Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Homepage zurück E-Mail Impressum



Salzburger Festspiele 2011

25. Juli - 30. August 2011



Zwischen den Zeiten – Festspielglanz und Opernwerkstatt

Zur Bilanz des aktuellen Jahrgangs der Salzburger Festspiele

Von Roberto Becker

Es ist keine Ära, die nach dem Ende der Festspiele 2011 zu resümieren ist, sondern eine Zwischenspielzeit. Vielleicht der singuläre Abschluss einer Modernisierung der Festspiele, die nach Herbert von Karajans Tod von Gerard Mortier mit Vehemenz in Gang gesetzt, von Peter Ruzicka mit konzeptionellem und von Jürgen Flimm mit einem eher theaterpraktischen Ehrgeiz weitergeführt wurde. Quasi im Windschatten dieser Intendanten hat Markus Hinterhäuser mit langem Atem eine Konzertdramaturgie installiert. Als ambitionierte Ausrufezeichen einer avancierten Moderne machte er von 1993 bis 2001 Werke von Luigi Nono (Prometeo), Hans Werner Henze (Requiem), Bernd Alois Zimmermann (Requiem für einen jungen Dichter), Morten Feldman (Neither) und Giorgio Battistelli (Experimentum mundi) in der Reihe Zeitfluß zum festen und zunehmend akzeptierten Bestandteil der Festspiele.

Als Hinterhäuser dann unter Jürgen Flimm Konzertchef wurde, installierte er daran anknüpfend seine Kontinente-Reihe, die nacheinander die Komponisten Giacinto Scelsi, Salvatore Sciarrino, Edgard Varèse und schließlich Wolfgang Rihm zum Fokus der jeweiligen Konzertprogramme machte. In seinem letzten Salzburg-Jahr zog er jetzt mit dem fünften Kontinent eine Art Fazit dieser Entdeckungsreisen, die mit ihrem unumstrittenen Erfolg bei Publikum und Kritik auf die gesamten Festspiele und ihr Image zurückwirkten.

Als Jürgen Flimm seinen Vertrag vorzeitig auflöste, um Intendant der Berliner Staatsoper zu werden, lag es auf der Hand, Markus Hinterhäuser als Intendant zu nominieren. Im Standard vom 30. August sagte Hinterhäuser, dass das Nachfolgeverfahren, bei dem er auf der Strecke blieb, seines Erachtens „reflektiv und intellektuell auf einem bemerkenswert bescheidenem Niveau“ abgelaufen sei. Die politischen Gremien entschieden sich für den Züricher Intendanten Alexander Pereira, der wohl unter allen Intendanten im deutschsprachigen Mitteleuropa der mit dem ausgeprägtesten Geschäftssinn ist. Dass sich Markus Hinterhäuser dennoch bereit erklärte, den Interimsjahrgang zwischen Flimm und Pereira zu verantworten, spricht für ihn. Gab es ihm doch die Möglichkeit, sein originäres Programmfeld mit einer Art Resümee zu krönen.

Beim Opernprogramm legte er sich allerdings ausgerechnet für die Zusammenarbeit von Peter Stein und Riccardo Muti bei Verdis Macbeth mit besonderem Engagement ins Zeug. Nun stehen zwar der außerordentliche Erfolg der Sache Makropulos und die szenisch herausfordernde, musikalisch aber bis in Referenzqualitäten vorstoßende Frau ohne Schatten ebenso wie der passgenaue Auftritt von Anna Netrebko als Tschaikowskis Iolante auf der Habenseite seiner Bilanz. Sein Bekenntnis zur Macbeth-Ästhetik relativiert allerdings die Trauer über die verpasste Intendanz von Hinterhäuser zumindest in Sachen Oper. Mit diesem Macbeth ging der Musiker und Intendant nicht nur erschreckend weit hinter die szenischen Standards des heutigen Musiktheaters (außerhalb Italiens), sondern auch hinter den Anspruch eines großen Teils des Publikums zurück. Dieses Publikum lässt sich nämlich nicht nur gerne mit stargespickten konzertanten Aufführungen oder einer verstaubten Kostüm- und statischen Rumstehästhetik berieseln, sondern von so hintersinnigen Szenikern wie Marthaler oder auch Loy zum Mitdenken verführen.

So wusste es auch einen weiteren Glücksgriff des zurückliegenden Jahrgangs zu schätzen. Man ließ sich nämlich die Chance nicht entgehen, aus den Mozart-Inszenierungen, mit denen Claus Guth zwischen 2006 und 2009 nach und nach alle drei Da Ponte-Opern auf die Bühne brachte, nicht nur wiederaufzunehmen, sondern in einer Übertragung des Werkstattprinzips, das die Bayreuther Festspiele so gerne für sich reklamieren, auch weiterzuentwickeln. Überarbeitet hat Guth alle drei Produktionen schon deshalb, weil sie musikalisch mit anderen Partnern einstudiert wurden und so drei unterschiedliche interpretatorische Wege zu Mozart nebeneinander gestellt werden konnten. Für Le nozze di Figaro stand jetzt Robin Ticciati am Pult des Orchestra of the Age of Enlightenment, die Wiener Philharmoniker bestritten Don Giovanni mit Yannick Nézet-Séguin am Pult und Marc Minkowski und seine Les Musiciens du Louvre widmeten sich der Così fan tutte. Vor allem mit der Cosi-Überarbeitung hat Guth die inhaltliche Verschränkung der drei Beiträge Mozarts und Da Pontes zur Verwirrung der Gefühle in diesem Jahr mit erstaunlicher Präzision geschärft.

