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Die Walküre

Erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Musik und Dichtung von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 40' (zwei Pausen)

Premiere im Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper am 11. März 2012

(rezensierte Aufführung im Rahmen der Münchner Opernfestspiele: 11.07.2012) 

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Walkürenritt als moderner Ausdruckstanz

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

Wenn es im Ring des Nibelungen einen Teil gibt, der auf der Beliebtheitsskala über den anderen rangiert, ist es mit Sicherheit Die Walküre. Dies mag mehrere Gründe haben. Zum einen wird am ersten Tag des Bühnenfestspiels die Liebe in ihrer reinsten Form präsentiert. Die Innigkeit zwischen dem Wälsungenpaar Siegmund und Sieglinde erreichen im weiteren Verlauf des Rings nicht einmal Siegfried und Brünnhilde, deren Liebe letztendlich Verrat und Betrug zum Opfer fällt. Auch wenn rein sachlich gesehen die inzestuöse Beziehung zwischen dem Geschwisterpaar illegitim ist, wischt die Emotionalität ihrer Liebe auch musikalisch schon allein beim "Winterstürme wichen dem Wonnemond" jegliche moralische Bedenken beiseite. Zum anderen werden in keinem anderen Teil der Tetralogie der persönliche Schmerz und die Tragik der Figuren spürbarer. Dies gilt sowohl für das Wälsungenpaar, das mit Ausnahme von einem ganz kurzen Moment des persönlichen Glücks nur Leid und Verfolgung erfährt, als auch für Wotan, der nicht nur erkennt, dass er das Ende nicht aufhalten oder abwenden kann, sondern auch noch sein liebstes Kind opfert und fortan nur noch als Wanderer die Welt durchstreift. Nach der Premiere im März (siehe auch unsere Rezension) wird bei den Opernfestspielen auch dieser tragischste Teil im Rahmen des Zyklus präsentiert.

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Siegmund (Klaus Florian Vogt, links) ist bei Hunding (Ain Anger, rechts) nicht gerade willkommen (im Hintergrund: Statisterie).

Wie bereits im Rheingold baut Andreas Kriegenburg auch in der Walküre die Statisten als Akteure in die Handlung ein. Beim Vorspiel des ersten Aktes gelingt ihm dazu mit dem herrschenden Krieg ein stimmiges Bild. Wenn der Vorhang sich zur Musik öffnet, sieht man Siegmund im Kampf gegen zahlreiche Männer auf einem mit zahlreichen Leichen gepflasterten Kampfplatz. Mit großer Mühe wehrt Siegmund die Feinde ab, bis er schließlich sein Schwert verliert und sich erschöpft zur Bühnenrampe vorkämpft. Der Kampfplatz wird nun im Bühnenboden versenkt, und auf der Bühne entsteht strukturell der gleiche Bühnenraum, den man bereits aus dem Rheingold kennt. In der Mitte der Bühne beherrscht eine gewaltige Esche den Raum. In ihren Ästen hängen Leichen. Zieht dieser Baum seine Kraft aus dem Blutvergießen der Menschen oder sollen es die Männer sein, die versucht haben, das Schwert aus dem Eschenstamm zu ziehen? Verkünden die Toten in den Ästen bereits Siegmunds Tod, wenn er sich des Schwertes bemächtigt? Das Regieteam lässt mit diesem beeindruckenden Bild unterschiedliche Deutungen zu. Auf der rechten und linken Seite ist quasi symmetrisch eine lange Tafel mit Lebensmitteln aufgebaut. Soll dies eine Dopplung von Hundings Hütte sein? Siegmund bewegt sich nämlich zuerst nur auf der linken Seite, während Sieglinde nur auf der rechten Seite agiert. Beide befinden sich in demselben Raum, ohne zueinander kommen zu können.

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Sieglinde (Anja Kampe) und Siegmund (Klaus Florian Vogt) haben zueinander gefunden.

Neben Sieglinde befinden sich zahlreiche Frauen in der Hütte. Kriegenburg deutet damit die Trennung von Männern und Frauen in Kriegssituationen an. Während sich die Männer in der Schlacht befinden, warten die Frauen in den Häusern auf deren Rückkehr und verrichten dabei den Haushalt - sie decken zum Beispiel die Tafel, wenn Hunding zum Mahl nach Hause kommt, und reichen Siegmund das Wasser, das ihn vor dem Verdursten rettet - oder kümmern sich um die gefallenen Krieger. So sieht man im Hintergrund Frauen, die aufgebahrte gefallene Krieger waschen und für eine Beerdigung vorbereiten. Ist der Einsatz dieser Statistinnen im ersten Aufzug auch notwendig, wenn man Siegmund und Sieglinde auf unterschiedlichen Seiten der Bühne agieren lassen will, stört die Anwesenheit der Frauen dennoch die in der Musik angelegte Zweisamkeit des Wälsungenpaars, die erst durch den Auftritt Hundings jäh unterbrochen wird. Gelungen hingegen ist ihr Einsatz, wenn sie mit kleinen Lämpchen erst Sieglinde und Siegmund wie in zwei kleinen Kammern isolieren und dann, nachdem Hunding den Schlaftrunk bekommen hat, die Zweiteilung des Raumes auflösen und mit den Lämpchen das Wälsungenpaar in einem Raum vereinen.

