Medea und Prag
Von Thomas Molke
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Foto © Staatstheater Nürnberg
Einen Tag nach der Wiederentdeckung von
Johann Christoph Vogels Das goldene Vlies im Opernhaus gab
es im Schauspielhaus ein Konzert mit dem Titel Medea in Prag, womit beide
Themen der diesjährigen Gluck-Opern-Festspiele - nämlich Prag und die
Antike - zumindest im Namen aufgegriffen wurden. Was allerdings Bendas 1775 in
Gotha komponiertes Melodram Medea mit Prag zu tun haben soll
beziehungsweise Rosettis und Mozarts Sinfonien mit der Antike oder dem
Medea-Mythos, bleibt inhaltlich unklar, so dass man dieses Konzert besser
Medea und Prag übertitelt hätte, um deutlich zu machen, dass vor und nach
der Pause inhaltlich völlig unterschiedliche Themen behandelt werden. Auch die
der Medea vorangestellte Ouvertüre von Christoph Willibald Glucks
Ouvertüre zu Iphigénie en Aulide wirkt bei aller musikalischer Schönheit
im Teil vor der Pause inhaltlich eher zusammenhanglos. Bendas Melodram ist in
der Darbietung so intensiv, dass es einer zeitlichen Verlängerung im ersten Teil
nicht bedurft hätte.Die Gattung Melodram, die
mit der Reformoper die enge inhaltliche Verzahnung von Musik und Text gemeinsam
hat und sich aus dem Accompagnato-Rezitativ entwickelt hat, präsentiert fast
ausnahmslos weibliche mythologische Figuren in einer tragischen Situation und
wird in Deutschland musikgeschichtlich vor allem mit Ji ří
Antonín Benda verbunden, der in den 70er Jahren die drei heute noch bekanntesten
Werke Ariadne auf Naxos, Medea und Pygmalion schuf.
Erfunden wurde sie 1762 in Frankreich von Jean Jacques Rousseau, entwickelte
sich aber vor allem in Deutschland sehr schnell zu einem äußerst beliebten
Genre, da anders als in der Oper und im reinen Trauerspiel die Texte in Deutsch
verfasst wurden, was dem Wunsch des zeitgenössischen Publikums nach hoher
Verständlichkeit nachkam. Außerdem boten die Texte Paraderollen für die großen
Schauspielerinnen der damaligen Zeit, die mit den von den musikalischen Einlagen
unterbrochenen langen Monologen ihre ganze mimische und deklamatorische
Virtuosität ausspielen konnten. Für die Aufführung in Nürnberg hat man die
renommierte Film- und Fernsehschauspielerin Martina Gedeck engagiert, die
eindrucksvoll belegt, dass diese Gattung bei einer entsprechenden Präsentation
auch heute noch nichts von ihrem Reiz eingebüßt hat.
Dargestellt wird ein kurzer Auszug aus der Medea-Sage.
Jason hat, nachdem er durch Medeas Hilfe das goldene Vlies erlangt hat, sein Eheversprechen
eingehalten und mit Medea zwei Söhne gezeugt. Da ihm Medea mit ihren
Zauberkräften jedoch unheimlich ist, hat er sich von ihr getrennt und plant nun,
sich in Korinth mit der Königstochter Krëusa zu vermählen. Medea kommt nun aus der
Verbannung zurück und überlegt, wie sie die erlittene Schmach rächen kann.
Nachdem sie zunächst abwägt, ob sie lieber sich selbst oder Jason töten soll,
kommt sie zu dem Entschluss, Jason alles zu nehmen, was ihm lieb und teuer ist.
Also plant sie, sowohl Krëusa zu vergiften, als auch ihre eigenen Kinder zu
töten, da sie in ihnen Jason selbst sieht. Hin und her gerissen zwischen
Mutterliebe und Hass auf den Ehegatten führt sie diesen Mord schlussendlich aus
und triumphiert in verzweifelter Verzückung über Jasons Leid.
Martina Gedeck
Obwohl das Melodram eigentlich in einer konzertanten
Fassung geboten wird, beweist Martina Gedeck mit intensivem Spiel, welch
emotionale Kraft in dieser Kombination aus Sprache und Musik liegt. Schon
während der Ouvertüre sitzt Gedeck zusammengesunken auf einem Stuhl vor dem
Orchester und macht die in der Musik ausgedrückte Verzweiflung Medeas sichtbar.
