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Musikfestspiele
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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
09.05.2013 - 22.05.2013

Siroe, Re di Persia

Oper in drei Akten (HWV 24)
Libretto von Pietro Metastasio mit Veränderungen Nicola Francesco Haym
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 50' (eine Pause)

Premiere im Deutschen Theater Göttingen am 10. Mai 2013

 

 

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Kampf um die Krone

Von Thomas Molke / Fotos von Theodoro da Silva

Siroe, Re di Persia gehört zu den vernachlässigten und unbekannteren Werken Händels, was zum einen der komplizierten Figuren-Konstellation, zum anderen dem extrem hohen Anteil an Rezitativen geschuldet sein dürfte, die eine Umsetzung in der heutigen Zeit recht problematisch machen. Im Jahr der Uraufführung wies das Werk zwar mit 18 Vorstellungen in Folge eine große Erfolgsbilanz aus, hatte aber bereits mit der Konkurrenz der englischen "Ballad opera", die vor allem mit Gays The Beggar's Opera das Publikum fesselte, zu kämpfen. Wie Alessandro zwei Jahre zuvor war auch Siroe auf die drei Sängerpersönlichkeiten Senesino, Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni zugeschnitten und stellt den Konflikt zweier Frauen (Sopran) in ihrem Begehren für einen Herrscher (Kastrat) dar.

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Bettina Fritsche als "Das Volk" während der Ouvertüre

Das Libretto von Pietro Metastasio, das vor Händel innerhalb von zwei Jahren von insgesamt fünf Komponisten in Musik gesetzt wurde, spielt zu Beginn des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts in Persien. Der persische König Cosroe (Chosrau II.) lässt sich durch Intrigen verleiten, anstelle seines erstgeborenen Sohns Siroe (Kadavh II. Shiruya) seinen jüngeren Sohn Medarse (Medarza) zum Nachfolger zu ernennen. Die indische Prinzessin Emira, die sich als Mann unter dem Namen Idaspe Zugang zum persischen Hof verschafft hat, um Rache für ihren Vater zu nehmen, den Cosroe im Kampf grausam ermordet hat, liebt Siroe und hofft nun, dass dieser bereit ist, ihr bei ihren Racheplänen beizustehen. Auch Laodice, die Schwester von Siroes Freund Arasse, liebt den jungen Prinzen, wird von diesem allerdings zurückgewiesen. Siroe ist zwischen seiner Liebe zu Emira und seinem Pflichtgefühl dem Vater gegenüber hin- und hergerissen und verliert durch Medarses hinterlistiges Spiel und Laodices aus Kränkung erfundene Beschuldigungen immer mehr das Vertrauen des Königs, bis er schließlich im Gefängnis hingerichtet werden soll. Als die Nachricht vom vermeintlichen Tod des Prinzen eintrifft, offenbart sich Emira dem König als eigentliche Drahtzieherin des geplanten Attentats und wird verhaftet. Doch Arasse hat den Prinzen gerettet. Ein letzter Mordversuch von Medarse scheitert und entlarvt dessen wahre Absichten. Cosroe übergibt Siroe die Königskrone. Siroe verzeiht in einem großen Akt der Güte seinem Bruder und Laodice und überzeugt sogar Emira davon, ihrer Rache abzuschwören und seinem Vater zu vergeben.

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Medarse (Antonio Giovannini) bedrängt Laodice (Aleksandra Zamojska).

