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Bayreuther Festspiele 2013

Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache

Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 29.7.2013

Aufführungsdauer: ca. 6 h Stunden (zwei Pausen)


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Bayreuther Festspiele
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Glauben sollst du, was ich dir sage ...

Von Roberto Becker, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath


Soviel direkt abgebildete DDR wie jetzt in Frank Castorfs Siegfried gab es auch noch nicht auf dem Grünen Hügel. Ob nun die Minol-Leuchtreklame (die übrigens der einzige Verweis auf's Öl in diesem Ringteil bleibt) oder das Plakat der Friedensfahrt. Das Logo der Berliner S-Bahn sieht immer noch so aus. Und die Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz auch. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man freilich, dass da St. Petersburg an der entsprechenden Zeitzone zu lesen ist, und da stand vor der Wende sicher der damalige Name der Stadt, nämlich Leningrad. Was ein geschenktes Detail ist, denn das Ring-Bühnenbild von Aleksandar Denic ist auch im Siegfried eine Show für sich. Vor allem dieser Alexanderplatz ist eine genial verdichtete Atmosphäre aus Zeit und Erinnerung. Seine Rückseite ein phantastischer Alptraum.

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1. Aufzug: Der Wanderer (Wolfram Koch) und Mime (Burkhard Ulrich)

Wenn sich der Vorhang öffnet, dann sieht man nämlich zuerst ein Mount Rushmore der besonderen Art. Sind im amerikanischen Original herausragende Präsidenten dort in Stein gehauen, so prangen auf der Bayreuther Drehbühne die Säulenheiligen der Roten Weltreiche: Marx, Lenin, Stalin und Mao. Wenn Mime zu Siegfried sagt: „Glauben sollst du, was ich dir sage“, dann ist das hier zum Monument geworden. Offenbar wird noch daran gearbeitet, denn es gibt Treppen und Gerüste, auf denen man nach oben gelangen kann. Und hier müssen denn die Säger auch etliche Male 'rauf und 'runter. Was sie alle erstaunlich gut bewältigen.


Vergrößerung in neuem Fenster 2. Aufzug: Siegfried (Lance Ryan) mit Waldvogel (Mirella Hagen) und Mime (Burkhard Ulrich)

Am Fuße des Felsens begegnet uns der Wohnwagen wieder, in dem schon an der Route 66 im „Golden Motel“ das Rheingold verschwunden war. Der stimmlich äußerst bewegliche Mime Burkhard Ulrich hat hier zumindest eine intellektuelle Vergangenheit. Es gibt nämlich allerhand Bücher in diesem Camper-Haushalt, den er zusammen mit Siegfried unterhält, zu dem hier noch ein dritter gehört: An Stelle eines Bären hat Siegfried nämlich den wilden, aber wissbegierigen Naturburschen an der langen Leine, der er selbst gar nicht mehr ist. Vielleicht sein Alter ego? Der sich dann (die Blackfacing-Debatte lässt grüßen) schwarz anschmiert. Siegfried selbst ist hier nämlich schon „groß“ und erstaunlich halbseiden gekleidet – der pure Anti-Naturbursche. Das ist so eine von Castorfs biographischen Irritationen.

Eine andere ist Erda, die bei ihm (nicht nur im Golden Motel, sondern auch am Alex) eine Prostituierte ist. Die Begegnung zwischen Wotan und ihr, dieses sich Angiften von zwei Personen mit gemeinsamer Vergangenheit und ohne Zukunft, wird zu einem spannenden Kabinettstück, bei dem Castorf wirklich nichts auslässt. Wenn diese Erda in Dessous auf die Knie geht, ahnt man schon, dass es da einen Blowjob gibt. Dass im entscheidenden Moment aber der Kellner mit seiner Rechnung dazwischenfunkt, die Wotan am Ende Erda überlässt, ist so eine von den Überraschungen, mit denen Castorf immer wieder aufwartet.

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3. Aufzug: Erda (Nadine Weissmann) und Wanderer (Wolfram Koch)

Das läuft auch bei der Begegnung von Siegfried und Brünnhilde so ähnlich. Er findet die Langschläferin noch ziemlich vorhersehbar am Fuße des Felsens (oben oder unten, was heißt das schon), geht aber dann mit ihr auf den Alex einen trinken. Und hat schon dort mehr die Speisekarte und die herumkriechenden und kopulierenden Krokodile im Auge als seine Braut. Obwohl die sich wie eine echte Braut in Weiß ausstaffiert hat. Dass er vorher dem Waldvogel nicht nur zugehört, sondern ihn regelrecht vernascht hat, kann man verstehen: Es ist das wohl prächtigste, mit Revuefedern aufgedonnerte Exemplar seiner Art. Wahrscheinlich nebenan vom Friedrichstadtpalast entlaufen.