Klaus Florian Vogt und Anja Kampe geben optisch und darstellerisch ein ideales Wälsungenpaar ab. Wie sie sich am Ende des ersten Aufzuges über die Bühne wälzen, ist eine kongeniale Umsetzung der Musik und macht deutlich, warum der Vorhang an dieser Stelle ganz schnell fallen muss. Stimmlich setzt Vogt mit seinem leuchtenden Tenor neue Maßstäbe. So leicht hat man einen Siegmund selten gehört. Beeindruckend ist, wie wenig angestrengt seine Stimme selbst bei den höchsten Tönen klingt und wie textverständlich er bleibt. Kampe steht ihm mit ihrem Sopran in nichts nach, auch wenn ihre Stimme im ersten Aufzug bisweilen ein zu starkes Vibrato aufweist. Mit welcher Wucht sie jedoch im dritten Aufzug "O hehrstes Wunder" schmettert, macht klar, dass auch sie in der ersten Liga für diese Partie singt. Ain Anger setzt den hellen Stimmen des Wälsungenpaars einen profunden Bass entgegen und mimt den unsympathischen Hunding absolut glaubhaft. Leider kommt aus dem Orchestergraben nicht alles so rein und klar wie am Vorabend und rumpelt hier und da bei den Bläsern ein wenig. Auch bei den Tempi ist das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Kent Nagano an diesem Abend nicht ganz so exakt wie am Vorabend.

Im zweiten Aufzug führt Harald B. Thor vor, welche Verwandlungsmöglichkeiten eine größtenteils leere Bühne bietet. Wotans Schaltzentrale in Walhall ist ein riesiger Raum, in dem sich nur ein antiker Holzschreibtisch im Hintergrund, ein surreales Gemälde eines Waldes an der Wand und der Speer unter dem Gemälde befinden. Durch das Verschieben der Rückwand kann der riesige Raum jedoch nahezu einengend wirken. Im Gespräch zwischen Wotan und Fricka beispielsweise wird der Raum immer kleiner, je mehr Fricka Wotan vorführt, dass sein Plan nicht aufgehen kann und er gegen seine eigenen aufgestellten Gesetze verstößt. Da nützt es auch nichts, dass Wotan nach Frickas Abgang die Wand wieder nach hinten schiebt, um seinen Spielraum zu vergrößern. Im Gespräch mit der Walküre holen ihn seine Zwänge erneut ein. Gut gelingt auch im zweiten Aufzug der Einsatz der Statisten, die als Diener nicht nur im Gespräch zwischen Wotan und Fricka Getränke reichen, sondern auch als Sofa und Sessel fungieren, auf denen die Lichtalben Platz nehmen. Die Götter tragen ihre Konflikte also sprichwörtlich auf dem Rücken der Menschen aus. Sophie Koch glänzt stimmlich und darstellerisch als zeternde Fricka, die bei aller fehlender Sympathie in ihrer Argumentation leider recht hat. Mit großem Mezzo trägt sie den Sieg über ihren Gatten davon. Thomas J. Mayer brilliert als Wotan mit fulminantem Bass-Bariton, dem stimmlich und darstellerisch sowohl der gebrochene als auch der zornige Gott hervorragend gelingen. Iréne Theorin, die kurzfristig für Katarina Dalayman als Brünnhilde eingesprungen ist, glänzt mit sauberer Intonation in den Höhen und klarer Diktion.

Für die dritte und vierte Szene des zweiten Aufzuges wird die Bühne nun emporgefahren. Der Boden ist mit schwarzen Leichen übersät. Hier und da sieht man dunkle vermummte Gestalten die Toten untersuchen und wahrscheinlich ihrer letzten Habseligkeiten berauben. In dieses finstere Bild des Grauens treten nun Siegmund und Sieglinde, die sich in ihrem roten Kleid deutlich von dem Dunkel der Bühne abhebt. Theorin und Vogt gelingen nun darstellerisch und stimmlich eine absolut bewegende Todverkündungsszene, bei der durch Vogts eindringliches Spiel nachvollziehbar wird, wieso die Walküre ihren Befehl missachtet und für die beiden Liebenden kämpfen will. Während des Kampfes wird die Bühne wieder hinuntergefahren, und durch den schwarzen Vorhang tritt Wotan, an dessen Speer Siegmunds Schwert zerschellt. Ob man Hundings Tod nun als Selbstmord inszenieren muss, ist diskutabel, kann aber die im Großen und Ganzen positive Aufnahme der Inszenierung bis zum Ende des zweiten Aufzuges nicht trüben.

