Ein an die Occupy-Bewegung erinnernder Wald aus
schwarz-weißen Schildern ist mit wahllos
zusammengewürfelten Textfragmenten des
Cage-Textes Lecture on Nothing beschriftetet. Auch der
Boden ist mit Zeitungspapier gepflastert. "We are
getting nowhere", "Free of course" oder "I can
anything this now" schreit einem pakativ entgegen.
Mittig sitzt ein älterer Herr an einem
weißen Tisch. Konzentriert richtet er seinen
Blick auf einen vor ihm liegenden geöffneten
Aktenordner voller weißer Zettel. Bedächtig
gleitet der Zeigefinger der rechten Hand über die
Zeilen. Der Vortragende ist barfuss. Er trägt ein
weißes Oberhemd und eine weiße Sommerhose
oder ist es ein weißer Schlafanzug? Auf der
rechten Seite der Bühne steht ein schlichtes,
ordentlich gemachtes, weißes Bett. Das Publikum
hat Platz genommen. Alle warten. Kein Wort erklingt.
Stille.
Als dann, nach einigen Minuten,
abrupt ein nicht enden wollendes, ohrenbetäubend
lautes, metallisch verzerrtes Klangband einsetzt,
haben einige Besucher das Gefühl im falschen Film
zu sein und verlassen den Raum. Es lärmt nicht
nur, es schmerzt.
Zwischen den Schilderbäumen hält ein mit
schwarzer Schirmmütze, Anzug ausgestatteter
junger Mann mit seinem Fernrohr Ausschau nach weiteren
Menschen im Publikum. Wen sucht er?
Einige Minuten später wechselt der Lärm auf
eine höhere Tonstufe. Tritonus- , Septimabstand
oder ist es die von Cage verabscheute Terz? Der
Lärm ist deutlich aggressiver, provozierender
geworden. Es ist kaum auszuhalten. Und plötzlich
- ebenso abrupt wie das Geräusch begonnen hat,
setzt es wieder aus. Kein Husten, kein Atmen, kein
Rascheln, nichts. Bis auf die Klimaanlage der Halle
herrscht wunderbare, absolute Stille!
Was wie der Beginn eines Theaterstücks anmutet,
ist der ca. 30 minütige Anfang einer von Robert
Wilson inszenierten Performance der Lecture on Nothing,
einer von Cages zentralen, experimentellen Texten.
1949 beim Künstler-Club in der 8. Straße
von New York vorgetragen, im August 1959 erstmalig im
Druck erschienen, wendet Cage hier zusätzlich zum
Stimmklang musikalische Formprinzipien zur
Strukturierung der Zeit wie Metrum, Takt, Rhythmus,
Phrase auf Texte an. Vortrag über
Nichts lautet der Titel in der wunderbaren
Übersetzung von Ernst Jandl. Nicht der Inhalt
solle interessieren, sondern seine anschauliche
Vergegenwärtigung. Und bei aller künstlichen
Struktur solle der Vortrag "nicht in einer
gekünstelten Weise geschehen (...), sondern mit
dem Rubato,
das man beim alltäglichen Sprechen anwendet",
fordert Cage in einem Vor-, bzw. Nachwort.
Sobald Robert Wilson mit seiner natürlich
wirkenden, überaus kunstvollen Sprachmelodie in
verständlichem, breiten amerikanischen Englisch
beginnt, ordnen sich stufenlose
Beleuchtungsveränderungen und eine selten
einsetzende zarte, fast tonlose, musikalische
Untermalung dem Textvortrag unter.
Der Inhalt wirkt wie eine parodistische und doch
ernste, unmotivierte, scheinbar belanglose
Aneinanderreihung autobiographischer Bemerkungen,
Assoziationen, Kommentare zur Textstruktur,
Philosophie, Amerika, Kunst, Musik, Komponisten und
ihren Kompositionsverfahren.
Im vierten Textabschnitt häufen
sich die Wiederholungen. Wilsons flexibler,
wohlklingender Bariton weiß die Zuhörer
immer wieder in Bann zu ziehen. Mal ist er der
euphorische Märchenonkel, mal wirkt seine Stimme
ironisch gebrochen. Mal verklingt sie in gehauchtem
Flüsterton. Mal schreit er autoritär ins
Publikum.
Ganz im Gegensatz dazu ein vom Band eingespieltes
Textfragment, wo jemand mit monotonem Stimmklang eine
Passage wiederholt, während der Performer sich
schlafen gelegt hat - frei nach der Aufforderung in
Cages Text : "Wenn jemand schläfrig ist, soll er
schlafen."
Es war ein faszinierender Vortrag im
Perfomance-Gewand, aus dem auch die witzigen, sich
selbst inszenierenden Abschiedsgesten Robert Wilsons,
die nach dem Applaus folgten, nicht wegzudenken sind.
Schade nur, dass das Programmheft keine Informationen
zur Konzeption der Performance enthält und auch
keine Auskunft über Quelle oder Namen des
Vortragenden der Bandeinspielung gibt.
FAZIT
Eine hervorragende Performance mit
einem grandiosen Performer Robert Wilson.