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Der Clown im Sänger Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper
Wer einmal
zuvor die Besetzungsliste studiert, wird feststellen, dass solches
Personal unmöglich in einer Oper von Donizetti auftauchen kann:
Filmstars, Komparsen und Stuntmen sind Anachronismen in einer Oper der
italienischen Romantik. Dennoch sind die Namen authentisch, es
handelt sich hier tatsächlich um Donizettis Liebestrank. Aber
Rolando Villazón hat sich als Regisseur die Freiheit erlaubt,
die Handlung ein wenig zu verlegen und zwar in ein Filmstudio der
dreißiger Jahre; eigentlich nichts Ungewöhnliches zu Zeiten
des Regietheaters, aber in diesem Fall ist das mehr als nur modischer
Gag. Der Kniff besitzt viel Raffinesse, weil der Regisseur dadurch
höchst elegant die Klippen solcher Opern umschifft, die in deren
zumeist aberwitzigen Handlungskonstruktionen lauern. Dadurch, dass Villazon die ganze Oper nicht nur im Filmstudio ansiedelt, dem Zentrum also einer Traumfabrik, sondern den Plot in zwei Realitäten splittet – Film und Leben -, gelingt ihm ein höchst geistreiches Spiel zwischen Illusion und Wirklichkeit, so wie es auch das Thema dieser Oper ist. Erzählt wird nämlich die Geschichte von dem schüchternen Bauern Nemorino (welch Selbstironie: Villazón als mexikanischer Film-Komparse), seiner koketten Angebeteten Adina (Filmstar), dem feschen Hauptmann Belcore (US-Sergant) und dem Quacksalber Dulcamara (Regisseur und reitender Indianerhäuptling) als Beiprogramm am Set. Gedreht wird ein Westernmovie, wobei gleich alle Klischees dieses Genres ironisch verwurstet werden: von der Schlägerei im Saloon über den Bankraub samt Festnahme der Übeltäter bis hin zur schmalzigen Liebesgeschichte zwischen der Dorfschönheit und einem Offizier. Dabei wirken außer den Genannten ebenfalls mit: ein Sheriff, die Daltons, ein Apache, ein Chinese, Can-Can-Tänzerinnen, Fred Astaire und King Kong. Einsam in der Hütte: Rolando Villazón bei der berühmtesten Arie der Oper Neben dieser „Hauptsache“ wird die eigentliche Opernhandlung also zur „Nebensache“. Nemorinos Schmachten für Adina und vor allem seine Eifersucht auf Belcore sind hier die störenden Begleiterscheinungen beim Dreh. Vor allem ist die Romanze zwischen Adina und dem Hauptmann nur Film-Fiktion, was aber der verliebte Nemorino nicht so recht kapiert, wie er offenbar den ganzen Film nicht so recht von der Realität unterschieden kann. So entstehen komische Verwechslungen zuhauf und sowohl im „wahren“ Leben wie im Film gehen der Regie die witzigen Einfälle nicht aus. Meisterlich spielt Villazón mit ironischen Zitaten von Lucky Luke bis Charlie Chaplin, das Timing der Pointen ist exzellent, die zahlreichen Kleindarsteller schaffen professionelle Kintoppatmosphäre und das ganze Ensemble spielt mit größtem Vergnügen ein höchst unterhaltsames Stück. Als Sahnehäubchen am Schluss bekommt das Publikum die Highlights als verschnipselten Stummfilm samt Zwischentiteln zur wiederholten Ouvertüre vorgeführt. Tolle Stimmung im Haifisch-Saloon: Ensemble Rolando
Villazón jongliert drei Opernstunden lang souverän mit
allen Bällen: als Regisseur, als Sänger und als clownesker
Darsteller. Hinter all der Komik lässt er auch den Tiefsinn, die
Melancholie seiner Rolle berührend hervor scheinen. Wenn er in
seiner Hütte, anscheinend einsam und verlassen, von der Sehnsucht
nach der Geliebten singt (Una furtiva lagrima), dann ist er wieder auf
der Höhe der früheren Jahre. Mit unbändiger Spiellaune
hat er offensichtlich auch die anderen Akteure angesteckt: Miah Persson
(Adina) ist das zuerst kratzbürstige, dann doch zugeneigte Ziel
seiner Wünsche. Als Dulcamara glänzt Ildebrando D’Arcangelo
im Häuptlingsfederschmuck als Frauenverführer und urkomisches
Kontrastprogramm zum linkischen Protagonisten. Roman Trekel karikiert
treffend den Hüter der Staatsmacht in Uniform. Gesungen wird
allseits vortrefflich und im Orchester sprühen die musikalischen
Funken. Die historischen Instrumente, vor allem die Bläser,
untermalen die Szene mit warmem Klangkolorit. Pablo Heras-Casado
dirigiert höchst sängerfreundlich das bestens aufgelegte
Balthasar-Neumann-Ensemble.
Enorm
lebendig agiert der von Nola Rae bewegungsmäßig gecoachte Chor in
zahllosen Rollen. Dem turbulenten Treiben kommen nicht zuletzt die
opulent entworfenen Kostüme zugute, die in der Filmschneiderei
Tirelli in Rom entstanden. Johannes Leiacker hat auch hier wieder ein
Bühnenbild geschaffen, das Staunen macht. So musste diese
Produktion einfach zum Riesenerfolg geraten und wurde entsprechend mit
endlos langen Beifallsstürmen vom Publikum gefeiert.
FAZIT Mit seiner zweiten Opernregie (nach Werther
in Lyon im letzten
Jahr) trifft Villazón ins Zentrum wahrer Opernkomik. Alles
gelingt wie am Schnürchen, die Bühne ist eine Augenweide.
Gesungen wird herausragend, das Orchester bietet mehr als nur
Begleitung. Kurzum: ein Opernvergnügen der Sonderklasse! Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische LeitungPablo Heras-Casado Inszenierung Rolando Villazón Bühnenbild Johannes Leiacker Kostüme Thibault Vancraenenbroeck Choreinstudierung Detlef Bratschke Licht Davy Cuningham
Balthasar-Neumann-Chor
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E-Mail: oper@omm.de
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