Als Wotan sich dem Enkel auf dessen Weg zu seiner Braut Brünnhilde in den Weg gestellt hatte, wurden Lenin und Stalin mit den Gesichtern Wotans und Siegfrieds überblendet. Was ein witziger Effekt zum höchstens aphoristischen Gedanken bleibt. Man erwischt sich dabei, darüber nachzudenken, ob Marx überhaupt als erster der Reihe für die Herrscher mit den blutigen Händen haftbar gemacht werden sollte, und kommt auf die hügelinterne Pointe, dass es Wagner mit Hitler ja auch nicht viel besser geht. Für mehr Abschweifung hat man keine Zeit, denn es ist allerhand los zwischen diesen imaginären Welten. Die irgendwie doch eine ist und vom gescheiterten Versuch Wotans handelt, mit einem Helden die Welt zu retten. Und zugleich von der zusammengebrochenen Utopie mit einem neuen Menschen eine neue Gesellschaft zu bauen.


Vergrößerung in neuem Fenster 3. Aufzug: Brünnhilde (Catherine Foster) und Siegfried (Lance Ryan)

Oh ja: Castorf tut nur so, als würde er sich mit lauter kleinen Gags der eigentlichen Geschichte vom Aufstieg des Helden und Abstieg der Götter entziehen. Tatsächlich aber hat er einen großen, bildmächtigen Wurf in Arbeit. Siegfried lässt einmal laut die Kalschnikow knattern (und erledigt so bei einer Schießerei auf dem Alex Fafner, Mime sticht er einfach ab). Aber diese lautstrake „Kritik der Waffen“ bleibt ein Aufreger am Rande. Das Ganze ist nämlich bei Castorf eine ästhetisch subversive Waffe der Kritik. Castorfs Blick auf die Welt durch die Brille seiner Theatermittel und mit Wagners gewaltiger Musik im Rücken will schon auf's Grundsätzliche hinaus. Hat ein intellektuelles Format, das er schelmisch grinsend hinter einer Tarnkappe von szenischem Witz – oder auch ungelösten Rätseln - verbirgt.

Aber auch dieser Siegfried ist nicht nur ein Fest für die Sinne, das zum Nachdenken verführt. Er ist auch musikalisch auf dem Niveau, wie man es in Bayreuth haben möchte. Ob Wolfgang Koch, der als tätowierter, heruntergekommener Wanderer seine Wotanpartien imposant krönt, Burkhard Ulrich als höchst eloquenter Mime und natürlich Lance Ryan als jugendlich strahlender, wenn auch etwas eindimensionaler Siegfried und Catherine Foster als aufleuchtende Brünnhilde in den großen Partien; oder ob Mirella Hagen (als optisch und stimmlich prachtvoller Waldvogel), Sorin Coliban (erdiger Fafner) und nochmal Martin Winkler (Alberich) und Nadine Weissmann (Erda) – hier ist ein erstklassiges Ensemble beisammen, das vom eigentlichen Helden dieses Rings, Kirill Petrenko, mit traumwandlerischer Sicherheit und betörender Transparenz durch dieses Wagner-Abenteuer geführt wird.


FAZIT

Mit seinem Siegfried landet Frank Castorf in der gerade vergangenen Gegenwart – mit seinen Mitteln ist er so provozierend, dass das bei manchen den Blick auf das subversive Potential verbaut. Musikalisch baut Petrenko weiter an seinem Ring-Erfolg. Das Ensemble hat Festspielniveau.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kirill Petrenko

Inszenierung
Frank Castorf

Bühnenbild
Aleksandar Denic

Kostüme
Adriana Braga Peretzki

Licht
Rainer Casper

Video
Andreas Deinert
Jens Crull

Statisterie und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

Siegfried
Lance Ryan

Mime
Burkhard Ulrich

Wanderer
Wolfgang Koch

Alberich
Martin Winkler

Fafner
Sorin Coliban

Erda
Nadine Weissmann

Brünnhilde
Catherine Foster

Waldvogel
Mirella Hagen





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