Barockoper im Rocker-Milieu
Von Thomas Molke
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Fotos von Jutta Missbach
Christoph Willibald Gluck
hat seinen Platz im Repertoire der Opernhäuser heutzutage vor allem seinen
Reformopern zu verdanken. Dabei wird häufig vergessen, dass er vor seinem wohl
bekanntesten Werk Orfeo ed Euridice ein äußerst erfolgreicher Komponist
der opera seria war. Nachdem man sich bei den letzten Internationalen
Gluck-Opern-Festspielen 2010 unter dem Motto Gluck, Paris und die Folgen
vor allem seinen Spätwerken gewidmet hat, geht man in diesem Jahr mit Gluck,
Prag und die Antike auf seine Anfänge zurück. So wird stolz verkündet, dass
bei diesen Festspielen die Prager Urfassung seines 1750 uraufgeführten Ezio
wiederentdeckt werde. Wer bei dieser "Wiederentdeckung" allerdings auf eine
möglichst ungekürzte Fassung dieser Oper hofft, die Gluck 1763 für das Wiener
Burgtheater noch einmal grundlegend überarbeitete, wird jedoch enttäuscht. Wie
bei dem Ballettabend Don Juan handelt es sich eher um ein
Crossover-Projekt, dieses Mal zwischen Musik und Schauspiel, wobei ein Teil der
Arien und alle Rezitative gestrichen und durch gesprochene Dialoge ersetzt
worden sind.
Valentiniano (Timo Alexander Wenzel, 2. von
links) und Massimo (Jochen Kuhl, 2. von rechts) mit den Sängern als Alter Ego
(links: Leila Pfister als Valentiano, rechts: Martin Platz als Massimo) Auch der Aufführungsort mag
irritieren, da man ein Parkhaus sicherlich nicht mit einer Theateraufführung
assoziiert. Da sich das Projekt mit den räumlichen Möglichkeiten des Opernhauses
nicht realisieren ließ, hatte man zunächst das Volksbad als externe Spielstätte
ausgewählt. Da auch dieser Spielort Baeslers Konzept für seine Inszenierung
nicht richtig einfangen konnte, machte man aus der Not eine Tugend und nutzte
einfach eine still gelegte Untergeschossebene des Parkhauses unter dem Theater,
um der düsteren Atmosphäre des Stückes Ausdruck zu verleihen. Denn auch das
übliche der opera seria geschuldete lieto fine kann über die Intrigen und
Grausamkeiten der Handlung nicht hinwegtäuschen. Erzählt wird die Geschichte des
römischen Feldherren Ezio (Aetius), der für den Kaiser Valentiano (Valentian
III.) Attila besiegt hat, sich aber den Neid des Kaisers zuzieht, da beide die
gleiche Frau, Fulvia, lieben. Fulvias Vater hingegen, der Patrizier Massimo
(Maximus), hat noch eine Rechnung mit dem Kaiser offen und plant, ihn mit Hilfe
von Ezio und Fulvia zu ermorden. Da Ezio dem Kaiser treu ergeben ist, lässt er
den Kaiser glauben, dass sein treuer Feldherr ihm nach dem Leben trachte.
Valentiano lässt Ezio hinrichten, doch Varo rettet seinen Freund. So kann Ezio
noch rechtzeitig verhindern, dass Massimo einen Anschlag auf den Kaiser verübt.
Aus Dankbarkeit verzichtet Valentiano auf Fulvia und gewährt allen, auch
Massimo, Vergebung.
Ezio (Felix Alex Preißler, links und Judita
Nagyová, rechts) im Selbstgespräch Wie sich das Weströmische
Reich zur Zeit des Kaisers Valentian III. bereits mehr oder weniger auf sein
Ende zubewegte, entwickelt Andreas Baesler in seiner Inszenierung ebenfalls eine
Art Endzeitszenario, in das die Zuschauer mit einbezogen werden. Das Parkhaus
fungiert als eine Art Schutzbunker, in dem die Zuschauer von der Außenwelt
abgeschirmt werden. Von in schwarzem Leder gekleideten Frauen, die ein wenig an
die Rocky Horror Show erinnern, werden die Zuschauer in das Untergeschoss
des Parkhauses geführt, während über Lautsprecher Warnungen ertönen, keinesfalls
den markierten Weg zu verlassen, wenn einem sein Leben lieb sei. Draußen tobt
wohl ein Bandenkrieg. Nirgends ist man sicher. So müssen die Zuschauer während
der Aufführung mehrere Male den Ort wechseln. In einem Raum blicken sie, auf
zwei Seiten stehend, durch Holzleisten wie in einen Käfig, in dem die Geschichte
um Ezio spielt. Im nächsten Raum verfolgen sie auf harten Holzsitzen ebenfalls
von zwei Seiten aus das Geschehen in der Mitte. In einem dritten Raum wiederum
wandern sie um einen abgesperrten Bereich herum, in dem unter schwarzen
Leichensäcken, den aufgestellten Fotos nach zu urteilen, wohl die Figuren der
Oper aufgebahrt sind. Soll dieses Bild andeuten, dass am Ende doch alle tot
sind? Dass das lieto fine nur gespielt ist? Die Schlusssequenz, in der alle
Figuren die Waffen aufeinander richten, wenn das Licht verlöscht, lässt diese
Möglichkeit offen.
