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Musiktheater
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Sommerfestspiele 2012

Boris Godunow

Oper in sieben Bildern
Text von Modest Mussorgsky nach Alexander Puschkins Tragödie Boris Godunow
und der Geschichte des russischen Staates von Nikolai Karamsin
Musik von Modest Mussorgsky in der Urfassung von 1869

In russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 2 3/4 Stunden – eine Pause

Premiere im Festspielhaus Baden-Baden am 20. Juli 2012
(rezensierte Aufführung: 22.07.2012)

 
 


Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)


Parallelhandlung

Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper

In Mussorgskys Oper geht es darum, dass das Gewissen den nackten Machtinstinkt eines Politikers zermürbt. Der Emporkömmling Boris Godunow ist durch Intrigen und einen Auftragsmord an dem noch kindlichen Thronfolger an die Macht gekommen. Als auch mithilfe seines Konkurrenten die Legende gestreut wird, der legitime Thronanwärter sei noch am Leben, verfällt Zar Boris in den Wahnsinn und geht an seinen Ängsten zugrunde. Der selbsternannte Thronfolger Gregorij, ein verschlagener entlaufener Mönch, übernimmt darauf die Zarenkrone im Kreml.

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Der neue Mann für ein „einiges Russland“: Boris Godunow  (hier: Nikolay Putilin) wird auf den Scherben der alten Macht zum neuen Zar erhoben.

Konsequent zum historischen Musikdrama wird diese Handlung, wenn man, wie es in dieser Produktion geschieht, die Urfassung von 1869 zugrunde legt, die auf die später eingefügte Liebesgeschichte Grigorijs im „Polen-Akt“ verzichtet und das Geschehen  auf die Figur des Zaren konzentriert. In der neuen Produktion, die am Mariinsky-Theater in diesem Frühjahr Premiere hatte, wurde diese Geschichte, die einen historischem Kern in der russischen Geschichte zur Zeit der Wende zum 17. Jahrhundert hat, aus der historischen Ferne in die Gegenwart geholt. Boris Godunow ist nun ein Politbürokrat, der  ebenfalls in einer Wendezeit zur Macht gelangt ist. In unheiliger Kombination von populistischen Versprechungen, prügelnden Polizisten und dem Segen der Kirche versucht er, seine Macht zu sichern. Dass nach Elektra (Regie: Jonathan Kent, die  im Jahre 2008 in Baden – Baden zu sehen war - siehe unsere Rezension), nun wieder  eine Produktion des Mariinsky-Theaters hierher kam, in der die gegenwärtige russische Gesellschaft  in der Oper gespiegelt wird, ist beachtenswert. Besonders gut kam diese Boris - Inszenierung aber wohl in Russland nicht an, wie Pressemeldungen zu entnehmen ist. Vielleicht auch deswegen, weil wieder ein Westler die Regie führte. Das provoziert leicht den Klischee-Verdacht. Wie dem auch sei: Die Parallelen zwischen den finsteren Zeiten der russischen Geschichte und  der heutigen Lage in Russland sind  unverkennbar. Wenn, wie  Wolfgang Schreiber in seiner Geschichte des Musiktheaters schreibt, im Boris die Realhistorie in die Oper einbricht, so ist es in dieser Inszenierung die reale Gegenwart dieser ganz spezifischen „Demokratur“ in Russland, die in der Oper erscheint. Und eigentlich könnte das Konzept aufgehen. Aber richtig spannendes Musiktheater ist daraus trotzdem nicht geworden.

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Versammeltes Prekariat: Volksszene im 1. Bild (Prolog)

Dies liegt vor allem an der unausgereiften szenischen Umsetzung, die über plakative Bilder selten hinauskommt. Die Regie beachtet einfach all das zu wenig, was über den eigentlichen Focus der Handlung hinausgeht, Nebenfiguren lässt sie meist unbeachtet, nur ab und an kommt etwas Leben im Bühnengeschehen auf, wie in der Krönungsszene, wenn sich im Volk die Leute um eine Flasche Wasser streiten. Steril dagegen die Wirtshausszene, die hier in einen Billigpuff verlegt wird, in dem sich die Mädels lustlos auf dem Sofa lümmeln oder an  der  Stange räkeln. Auch die Klosterszene mit dem Chronisten Pimen (Alexander Morosov mit eindrucksvollem Bass), der durch seinen Bericht über Boris’ Verbrechen in dem jungen Mönch Grigorij die Wahnvorstellung seiner Berufung zum Zaren auslöst, bleibt ohne große Wirkungsmacht.