Das Regie-Team um Immo Karaman verzichtet in seiner Inszenierung auf jegliches orientalisches Flair und siedelt die Geschichte in den Resten eines zweistöckigen Hauses an, das an die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg erinnert und seine beste Zeit hinter sich hat. Der Verfall wird dabei nicht nur durch teilweise abblätternde Tapeten sondern auch durch die zum Publikum hin abrupt abgebrochenen Wände und Böden deutlich, die den Eindruck erwecken, dass hier nur noch der Torso eines einst prächtigen Gebäudes steht. Timo Dentler und Okarina Peter haben dieses abgebrochene Haus in drei Räume unterteilt, die durch Einsatz der Drehbühne unterschiedliche Blickwinkel gewähren und schnelle Szenenwechsel ermöglichen. In einem Raum, der wohl ursprünglich die Eingangshalle gewesen sein dürfte, führt eine Holztreppe in das Obergeschoss. Vom Erdgeschoss führen zwei Flügeltüren wahrscheinlich in die ehemalige Küche oder den Dienstbotentrakt. Über diesem Bereich sieht man den Rest eines Zimmers, das vielleicht ein ehemaliges Schlafgemach darstellen könnte. Von dem zweiten Raum führt der Rest einer Holztür wahrscheinlich in den ehemaligen Salon, der durch einen großen offenen Kamin in der Mitte angedeutet wird. Man mag dieses Bühnenbild nicht schön finden, sich vielleicht sogar als Besucher eines Händel-Festivals um den barocken Glanz der Ausstattung betrogen fühlen, die begrenzte Spielfläche gewinnt jedoch durch die häufige Rotation der Drehbühne eine ganz eigene Dynamik. Die Protagonisten bewegen sich wie Tiere in einem Käfig, aus dem es kein Entrinnen gibt, was die Motivation für ihre Handlungen vielleicht ein wenig nachvollziehbarer macht.

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Emira (Anna Dennis) will Cosroe (Lisandro Abadie) töten.

Als weitere Figur fügt Karaman die Tänzerin Bettina Fritsche ein, die im Programmheft als "Das Volk" ausgewiesen wird und in die Rolle eines stummen Dienstmädchens schlüpft. Mit ihr beginnt und endet die Inszenierung. Wenn sich der Vorhang hebt, sitzt sie bereits mit einer Tasse auf der Holztreppe und bewegt sich während der Ouvertüre durch die einzelnen Räumlichkeiten. Beim Finale nimmt sie mit einer Tasse in der Küche Platz und überlässt die übrigen Solisten für das Publikum unsichtbar dem jubelnden Schlusschor, wobei lediglich die Silhouetten von Siroe und Medarse hinter den beiden Flügeltüren andeuten, dass der Frieden am persischen Hof wohl nicht von Dauer sein dürfte. Ist sie vielleicht ganz allein im Haus? Entspringen die anderen Figuren nur ihrer Fantasie oder sind sie Reminiszenzen an längst vergangene Zeiten? Jedenfalls scheinen die anderen Protagonisten ihr, auch wenn sie auf der Bühne präsent ist und ins Geschehen eingreift, keine Beachtung zu schenken, was natürlich auch ihrem Status als Dienstmädchen geschuldet sein könnte.

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Vater-Sohn-Konflikt (auf dem Sessel: Cosroe (Lisandro Abadie), rechts davor: Siroe (Yosemeh Adjei), links: Arasse (Ross Ramgobin), rechts: Bettina Fritsche)

Andere Regieeinfälle Karamans bleiben jedoch unklar und unnötig. So macht die Bibel, auf die Medarse und Siroe zu Beginn des ersten Aktes schwören sollen, überhaupt keinen Sinn. Selbst wenn man die Geschichte nicht im vorchristlichen persischen Reich ansiedelt, bleibt ein religiöser Bezug im Libretto völlig aus. Schließlich gibt es im Stück noch nicht einmal den Deus ex machina, der die Katastrophe am Ende noch zum Guten wendet. Unklar bleibt auch, wieso Karaman Laodice in eine Opferrolle drängt. Schließlich ist sie eine Hauptverantwortliche dafür, dass Siroe bei seinem Vater in Ungnade fällt, nur weil er ihre Gefühle nicht erwidert. Auch dass sie nahezu bei jedem Auftritt ein neues Kostüm trägt, gibt Rätsel auf. Soll das ihr verzweifelter Versuch sein, doch noch Siroes Aufmerksamkeit zu gewinnen? Fraglich ist auch, weshalb Siroe vor seiner Verurteilung seinen Frust im Boxer-Outfit an einem großen Boxsack auslassen muss, bei allem Respekt vor Yosemeh Adjeis strammem Muskelspiel in dieser Szene. Auch dass er als Gefangener einen Heizkörper hinter sich herzieht, an dem er gefesselt ist, führt beim Publikum eher zur Belustigung als zu Mitgefühl mit dem arg gebeutelten Titelhelden.