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Walkürenritt als moderner rhythmischer Ausdruckstanz (Statisterie)

Das sollte sich schlagartig mit Beginn des dritten Aufzuges ändern. Vor den berühmten Walkürenritt stellt Kriegenburg nämlich eine Szene, die im Publikum für einige Unruhe sorgte und schon beinahe einen kleinen Skandal evozierte. Wenn der Vorhang sich öffnet, befinden sich auf der Bühne zahlreiche tote Krieger, die aufgespießt worden sind. Im Hintergrund sieht man Frauen in silbrig-weißen Kleidern, die auch die Walküren tragen. Während die Spieße mit den Leichen langsam emporgefahren werden, beginnen die Frauen im Hintergrund einen rhythmischen Ausdruckstanz, der in eine regelrechte Ekstase ausartet. Dieser Tanz wird dem Publikum mit seiner Dauer von fast sechs Minuten dann aber doch zu lang, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt Stimmen laut werden, in die sich allerdings neben die Missfallsbekundungen auch Zustimmung gewissermaßen als Gegenbewegung mischen. Ab einem gewissen Zeitpunkt kann man dem Geschehen auf der Bühne schon fast gar nicht mehr folgen, weil man von der Interaktion des Publikums dermaßen abgelenkt wird. Beeindruckend ist allerdings, dass sich die Tänzerinnen von dem Geschehen im Zuschauerraum nicht aus der Ruhe bringen lassen und in erstaunlicher Gelassenheit und Homogenität im Rhythmus ihren Tanz zu Ende bringen. Die im Anschluss auftretenden acht Walküren und das Orchester scheinen diesen Tumult im Saal nicht ganz so gut verkraftet zu haben. So schleichen sich beim Orchester während des Walkürenrittes feine musikalische Unstimmigkeiten ein, und auch die acht Walküren wirken bei den "Hojotoho"-Rufen stimmlich nicht immer überzeugend. Auch das Spiel mit den Seilen, die an den emporgefahrenen Spießen befestigt sind und als Peitschen fungieren, mit denen sie die imaginären Pferde antreiben, wirkt recht unnatürlich.

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Feuerzauber: Wotan (Thomas J. Mayer) nimmt Abschied von Brünnhilde (Katarina Dalayman) (im Feuerkreis: Statisterie).

Nachdem die Walkürenszene stimmlich und szenisch den schwächsten Moment des Abends darstellte, wird das Publikum im Anschluss durch den emotional bewegenden Abschied Wotans von seiner Lieblingstochter Brünnhilde wieder versöhnt. Wie Theorin und Mayer korrespondierend zur Musik und zum Text zwischen Nähe und Distanz changieren, jeder Blick und jede Geste im Einklang mit dem Inhalt stehen, zeugt von guten darstellerischen Fähigkeiten und / oder einer stimmigen Personenregie. Da sieht man es den beiden auch nach, dass Mayer während der Szene kurz die Bühne verlässt, um eine Wasserflasche zu holen, aus der sie dann während des Dialogs trinken. Für den Feuerzauber betreten dann Statisten mit einem an Stangen befestigten Ast die Bühne, mit dem sie im Kreis die in Schlaf versetzte Brünnhilde umgeben. Dieser Ast wird entzündet, und gemeinsam mit einer Flammenprojektion auf die Rück- und Seitenwände findet die Inszenierung dann doch wieder zu einem Abschluss, der vom Publikum mit großem Beifall bedacht wird.

FAZIT

Alles in Allem gelingt Kriegenburg auch mit der Walküre eine stimmige Deutung in einer hervorragenden musikalischen Umsetzung. Zu Beginn des dritten Aufzuges sollte man aber vielleicht für die weiteren Aufführungen doch überlegen, ob man nicht von dem Werkstattcharakter Bayreuths Gebrauch machen sollte. (Weitere Aufführungen in der Spielzeit 2012 / 2013)

Weitere Rezensionen zu den Münchner Opernfestspielen 2012

 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kent Nagano

Inszenierung
Andreas Kriegenburg

Bühne
Harald B. Thor

Kostüme
Andrea Schraad

Licht
Stefan Bolliger

Choreographie
Zenta Haerter

Dramaturgie
Marion Tiedtke /
Miron Hakenbeck

 

Bayerisches Staatsorchester

Statisterie der
Bayerischen Staatsoper


Solisten

*rezensierte Aufführung

Siegmund
*Klaus Florian Vogt /
Simon O'Neill

Hunding
*Ain Anger /
Hans-Peter König

Wotan
*Thomas J. Mayer /
Juha Uusitalo /
Bryn Terfel

Sieglinde
*Anja Kampe /
Petra Lang

Brünnhilde
Katarina Dalayman /
Evelyn Herlitzius /
*Iréne Theorin

Fricka
*Sophie Koch /
Elisabeth Kulman

Helmwige
*Barbara Morihien /
Erika Wueschner

Gerhilde
Danielle Halbwachs

Ortlinde
Golda Schultz

Waltraute
Heike Grötzinger

Grimgerde
Okka von der Damerau

Siegrune
Roswitha C. Müller

Rossweiße
Alexandra Petersamer

Schwertleite
Anaïk Morel


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



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