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Der Zar in der Duma: Boris (Mitte: Nikolai Putilin)

Boris’ Sterbeszene ist in den Saal der Staatsduma verlegt, doch auch hier kommt atmosphärisch wenig rüber, die kalte Macht der Apparatschiks wirkt doch ziemlich kraftlos. Dramatisches Leben keimt allenfalls im 5. Bild auf, wo Boris sich im Kreise seiner Kinder als trauter Familienvater geriert. Wenn sich der Zarewitsch Feodor (als Knabensopran exzellent: Ivan Khudyakov) um seinen Vater ängstigt, wirkt das berührend. Ansonsten gehören die beiden Volksszenen zum Stärksten, was die Inszenierung zu bieten hat. Eindrucksvoll gelingt die Szene des Narren („Narr in Christo“, wie er im Libretto heißt), der in paradox verrückter Hellsichtigkeit Boris’ Verbrechen des Kindes- mordes anprangert – herausragend gesungen von dem jungen Tenor Andrei Popov. Vladimir Vaneyev vermag  dagegen der Zarengestalt wenig Profil zu geben. Auch seinem Widersacher Schujskij nimmt man den Schurken kaum ab. Als falscher Zarewitsch alias Grigorij überzeugt Sergei Semishkur mit strahlendem Tenor. Eleonora Vindau als Zarentochter Xenia, die  traumatisiert den Tod ihres Bräutigams betrauert und Olga Savova als Schankwirtin, die hier eine dralle Puffmutter gibt, füllen die einzigen weiblichen Rollen der Oper prägnant aus. Szenisch etwas steif, aber gesanglich machtvoll agiert der Chor, der als Volk von Moskau anfangs willfährig, doch später aufmüpfig auf der Bühne erscheint.

Die wahre Dramatik entfaltet sich im Orchester, das Valery Gergiev wirklich zur Höchstleistung führt. Nun dürfte der Boris zum Standardrepertoire an jenem Opernhaus gehören, wo dieses Werk einst, wenn auch unter Schwierigkeiten, uraufgeführt wurde. Die gegenüber der Bearbeitung von Rimsky-Korsakow orchestral entschlackte Partitur erklang expressiv aus dem Graben. Gergiev modellierte die Musik plastisch aus und ließ sie detailreich und eloquent artikulieren.

FAZIT

Szenisch wurde ein interessantes Konzept leider nur „solide“ umgesetzt. Musikalisch kann die Produktion aber vor allem durch das dramatische Orchesterspiel überzeugen. Welch großartiges Werk diese Oper ist, konnte jedoch erlebt werden.

Weitere Rezension zu den Sommerfestspielen 2012: Konzerte mit Werken von Mahler, Rachmaninow und Mussorgsky



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valery Gergiev

Inszenierung
Graham Vick

Kostüme und Bühnenbild
Stuart Nunn

Chorleitung
Pavel Petrenko,
Leonid Teplyakov
und Dmitry Ralko
(Kinderchor)

Lichtdesign
Giuseppe di Iorio

 

Chor und Orchester
des Mariinsky – Theaters
St. Petersburg




Solisten

Boris Godunow
Vladimir Vaneyev/
Nikolai Putilin*

Fürst Schujskij
Yevgeny Akimov

Pimen, Mönch und Chronist
Alexander Morozov/
Michael Kit*


Grigorij, “der falsche Dimitrij”
Sergei Semishkur

Warlaam, Wandermönch
Alexei Tanovitski

Missail, Wandermönch
Nikolai Gassiev

Schtschelkalow, Geheimschreiber
der Duma
Alexander Gergalov/
Alexei Markov*

Ein Schwachsinniger („Gottesnarr“)
Andrei Popov

Schankwirtin
Olga Savova

Fjodor, Zarewitsch
Ivan Khudyakov

Xenia, Zarewna
Eleonora Vindau

Amme
Elena Vitman

Nikitisch / Polizeiführer
Oleg Sychov

Mitjuch, Bauer
Edem Umerov

Bojar
Vladimir Zhivopistsev

Männer aus dem Volk
Vladimir Zhivopistsev
VyacheslavLukhanin
Anton Perminov


Frauen aus dem Volk
Svetlana Kiseleva
Yulia Khazanova

* Besetzung am 20.07.2012
 



Weitere Informationen
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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)









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