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Salzburger Pfingstfestspiele 2011
10.06. - 13.06.2011


I due Figaro
o sia
Il soggetto di una commedia


Melodramma buffo in zwei Akten
Text von Felice Romani
Musik von Saverio Mercadante


Koproduktion mit dem Ravenna-Festival und dem Teatro Real, Madrid

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 15' (keine Pause)

Premiere im Haus für Mozart in Salzburg am 10. Juni 2011
(rezensierte Aufführung: 12.06.2011)




Salzburger Festspiele
(Homepage)

Der zweite Figaro

Von Thomas Molke / Fotos von Silvia Lelli


Bei einer Fortsetzung von Mozarts Le Nozze di Figaro denkt man vielleicht in erster Linie an eine Vertonung von Beaumarchais' Abschluss seiner Figaro-Trilogie La Mère coupable, in der die Gräfin ihrem Gatten zu verheimlichen sucht, dass sie mit Cherubino, der mittlerweile im Krieg gefallen ist, ein uneheliches Kind hat. Doch schon vor Beaumarchais' Vollendung seiner Trilogie begannen andere französische Autoren die unterschiedlichsten Fortsetzungen zu den bekannten ersten beiden Teilen zu erfinden. So auch Honoré-Antoine Richaud Martelly, dessen Les Deux Figaro von 1795 als Vorlage für ein von Felice Romani 1820 verfasstes Libretto diente, das von mehreren Komponisten vertont wurde. Nachdem die erste Vertonung von Michele Carafa 2006 in einer szenischen Aufführung bei den Rossini-Festspielen in Bad Wildbad wieder entdeckt wurde, durfte man sich nun bei den fünften und letzten Pfingstfestspielen unter der Ägide von Riccardo Muti einer weiteren Wiederentdeckung erfreuen: Saverio Mercadantes I due Figaro, ein Werk, das aus Respekt vor Carafas Version 1826 für Madrid komponiert, zensurbedingt aber erst neun Jahre später uraufgeführt werden konnte, erlebte nun in Salzburg die erste moderne Aufführung.

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Die Gräfin (Asuda Karayavuz, links), Inez (Rosa Feola, rechts) und Susanna (Eleonora Buratto, Mitte hinten) beklagen die Rolle der Frau.

Die Geschichte erzählt, wie es Jahre nach Figaros Hochzeit im Schloss des Grafen Almaviva weitergeht. Figaros Liebe zu Susanna ist mittlerweile genauso unterkühlt wie die seines Herren zur Gräfin. Aber auch dem Grafen scheint er, nach Le Nozze nicht so recht verziehen zu haben, und so plant er, dessen Tochter Inez mit einem als vermögend ausgegebenen Don Alvaro, der in Wirklichkeit der mittellose Diener Torribio ist, zu verkuppeln und dafür die halbe Mitgift des Grafen zu kassieren. Doch er hat seine Rechnung ohne den vom Militär mit hohen Ehren zurückkehrenden Cherubino gemacht, der, zunächst nur von Susanna und der Gräfin erkannt, ebenfalls ein Auge auf Inez geworfen hat und als zweiter Figaro in den Dienst des Grafen Almaviva tritt, um einerseits Figaros Pläne zu durchkreuzen und andererseits Inez als Gattin für sich zu gewinnen. Nach zahlreichen Verwirrungen erkennt er kurz vor der vom Grafen angeordneten Zwangsheirat in Don Alvaro seinen Diener Torribio, lässt damit Figaros Intrige platzen und diesen endgültig beim Grafen in Misskredit fallen. Nur Susannas immer noch vorhandener Einfluss beim Grafen sorgen dafür, dass dieser der nicht ganz standesgemäßen Verbindung zwischen Inez und Cherubino zustimmt und Figaro nicht aus dem Schloss verbannt. So scheinen am Ende alle, wie bei Le Nozze auch, glücklich vereint.

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Figaro (Mario Cassi, hinten) entdeckt Inez (Rosa Feola, Mitte) und Cherubino (Annalisa Stroppa, unten) beim Schäferstündchen.