Onoria (Rebecca Kirchmann, links und Heidi
Elisabeth Meier, rechts) Das Bühnenbild wirkt wie ein
Sammelsurium von Gegenständen, die bei einer Flucht in einen Bunker noch eben
gerettet werden konnten. Die Kostüme der Schauspieler gestaltet Ulli Kremer
größtenteils in Schwarz. Valentiano und seine Schwester Onoria wirken dabei mit
ihren hohen Perücken wie Relikte der Barockzeit, wobei Onorias kurzer Rock dazu
einen Kontrast bildet. Fulvia und Massimo treten im Gothic-Stil auf. Varo und die anderen
Soldaten erinnern mit ihrem Irokesenschnitt und den Tattoos an Bandenkrieger,
während Ezio in seinem Kriegeroutfit durch blutrote Wunden gekennzeichnet ist.
Ungewöhnlich imposant ist Ezios erster Auftritt, wenn er in einem großen roten
Chevrolet mit Girlanden und Kerzenlüstern auf die Bühne fährt. Die Kostüme der
Sänger sind alle in Weiß gehalten und korrespondieren im Schnitt und in der
Aufmachung mit ihrem jeweiligen Alter Ego. Da die Sänger in den Arien die
Affekte der Figuren verkörpern, wirken sie so gewissermaßen wie die Seele der
Schauspieler. Von daher ist die Idee des Kontrastes zwischen Schwarz und Weiß
gar nicht mal schlecht. Interessant ist auch, dass alle Sänger mit Ausnahme der
Fulvia eine weiße Perücke tragen. Fulvia hat sowohl als Schauspielerin als auch
als Sängerin eine dunkelrote Perücke. Soll das eine besondere Verbundenheit
zwischen den beiden Figuren darstellen? Schließlich ist Fulvia die einzige, die
am Ende keine Waffe auf die anderen richtet.
Fulvia (Leah Gordon) als Instrument ihres Vaters
Massimo (Martin Platz)
Für den Musikliebhaber wird an diesem Abend fast ein bisschen zu wenig Musik
geboten. Störend hinzu kommt, dass beim Wechsel von einem in den nächsten Raum
ebenfalls den dabei spielenden Musikern nicht die Aufmerksamkeit geschenkt
werden kann, die sie verdient haben. Dabei verfügt die Produktion über
hervorragende Solisten, von denen man gerne mehr gehört hätte. Vor allem Judita
Nagyová begeistert mit dunkel timbriertem Mezzo in der Titelpartie und hätte
sicherlich in der kompletten Partitur etwas mehr zu singen gehabt. Heidi
Elisabeth Meier und Leah Gordon überzeugen als Onoria und Fulvia mit leuchtendem
Sopran und dramatischem Ausdruck. Leila Pfister setzt mit ihrem beweglichen
Mezzo die Wankelmütigkeit des Kaisers gut um. Martin Platz wirkt mit seinem
Tenor schon beinahe zu lieb für den Bösewicht Massimo. Es ist fraglich, warum
Gluck diese Partie mit so zarten Melodien bedacht hat, da er später für seinen
Orfeo ganze Melodiebögen von Massimo übernommen hat. Die Schauspieler setzen mit
ausdrucksstarkem Spiel und deutlicher Diktion die Handlung der Geschichte
verständlich um. Hier begeistern vor allem Felix Alex Preißler in der Titelrolle
und Maria Vogt als Fulvia. Vor den Arien beziehungsweise währenddessen zitieren
sie auch jeweils den italienischen Text der Arie auf Deutsch, damit den
Zuschauern klar wird, welches Gefühl in der folgenden Arie besungen wird.
Baeslers Personenregie zwischen den Schauspielern und Sängern ist sehr
ausgefeilt, so dass die Sänger in den Arien durchaus mit den Schauspielern in
Aktion treten, teilweise auch Standbilder übernehmen. Dem glücklichen Ende
scheint Baesler, wie bereits angedeutet, zu misstrauen. So lässt er die
Schauspieler am Schluss die Waffen aufeinander richten, während die Sänger ein
fröhliches Quintett anstimmen, sich zunächst zu ihrer jeweiligen Rolle gesellen,
sich dann aber ins Orchester zurückziehen und die Schauspieler mit ihrem
Misstrauen und ihrer Furcht allein zurück lassen. Am Ende gibt es großen Applaus
für alle Beteiligten für eine Inszenierung, die musikalisch und darstellerisch
überzeugt und eine insgesamt packende Geschichte erzählt.
FAZIT
Bei Gluck-Opern-Festspielen hätte man im Rahmen einer Opernpremiere gerne
etwas mehr von Gluck gehört. Als Schauspiel mit Musik von Gluck überzeugt die
Produktion auf jeden Fall, auch oder gerade wegen des ungewöhnlichen
Aufführungsortes.
Weitere Rezensionen zu den
Internationalen Gluck-Opern-Festspielen 2012
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Nicola Valentini Inszenierung
Andreas Baesler
Kostüme
Ulli Kremer Rauminstallation
Lilith-Marie Cremer,
Hermann Feuchter
Dramaturgie
Johann Casimir Eule
Statisterie des Staatstheater
Nürnberg
Accademia Bizantina
Musiker der
Neuen Nürnberger Ratsmusik
und der Hochschule für Musik
Nürnberg
Solisten
Valentiniano III., Kaiser
Leila Pfister (Gesang)
Timo Alexander Wenzel (Schauspiel)
Fulvia, Massimos Tochter
Leah Gordon (Gesang)
Maria Vogt (Schauspiel)
Ezio, Feldherr der kaiserlichen Armee
Judita Nagyová (Gesang)
Felix Alex Preißler (Schauspiel)
Onoria, Valentianos Schwester
Heidi Elisabeth Meier (Gesang)
Rebecca Kirchmann (Schauspiel)
Massimo, römischer Adeliger
Martin Platz (Gesang)
Jochen Kuhl (Schauspiel) Varo, Präfekt der Prätorianer
Gerd Beyer
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Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)
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