Mit großartiger Diktion und nuanciertem Tonfall tritt sie anschließend in einen
Dialog mit dem Orchester, so dass ihr langer Monolog von der ersten bis zur
letzten Minute ergreifend ist und keine Längen bemerken lässt. Dass Gedeck dabei
das Textbuch auf einem Notenständer liegen hat und mehr oder weniger beiläufig
die Seiten umblättert, bemerkt man fast gar nicht, so dass ihre Präsentation
eigentlich einer szenischen Darstellung im vollen Umfang entspricht. Unterstützt
wird dieses Spiel von der Kammerschauspielerin Jutta Richter-Haaser als
Hofmeisterin und den Kinderdarstellern Till Raskopf und Marc Schmidt als Medeas
Söhne, die alle ohne Textbuch auftreten. Einzig Thomas Nunner wirkt mit seinem
Textbuch in der Hand ein wenig steif und kann in der Darstellung des
verzweifelten Jason nicht in vollem Maße überzeugen.
Das Junge Tonkünstlerorchester Bayreuth, das sich aus
jungen Musikern zusammensetzt, die bereits durch ein professionelles Studium
über einige Jahre Orchestererfahrung verfügen und jedes Jahr in mehrtägigen
Arbeitsphasen unter der Betreuung von erfahrenen Orchestermusikern ein
Konzertprogramm erarbeiten, präsentiert unter der Leitung von Manfred Jung
Bendas Musik sehr eindringlich. Große Momente erzeugt es vor allem in der
Mordszene, die im Off stattfindet. Durch eine entsprechende rote Lichtstimmung
entsteht durch eine von Raserei und Rache durchzogene Musik vor dem inneren Auge
des Zuhörers ein Bild dessen, was im Off passiert, ohne dass man weitere Details
wissen möchte. Auch das Zusammenspiel mit Gedeck funktioniert subtil aufeinander
abgestimmt. Beeindrucken können vor allem Medeas Gebet und ihre Rache-Vision,
die gewissermaßen gesprochene Arien darstellen.
Nach der Pause präsentiert das Orchester eine Sinfonie
des in Böhmen geborenen Komponisten Antonio Rosetti und Wolfgang Amadeus Mozarts
berühmte Prager Sinfonie. Obwohl sich diese beiden Komponisten nie begegnet
sind, waren sie doch durch ihre Werke verbunden. So wurde beispielsweise in Prag
anlässlich Mozarts Tod 1791 Rosettis Requiem in Es-Dur aufgeführt. Rosettis
Sinfonie in g-Moll ist die einzige Sinfonie dieses Komponisten in einer
Moll-Tonart und gilt als eines seiner besten Werke. Als Vorbild wird Joseph
Haydns 16 Jahre ältere Trauersinfonie in e-Moll gehandelt, von der
Rosetti die Idee übernimmt, das Menuett als Kanon an die zweite Stelle seiner
viersätzigen Sinfonie zu setzen. Bemerkenswert ist der starke Einsatz der
Bläser, die nicht nur als Gruppe präsent sind, sondern auch mit Solopassagen
eingesetzt werden. Das Junge Tonkünstlerorchester Bayreuth findet unter der
Leitung von Manfred Jung zu beiden Sinfonien einen ambitionierten Zugang und
setzt beide Werke präzise und klangschön um, so dass auch der zweite Teil des
Abends mit großem und lang anhaltendem Applaus bedacht wird.
FAZIT
Die einzelnen Teile des Konzertes lassen durchaus aufhorchen. Die
Zusammenstellung wirkt jedoch etwas willkürlich und thematisch nicht ganz
überzeugend.
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Internationalen Gluck-Opern-Festspielen 2012
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Ausführende
Musikalische Leitung
Manfred Jung Szenische
Einrichtung Medea
Michael Schlecht
Junges Tonkünstlerorchester
Bayreuth
Solisten
Medea
Martina Gedeck
Jason
Thomas Nunner
Hofmeisterin
Jutta Richter-Haaser
Söhne Medeas
Till Raskopf
Marc Schmidt
Weitere
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Staatstheater Nürnberg
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