Das Regieteam um Emilio Sagi verzichtet in der Inszenierung auf jegliche Neudeutung des Stoffes und belässt die Figuren in ihrem historischen Ambiente, was sich vor allem in den sehr opulenten Kostümen (Jesús Ruiz) widerspiegelt. Die Bühne von Daniel Bianco stellet einen Innhof mit zahlreichen hohen Säulen dar, der mit viel Blumenschmuck ausstaffiert ist. Die Spiegel hinter den Türen reflektieren die auf- und abtretenden Figuren, um eine Abgeschlossenheit des Raumes anzudeuten. Susannas Zimmer wirkt mit den angedeuteten Fliesen auf der Rückwand recht maurisch und entspricht dem Ort der Handlung. Wenn sich bei Cherubinos Verzweiflungsarie am Abend kurz vor der Zwangshochzeit die hintere Bühnenwand öffnet und einen überdimensionalen Mond sichtbar werden lässt, ist das zwar ein bisschen dick aufgetragen, wirkt aber bei allen Vorbehalten pittoresk. Während Sagi die Geschichte getreu dem Libretto erzählt, was bei einer Wiederentdeckung eines völlig unbekannten Werkes für das Verständnis durchaus begrüßenswert ist, erlaubt er sich im großen Finale des zweiten Aktes aber doch die Freiheit, nicht alle Pärchen in Harmonie zu vereinen. Dass Figaro seiner im Laufe des Stückes oft verschmähten Gattin am Ende wieder in Liebe zugetan ist, mag nachvollziehbar sein, da sie ihn schließlich vor der Entlassung bewahrt hat. Die Kluft zwischen Graf und Gräfin jedoch, deren Liebe ja schon Jahre zuvor in Le Nozze erkaltet war, lässt Sagi aber bestehen. So weist Rosina ihren Gatten beim allgemeinen Jubel barsch zurück und scheint auch von den permanent fliegenden Luftschlangen genervt. Sie ist mittlerweile zu abgeklärt, als dass sie sich diesem Freudentaumel und der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft hingeben kann.

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Die Harmonie trügt: Figaro (Mario Cassi) mit Susanna (Eleonora Buratto).

Szenisch knüpft das Werk sehr eng an Mozart / da Ponte an, gibt es doch parallel dazu eine Gartenszene und ein Versteckspiel im Wandschrank, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Bei Mercadante / Romani sind es Figaro und der Graf, die Cherubino mit Inez im Garten überraschen wollen, diesen aber mit Susanna vorfinden, was zunächst Susanna in Misskredit bringt. Auch ist es nicht der Wandschrank der Gräfin, in dem sich Cherubino dieses Mal versteckt, sondern Susannas Schrank, was, anders als bei Mozart, nicht unentdeckt bleibt und sogar zu Susannas vorläufiger Entlassung führt. Nur Susannas Verführungskünsten ist es letztendlich zu verdanken, dass der Graf einlenkt. Neu ist, dass Mercadante / Romani einen Dichter einführen, der das Geschehen kommentiert und aus dem Erlebten einen Stoff für seine Komödie entwickelt. Diese Figur enthält einen gewissen Zynismus, wenn der Dichter in einem Rezitativ des zweiten Aktes beklagt, dass er wie zahlreiche Kollegen nur durch Schmeicheln und Kriechen die Gunst seiner Gönner gewinnen und sein Überleben sichern kann. Spricht Romani da für die Opernlibrettisten seiner Zeit?

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Susanna (Eleonora Buratto) kann den Grafen (Antonio Poli) immer noch um den Finger wickeln.

Musikalisch ist das Werk näher an Rossini als an Mozart. So meint man, in der Auftrittsarie Figaros in den Orchesterläufen Parallelen zu "Largo al factotum" herauszuhören, wobei Figaro sich in dieser Arie ähnlich selbstverliebt präsentiert wie im Barbiere. Allerdings wird er im Gegensatz zum Barbiere hier nicht der Sieger bleiben, da er in Susanna eine Kontrahentin gefunden hat, die ihm durchaus ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen ist. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum seine Liebe zu ihr erkaltet ist. Auch die großen Finali am Ende der beiden Akte erinnern in ihrer Virtuosität stark an Rossini. Da ist zum einen das Ensemble-Stück "Come dal fulmine" kurz vor dem Finale des ersten Aktes, in dem die Figuren sich mit dem Chor über Figaro amüsieren, da Susanna mit Cherubino überrascht worden ist, und Figaro gegen den Spott als vermeintlich gehörnter Ehemann anzukämpfen hat. Dieses Stück erinnert musikalisch sehr an die Verwirrung im Finale des ersten Aktes des Barbiere, wohingegen Mercadantes Finale des ersten Aktes "Una ciarla, un detto solo", in dem das Gerede beschrieben wird, das sich von einem schmalen Rinnsal in der Ebene zu einem reißenden Strom entwickelt, der Felder wie Städte überflutet, musikalisch und inhaltlich Rossinis "La calunnia" anklingen lässt. Auch das große Finale des zweiten Aktes ist ganz im Geiste Rossinis. Neben diesen zahlreichen Parallelen stattet Mercadante sein Werk aber mit wesentlich mehr spanischem Lokalkolorit aus, was dem Ort der Handlung wesentlich näher kommt als bei Rossini und Mozart. So verwendet er bereits in der Ouvertüre einen Fandango, einen Bolero, eine Cachucha und eine Tirana, die unmittelbar nach Andalusien führen. Susannas Auftrittskavatine, ebenfalls ein Bolero, lässt sie beinahe als Vorläuferin einer Carmen erscheinen. So bettet Mercadante ihre Koketterie in spanische Rhythmen ein, was schon die Presse der Uraufführung in Madrid zu dem Urteil verleitete, dass Mercadante sich den Charakter der spanischen Musik sehr zu eigen gemacht habe. Auch in den melancholischen Passagen des Stückes gelingen Mercadante sehr eindringliche Melodienbögen, die nachvollziehen lassen, dass er zumindest im 19. Jahrhundert zu den ganz großen Vertretern des Genres zählte.

