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Prometheus

Musiktheater von Lemi Ponifasio
nach der Tragödie Der gefesselte Prometheus des Aischylos
Musik von Carl Orff

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (keine Pause)

Premiere in der Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord am 16. September 2012

Logo: Ruhrtriennale 2012

Bildungsbürgerliche Exerzitien von erlesener Schönheit

von Stefan Schmöe

Vor allem solche Werke des Musiktheaters aufzuführen, die den Repertoirebetrieb sprengen und daher anderswo nicht zu sehen sind – das ist für diese Triennale unter der Intendanz von Heiner Goebbels Programm. Die Europeras von John Cage haben den Auftakt gemacht (unsere Rezension), nun folgt als zweite große Opernpremiere der Prometheus von Carl Orff. Der hat es, 1968 entstanden, auf gerade einmal eine Hand voll Aufführungen gebracht. Dazu trägt sicher die obskure Besetzung mit je sechs Flöten, Oboen, Trompeten und Posaunen, neun Kontrabässen, acht Klavieren, dazu Banjos, Harfen, Orgel und üppiges Schlagwerk mit Instrumenten aus verschiedenen Kontinenten bei, was ja nun nicht eben dem Stellenplan eines typischen städtischen Orchesters entspricht. Eben ein Fall für die Ruhrtriennale, die dafür die auf moderne Musik spezialisierte MusikFabrik gemeinsam mit dem Schlagzeugensemble SPLASH und dem „Orchesterzentrum |NRW" - zwei Ensemble für Nachwuchsmusiker – aufbietet. Unter der umsichtigen Leitung von Peter Rundel bewältigen die Musiker den Orchesterpart sehr ordentlich. Hier und da könnte man sich noch mehr Aufspaltung des Klanges, prägnantere Registerwechsel vorstellen, wobei allerdings auch die Raumakustik im Fortissimo zu einem mulmigen, wenig körperhaften Klang führt.


Vergrößerung in neuem Fenster Prometheus (Wolfgang Newerla)

Orff hat Aischylos' Tragödie Der gefesselte Prometheus ohne Texteingriffe im altgriechischen Original vertont. Über lange Strecken lässt er den Text unbegleitet rezitieren und Sprachmelodie und Klang des Altgriechischen für sich wirken. Die Vertonung ist weitgehend undramatisch, und in Verbindung mit dem Verzicht auf eine Übersetzung und damit die unmittelbare Verständlichkeit ergibt sich eine Verschiebung vom (im Schauspiel vorrangig transportierten) Inhalt hin zum (dem Musiktheater gemäßen) Klangereignis. Melodische Momente sind dabei selten, auch in den ariosen Teilen ist die (kaum einmal vorhandene) Melodie dem stark perkussiv geprägten Klang untergeordnet. Allerdings hat Orff dem Frauenchor melodische Gesangslinien von berückender Schönheit komponiert – die Frauen des ChorWerk Ruhr (Einstudierung: Florian Helgath) singen das fast ohne Vibrato und mit traumhaft sicherer Intonation, sodass ein schwebender, entmaterialisierter Klang entsteht.


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Der auf Samoa geborene Künstler Lemi Ponifasio macht aus dem Prometheus eine gigantische Rauminstallation in der „Kraftzentrale" im Landschaftspark Duisburg-Nord, einem ehemaligen Stahlwerk. Das passt inhaltlich natürlich gut, schließlich wird Prometheus dafür gestraft, dass er den Menschen unerlaubt das Feuer brachte – Inbegriff der Kraft schlechthin, aber auch Initialzündung für alle menschliche Kultur. Als Hommage an das Ruhrgebiet darf man wohl auch verstehen, dass die den Bühnenraum auf der rechten Seite durchziehende Empore (auf der das Orchester platziert ist) mit einem plastischen schwarzen Material abgetrennt ist, das an einen Kohleflöz erinnert. Auf der riesigen schwarzen Bühne hat Ponifasio eine groß dimensionierte Spielfläche aus Glasplatten ausgelegt, die sich trapezförmig nach hinten verjüngt und damit noch größere Länge vortäuscht, als sie ohnehin schon hat. Zwischen den elegant spiegelnden Platten verlaufen Lichterketten, und so entsteht eine gerasterte Großfläche von hinreißender Schönheit. Das Konzept ist durch und durch abstrakt und verzichtet auf jede Psychologisierung, es gibt keine Requisiten, die Kostüme sind schwarz, der Frauenchor trägt dazu hauchdünne Schleier, die im harten Streiflicht durchscheinend sind und die Silhouetten der Körper erkennen lassen. Das schaut bei aller Modernität schon sehr antik aus.


