die Zutaten zu einem kurzweiligen Divertissement in der Akademie Mont-Cenis. Zum Auftakt erklang Anton Zimmermanns Serenata affetuosa per la quaresima, gefolgt von einer Cassatio B-Dur aus der Feder von Theodor Lotz und dem Quartett F-Dur von Georg Druschetzki, in dem das solistisch agierende Bassetthorn (Róbert Šebesta) besonders aufhorchen ließ. Dass Unterhaltungsmusik unterhaltend, ja humoristisch, und dennoch gehaltvoll sein kann, bewies einmal mehr Joseph Haydn, dessen Divertimento C-Dur Hob II:17 den krönenden Abschluss des Konzerts mit Musica Aeterna bildete.
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Ensemble Musica Aeterna


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Wrocława Orkiestra Barokowa
Zbigniew Pilch (Konzertmeister)

Am Abend war das Wrocława Orkiestra Barokowa zu Gast im Kulturzentrum. Die Tage Alter Musik machten Station in Galiziens Hauptstadt Lemberg. Dort wurde 1790 Karol Lipinski geboren, einer der bedeutendsten Geigenvirtuosen des 19. Jahrhunderts, Lehrer von Joseph Joachim und Henryk Wieniawski, sowie Schöpfer zahlreicher Konzerte, Sinfonien und Kammermusikwerken. Seine Kompositionen sind heute ebenso vergessen wie der Komponist selbst.

In Herne konnte man zwei Werke von Karol Lipinski wiederentdecken: die Sinfonie B-Dur op. 2/3 – ein Jugendwerk, bei dem Haydn und Schubert Pate gestanden haben dürften – und das dritte Violinkonzert e-Moll op. 24.

Das einsätzige Werk atmet den stürmischen Geist der Romantik und fordert vom Solisten virtuose Hochleistungen. Zbigniew Pilch, Konzertmeister des Wrocława Orkiestra Barokowa, konnte mit nicht immer lupenreiner Intonation nur bedingt überzeugen. Das Orchester aus Breslau beendete sein bemerkenswertes Programm mit der Sinfonie C-Dur op. 11 von Józef Elsner (1769–1854), dem heute ebenfalls weitgehend unbekannten Lehrer Frédéric Chopins und Wegbereiter der polnischen Musik.

Die „Klanglandschaften Osteuropas“ hielten bei den Tagen Alter Musik in Herne manche musikalische Entdeckung bereit. Hinsichtlich der Interpreten waren große Offenbarungen bislang jedoch Mangelware. Mit internationalen Maßstäben gemessen, wurde weitgehend gehobenes Mittelmaß geboten. Das sollte sich am letzten Festivaltag grundlegend ändern.


VergrößerungEllenai Quartett


Am Sonntagmorgen stand Chopins Grande Fantaisie sur des Airs Polonais op. 13 auf dem Programm, gefolgt von den beiden Klavierkonzerten in kammermusikalischen Fassungen mit Hammerflügel und Streichquartett. Janusz Olejniczak entlockte dem Flügel eine ungewohnt reiche Palette an Klangfarben und entfachte vor allem im E-Moll-Konzert ein Feuerwerk der Virtuosität. Aufmerksam begleitet wurde er von dem noch jungen Ellenai Quartett, das erst im Mai von Paulina Sokołowska, Hanna Drzewiecka, Agnieszka Sokołowska und Agnieszka Kolodziej gegründet worden war. Das Publikum feierte die Akteure mit Ovationen, wofür sich Janusz Olejniczak mit schier übersprudelnder Spielfreude und drei Zugaben bedankte.
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Janusz Olejniczak




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Alessandro Quarta

Am Nachmittag stellten die Cantores Rigensis geistliche Musik der Renaissance vor, wie sie im späten 16. Jahrhunderts am Dom zu Riga gepflegt wurde. Neben Kompositionen von Martinus Crusius und Orlando di Lasso standen vor allem Werke des Rigaer Domkantors Paulus Bucenus Philorodus (gest. 1586) im Mittelpunkt. Das international besetzte Sextett unter der Leitung von Raitis Grigalis glänzte in der Kreuzkirche mit makellosen Stimmen und einer exzellenten, bestens ausgewogenen Ensembleleistung. A-capella-Gesang vom Feinsten!

Abschluss und Höhepunkt der Tage Alter Musik 2013 bildete die Aufführung von Jan Dismas Zelenkas Sub Olea Pacis Et Palma Virtutis Conspicua Orbis Regia Bohemiae Corona – der Vollständigkeit des Berichts halber, sei der Titel einmal genannt. Im Herner Kulturzentrum wurden die musikalischen Nummern dieses Melodramas über den Heiligen Wenzel, den Schutzpraton Böhmens, vom Collegium Vocale 1704 und vom Collegium 1704 aufgeführt. Die Solisten des Abends waren Céline Scheen (Sopran), Terry Wey (Countertenor), Krystian Adam (Tenor) und Tobias Berndt (Bass); die Gesamtleitung hatte Václav Luks.

Zelenkas Werk wurde 1723 anlässlich der Krönung Kaiser Karls VI. zum König von Böhmen in Prag aufgeführt und hatte somit vor allem tagespolitische Aktualität. So wundert es nicht, dass sein Inhalt – der Verzicht Wenzels auf die Königswürde und die Wanderung der böhmi-schen Königsinsignien durch die Zeiten bis in die Hände bzw. auf die Häupter der Habsburger – heute nur noch sehr bedingt zu Herzen geht. Ganz anders ist es um die Musik Zelenkas bestellt, in der sich die Pracht des Barock klangvoll und in großer Besetzung entfaltet. Die Prager Originalklangspezialisten des Collegium 1704 und seines assoziierten Kammerchors, deren außergewöhnliche Qualität längst über die Grenzen ihrer tschechischen Heimat bekannt ist, nahmen sich des Werks Zelenkas mit Spielfreude und sprühendem Elan an und sorgten für einen gelungenen Ausklang der Tage Alter Musik in Herne.

Ingo Negwer
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Terry Wey (Countertenor),
Céline Scheen (Sopran),
Václav Luks (Gesamtleitung),
Collegium Vocale 1704,
Collegium 1704 



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Da capo al Fine

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