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Happy End mit Tee und Kuchen (von links: Arasse (Ross Ramgobin), Medarse (Antonio Giovannini), "Das Volk" (Bettina Fritsche), Cosroe (Lisandro Abadie), Siroe (Yosemeh Adjei), Emira (Anna Dennis) und Laodice (Aleksandra Zamojska))

Aber auch wenn Karamans Regieansatz nicht in allen Punkten überzeugen kann, lässt die musikalische Gestaltung des Premierenabends keine Wünsche offen. Der musikalische Leiter Laurence Cummings, der die Aufführung auch am Cembalo begleitet, beweist, wieso das FestspielOrchester Göttingen zu den führenden Barock-Orchestern zählt. Mit absoluter Präzision und genau abgestimmten Tempi entfacht er ein musikalisches Feuerwerk, das die Leidenschaften der Protagonisten hervorragend nachzeichnet. Dem Orchester zur Seite steht ein großartiges Solisten-Ensemble, angeführt von Yosemeh Adjei in der Titelpartie, der nicht nur optisch eine Idealbesetzung für den zukünftigen König ist und die innere Zerrissenheit des jungen Mannes überzeugend ausspielt, sondern auch stimmlich über einen Countertenor verfügt, der in der Mittellage virile Stärke verströmen lässt und gleichzeitig in den Höhen zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist. Antonio Giovannini gibt als Medarse mit einem etwas weicheren Countertenor einen geeigneten Gegenpart ab. Auch er reizt den intriganten Zweitgeborenen darstellerisch hervorragend aus. Ross Ramgobin hat zwar als Siroes getreuer Freund Arasse keine eigene Arie, überzeugt aber mit markanter Tiefe in den Rezitativen. Lisandro Abadie stattet den König Cosroe mit einem dunklen, kräftigen Bass aus, der im Gegensatz zur Wankelmütigkeit des Königs steht.

Auch für die beiden "rival queens" hat man in Göttingen zwei Sopranistinnen gefunden, die den enormen Anforderungen der Partien in vollem Maße gerecht werden. Aleksandra Zamojska begeistert als Laodice mit leuchtendem Sopran und perlenden Koloraturen und versteht es, auch optisch ihre Reize geschickt einzusetzen. Anna Dennis überzeugt in der Pseudo-Hosenrolle als Emira / Idaspe mit sauberen Höhen und großartiger Mittellage. Besonders bewegend gelingt ihr die Arie '"Non vi piacque, ingiusti dei", in der sie sich wünscht, als Schäferin geboren zu sein. So gibt es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten, und auch das Regie-Team wird trotz einiger diskutabler Ansätze mit keinerlei Missfallensbekundung abgestraft.

FAZIT

Auch wenn man sich gerade mit Blick auf das Motto der diesjährigen Festspiele ein bisschen mehr "Orient" in der Inszenierung gewünscht hätte, sollte man sich dieses selten gespielte Werk schon wegen der hervorragenden Besetzung nicht entgehen lassen.

Zur Übersicht über die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen 2013

 

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Laurence Cummings

Regie
Immo Karaman

Choreographie
Fabian Posca

Bühnenbild und Kostüme
Timo Dentler
Okarina Peter



FestspielOrchester Göttingen

 

Solisten

Siroe
Yosemeh Adjei

Emira
Anna Dennis

Laodice
Aleksandra Zamojska

Medarse
Antonio Giovannini

Cosroe
Lisandro Abadie

Arasse
Ross Ramgobin

Das Volk
Bettina Fritsche

 

Weitere
Informationen

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