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Wolfgang Newerla sitzt als Prometheus praktisch die gesamte Dauer über auf einem schwarzen Block, die Hände auf die Knie gelegt. Er bewältigt die Gesangspartie beeindruckend, auch wenn sie sicher an die Grenzen seiner Stimme geht, und spricht den Text in edler Deklamation. Mezzosopranistin Brigitte Pinter besticht als Io Inachis vor allem in den dramatischen Passagen mit klarer und schlanker, auch kraftvoller Stimme. Mit Dale Duesing als Okeanos und Thomas Möwes als Kratos sind auch die kleineren Gesangspartien ausgezeichnet besetzt. Schauspieler David Bennett gibt einen sehr markanten Hermes. Dazu gesellen sich Tänzerinnen und Tänzer von Ponifasios MAU Company – das sind die Momente mit der größten Aktion im sehr ruhigen Ablauf, bei dem Chor und Statisterie über einen langen Zeitraum in sehr gemessenen Tempo den Bühnenraum durchschreiten. Man kann die Aufführung als ein großes, geheimnisvolles Ritual auffassen, dessen Sinn sich nicht enträtseln lässt, dessen kühler, bestechend schöner Ästhetik man sich nicht entziehen kann.


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Eine idealtypische Aufführung des Prometheus? Vielleicht, aber dennoch (oder gerade deshalb?) bleiben die Eindrücke ambivalent. Die Schönheit bleibt Selbstzweck, das Ritual hat kein Ziel (gesellschaftliche Relevanz sowieso nicht). Die mit zweieinhalb Stunden Spieldauer sehr(!) lange, noch dazu ohne Pause gespielte Aufführung verlangt dem Publikum einiges ab. Das darf Kunst natürlich, und die Zeitdimension ist hier Teil des Kunstwerks, wobei man Programmheftlyrik wie „Wir transzendieren Zeit und Raum und kommen in einen Dialog mit uns selbst" besser ignoriert. Aber die übergroßen Dimensionen verleihen dem Werk ebenso wie der getragene Sprechduktus und die edle Ausstattung eine unangenehm pathetische Dimension, eine humorlos-wichtigtuerische Attitüde „Vorsicht: Große Kunst!". Und die Wahl des Stoffes, der nur einem sehr begrenzten Kreis bekannt sein dürfte (die hier behandelte Episode, in der Prometheus sich weigert, sein Wissen um das Ende der Götter preiszugeben und am Ende im Tartaros versinkt, liegt zeitlich vor der sehr viel populäreren Geschichte, in der ein Adler täglich die Leber des angeketteten Halbgottes frisst), die Verwendung der klassischen, aber fast keinem Besucher verständlichen Sprache (noch dazu ohne Übersetzung in Übertiteln) – das kann man ja auch als extreme Form des Rückzugs in großbürgerliche Bildungswelten verstehen. Die Aufführung hat etwas von einem Oberseminar in klassischer Philologie, die das Publikum sehr konventionell von der Tribüne aus verfolgt. So gesehen sitzt dieser Prometheus ganz weit oben im Elfenbeinturm. Ist das nun radikal modern, wie die Dramaturgen der Ruhrtriennale mehrfach betonten? Oder nicht doch eher radikal konservativ?


FAZIT

Große Bilder von faszinierender Schönheit, für die man allerdings nicht nur angesichts der Länge ein gehöriges Maß an Leidensbereitschaft aufbringen, sondern auch die keineswegs pathosfreie bildungsbürgerliche Attitüde aushalten muss.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Peter Rundel

Regie, Bühne, Kostüme
Lemi Ponifasio

Licht
Helen Todd

Klangregie
Norbert Ommer

Chor
Florian Helgath

Dramaturgie
Stephan Buchberger


Statisterie der Ruhrtriennale

MAU Company

ChorWerk Ruhr

Ensemble MusikFabrik

SPLASH - Percussion NRW

Orchesterzentrum | NRW


Solisten

Prometheus
Wolfgang Newerla
Ioanne Papalii (MAU)

Kratos
Thomas Möwes

Bia
Kasina Campbell (MAU)

Hephaistos
Eric Houzelot

Okeanos
Dale Duesing

Io Inachis
Brigitte Pinter
Helmi Prasetyo (MAU)

Hermes
David Bennett

Chorifea 1
Olga Vilenskaja

Chorifea 2
Hasti Molavian

Chorifea 3
Johanna Krödel




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