Le nozze di Figaro mit Nicolaus Harnoncourt war im Mozartjahr 2006 ein zentrales Ereignis. Der Figaro wirkte auch jetzt, in der Gesamtschau, vor allem in der Korrespondenz mit der Cosi überzeugend. Bei Claus Guth ist der tolle (Hochzeits-)Tag ein präzises, mit verhalten hintergründigem Witz durch dekliniertes Kammerspiel, bei dem Amor im Matrosenanzug und mit Engelsgefieder durch das großbürgerliche Treppenhaus aus der vorigen Jahrhundertwende geistert und mit seinem Flügelschlag eine Atmosphäre der Irritation schafft, bei der man viel über das verborgene Sehnen der Menschen erfährt. Über den Grafen und die Gräfin und das Ersterben ihrer Liebe. Über männliche Macht- und Besitzansprüche. Und über die Wechsel- und Zufälle des Lebens, die den Frauen zum Beispiel einen jungen Burschen vor die Füße wehen, der sich seiner Wirkung gerade bewusst wird. Nicht nur durch Simon Keenlyside, der den Grafen zwar exzellent singt, aber doch nicht so zentral zu spielen versteht wie Bo Skovhus in den Vorjahren, vor allem aber durch die Neubesetzung des Figaro mit einem gelegentlich aus dem Ruder laufenden Erwin Schrott, werden die Akzente der Inszenierung zwar leicht ins Komödiantische verschoben, sie behält aber dennoch ihre geschlossene Wirkung.

Die radikale Gegenthese zur Künstlichkeit des Figaro-Treppenhauses bleibt dann der Don Giovanni, den Guth als Geschichte aus einem Seelenwald zelebriert, der die Drehbühne und die Atmosphäre beherrscht, in der das Untergründige brodelt. Bei diesem Ende Don Giovannis geht es nicht nur um einen Versuch, Liebe im Angesicht des Todes zu finden, sondern auch um die Verlorenheit des modernen Menschen. Offenbar hat das Leben Don Giovanni und Leporello aus den Straßen, Palästen und Hütten der zivilisierten Welt geworfen und in den Wald verschlagen. Die Waldwege führen hier in die Lebenssackgasse und ans Ende. In ein suggestiv in seinen Bann ziehendes, dunkel nächtliches Freiluftlabor einer finalen (männlichen) Lebensgier und aufbrechender (weiblicher) Obsessionen.

Cosi fan tutte schließlich wird jetzt, besonders in der überarbeiteten Form, zu einer Art Synthese der ernüchternden Erkenntnis, die mit zynischer Rigorosität ausgesprochen wird. Optisch durch den langsam vorrückenden Wald und inhaltlich durch die Spiegelung des Amors aus dem Figaro in dem schwarz beflügelten teuflischen Don Alfonso. Als ursprüngliche Despina war Patricia Petibon mit einer roten Lockenmähne, hautengen Jeans und einer ziemlich verspielten Auffassung ihres Haushälterinnen-Jobs ausgestattet. Anna Prohaska ist jetzt eine eifrige, schwarze Teufelin in Ausbildung an der Seite Don Alfonsos, den Bo Skovhus (als personelles Kontinuum) als zynischen Spielmacher überzeugend ins Zentrum rückt. Christan Schmidt hat das ursprünglich ziemlich noble Mittelklasse-Treppenhaus bis auf eine gänzlich nüchterne Laborsituation abgerüstet. Mit dem vordringenden Don Giovanni-Wald wird das Ganze jetzt zu einer Art optischer Synthese der beiden anderen Opern, die so allesamt zu Teilen eines Ganzen werden.

Fazit: Der Festspieljahrgang unter Leitung von Markus Hinterhäuser war alles in allem einer der Besten seit Jahren! Er schließt zugleich eine Ära des Übergangs ab. Mit dem Amtsantritt von Alexander Pereira werden die Karten neu gemischt.




Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
Homepage

Salzburger Festspiele
(Homepage)


Unsere Rezensionen:

  • Strawinskys Rossignol und Tschaikowskis Iolante sind nicht nur wegen der glanzvollen Besetzung auch konzertant ein Ereignis

  • Um Sterblichkeit und Jugendwahn dreht sich Janaceks Sache Makropulos - dabei macht sich Angela Denoke in der Hauptrolle unsterblich, und auch Esa-Pekka Salonen und die Wiener Philharmoniker verbreiten Festspielglück. Christoph Marthaler kommentiert die Angelegenheit mit abgründiger Ironie.

  • Ritterfestspiele für die ganze Familie - Peter Stein möchte den Macbeth nicht interpretieren und erstickt ihn als elegant historisierenden Kostümschinken

  • Mit scharfem Intellekt begegnet Regisseur Christof Loy dem Klangzauberer Christian Thielemann - und gemeinsam lassen sie Die Frau ohne Schatten zu einem Festspielereignis höchsten Ranges werden


    Zur Wiederaufnahme des Mozart-da Ponte-Zyklus: Ein Interview mit Claus Guth




    Homepage der
    Salzburger Festspiele





  • Da capo al Fine

    Homepage zurück E-Mail Impressum

    © 2011 - Online Musik Magazin
    http://www.omm.de
    E-Mail: festspiele@omm.de

    - Fine -