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Glückliches Happy End: von links Plagio (Omar Montanari), Figaro (Mario Cassi), Susanna (Eleonora Buratto), Gräfin (Asude Karayavuz), Graf (Antonio Poli), Cherubino (Annalisa Stroppa), Inez (Rosa Feola), Torribio (Anicio Zorzi Giustiniani), im Hintergrund: der Chor.

Stimmlich bewegt sich die Aufführung auf Festspielniveau mit einer durchweg sehr jungen Solistenriege, die gewiss noch eine große Karriere vor sich haben wird. Antonio Poli glänzt mit strahlendem Tenor als Graf Almaviva, der stimmlich dem Barbiere-Grafen näher kommt als Mozarts Almaviva. Mit der grandiosen Auftrittsarie "Che mai giova al nostro core", in der der Graf darüber sinniert, dass jede Liebe nach der ersten Glut so schnell abkühlt, dass man am liebsten ganz auf diese Gefühle verzichten sollte, reißt er das Festspielpublikum regelrecht von den Sitzen und hält dieses Niveau bis zum Ende des Stückes. Auch Eleonora Buratto begeistert als Susanna mit leuchtendem Sopran und sauberen Koloraturen. Besonders ihre Auftrittskavatine "Colle dame più brillanti", in der sie ihre eigene Überlegenheit den Männern gegenüber preist, stellt durch ihre stimmliche und szenische Präsentation einen Höhepunkt des Abends dar. Dabei lassen sie ihr frisches und kokettes Spiel mit der Virtuosität ihrer Stimme zum Publikumsliebling des Abends avancieren. Annalisa Stroppa gibt mit sehr warmem Mezzo einen sehr jugendlichen Cherubino, der seit Mozarts Le Nozze scheinbar gar nicht gealtert ist, obwohl ja doch einige Jahre vergangen sein müssen. Im ersten Akt wirkt Cherubino noch genauso kopflos wie bei Mozart. Nur seine tiefen Gefühle für Inez und die große Verzweiflungsarie im zweiten Akt "Lungi oh Dio", wenn er glaubt, dass alles verloren ist, lassen diese Figur etwas reifer erscheinen.

Asude Karayavuz und Rosa Feola überzeugen als Gräfin und Tochter Inez ebenfalls mit sehr warmen und weichen Stimmen. Besonders innig gelingt ihr Terzett mit Susanna im ersten Akt, in dem sie das Schicksal der Frauen beklagen. Mario Cassi gefällt als Figaro mit kräftigem Bariton. In den Koloraturen fehlt es seiner Stimme jedoch noch ein wenig an Beweglichkeit. Auch Omar Montanari als Plagio und Anicio Zarzi Giustiniani als Torribio gefallen in den kleineren Partien. Der Philharmonia Chor Wien unter der Leitung von Walter Zeh überzeugt durch sehr homogenen und präzisen Klang und durch große Spielfreude.

Star des Abends bleibt trotz dieser herausragenden Leistungen der Mann am Dirigentenpult: Riccardo Muti, der mit dem Orchestra Giovanile Luigi Cherubini das Festspielpublikum mit absoluter Leichtigkeit verzaubert. Da gibt es keine Unstimmigkeiten im Graben, jedes Tempo ist zwischen Bühne und Orchester genauestens abgestimmt, und nie laufen die Solisten Gefahr vom Orchester übertönt zu werden. Besonders bewegend ist der Moment, in dem Muti zum tobenden Schlussapplaus das komplette Orchester auf die Bühne holt.


FAZIT

Eine grandiose Wiederentdeckung. Wenn derartige Schätze, so wie Muti sagt, noch in Fülle in den Archiven schlummern, gibt es noch einiges zu entdecken.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ricardo Muti

Regie
Emilio Sagi

Bühnenbild
Daniel Bianco

Kostüme
Jesús Ruiz

Licht
Eduardo Bravo

Choreographie
Nuria Castejòn

Chor
Walter Zeh



Philharmonia  Chor Wien

Orchestra Giovanile
Luigi Cherubini

Continuo Cembalo
Speranza Scappucci


Solisten

Il Conte d'Almaviva
Antonio Poli

La Contessa (Rosina)
Asude Karayavuz

Inez, ihre Tochter
Rosa Feola

Cherubino
Annalisa Stroppa

Figaro
Mario Cassi

Susanna
Eleonora Buratto

Torribio
Anicio Zorzi Giustiniani

Plagio
Omar Montanari

Diener
Kiril Chobanov

 


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