Eine Sängerin für die Ewigkeit
Von Stefan Schmöe
/
Foto von Salzburger Festspiele / © Walter Mair
Warum nur wird Die Sache Makropulos so selten gespielt? Ein packendes Sujet, eingekleidet in eine spannende Handlung mit kriminalistischen Zügen, dazu eine mitreißende Musik mit großen Momenten für die Sänger, und das konzentriert auf deutlich weniger als zwei Stunden Nettospielzeit (in Salzburg durch einige eingeschobene stumme Szenen
verlängert) das müsste die Theater doch eigentlich herausfordern. Die in Koproduktion mit der polnischen Nationaloper entstandene Festspielproduktion jedenfalls liefert beste Argumente für dieses Werk, das zu Unrecht im Schatten der volktümlicheren Jenufa und Katja Kabanova steht.
Die Hektik der Kurzlebigen kann ihr nichts anhaben: Emilia Marty (Angela Denoke); in der Bildmitte Albert Gregor (Raymond Very)
Zur Handlung: Die gefeierte Opernsängerin Emilia Marty platzt im Prag der 20er-Jahre in die Kanzlei des Anwalts Kolenaty, dem eine Niederlage im nunmehr einhundertjährigen Erbschaftsstreit Prus gegen Gregor droht und sie offenbart erstaunliches Detailwissen in der Angelegenheit, berichtet sogar von einem bisher unbekannten Testament. Kolenaty bleibt skeptisch, während alle anderen Männer zunehmend der zynisch ihre Macht ausspielenden Diva verfallen, die ihrerseits mit allen Mitteln an ein altes Dokument aus dem Besitz der Familie Prus herankommen will. Als Kolenaty sie in einer improvisierten Gerichtsverhandlung als Betrügerin entlarven will, enthüllt sie ihr Geheimnis: Das rätselhafte Schriftstück ist die Sache Makropulos, eine Formel für 300 Jahre dauernde Jugend, die einst an ihr selbst erprobt wurde. Als Elina Makropulos, Tochter des Hofalchimisten Rudolfs II. und vor 337 Jahren geboren, wandelt sie unter wechselnden Namen durch die Zeiten. Aus Angst vor dem nun nahenden Tod sucht sie nun erneut nach der Sache Makropulos, weist sie dann aber doch von sich und überlässt sie der jungen Sängerin Krista die das Dokument kurzerhand verbrennt.
Audienz: Emilia Marty (Angela Denoke), Albert Gregor (Raymond Very) mit Schiff
Die Geschichte ist nicht nur brisant wegen der um Jugendwahn und Lebensverlängerung kreisenden Thematik, sondern ein packend gestalteter Opernstoff. Mit einkomponiertem Telefonklingeln hat das Elemente der Zeitoper (das Programmheft verweist auch auf die musikalisch gestaltete Hektik der modernen Großstadt), bekommt bei Janácek besonders im sich lyrisch aufschwingenden dritten Akt eine Wendung zum Elegischen. Christoph Marthalers Inszenierung knüpft an die Vorlage Karel Capeks an, die als Komödie bezeichnet ist, und kontrastiert die Musik mit Elementen absurder Komik. Als Bühnenbild für alle drei Akte hat Anna Viebrock einen etwas altmodischen Gerichtssaal des frühen 20. Jahrhunderts gebaut, in dessen Kasettendecke man noch die Rudolfinische Epoche erahnen kann. Am rechten Rand ein schmuckloser Wartebereich, wie man ihn heute findet, dahinter ein postmoderner Glaskasten, von dem man nicht genau weiß, ob sich dahinter metaphysisch das Jenseits befindet oder eben doch nur ein kleinbürgerlicher Flur mit typisch marthalersch-viehbrockschen Grünpflanzen. Der Clou ist, dass dieses aufwändige Bühnenbild im Sinne der Geschichte kaum bespielt wird. Die sehr nuancierte Personenregie kommt im Grunde ohne Kulisse aus. Die ist dennoch keineswegs überflüssig, liefert sie doch den notwendigen Rahmen ganz konkret, indem sie die immer präsente Gerichtsatmosphäre für diese Krimistory abgibt, indirekt, und da wird es dann doch metaphysisch, weil sich Emilia Marty respektive Elina Makropulos dem Gericht und dahinter darf man angesichts der Frage nach dem ewigen Leben wohl auch das Jüngste Gericht sehen stellt.
Vorne links gibt es noch ein Glaskabuff, das ganz zeitgemäß wohl der Raucherraum ist. Vor der Overtüre begegnen sich dort eine junge und eine alte Frau, geraten in einen unhörbaren, der Übertitel sei Dank aber mitlesbaren und deshalb sehr komischen Dialog über das Altern die Sympathien gehören der Seniorin, die ihren Alterungsprozess sehr pragmatisch akzeptiert. Marthaler greift diese Rahmenhandlung pantomimisch immer wieder auf, lässt auch anklingen, dass in unserer Gesellschaft mehr noch als die Jugend das Alter eine Verlängerung erfährt. Das Pathos des Opernfinales wird stark karikiert, wenn Krista die Sache Makropulos ganz nebenbei im nächsten Ascher verbrennt. Die Musik wird dadurch keineswegs unterhöhlt, dazu ist sie viel zu kraftvoll. Marthalers provokativ lapidare, vielschichtige Erzählweise setzt aber den Kontrapunkt, der die Modernität (und Aktualität) des Werkes deutlich macht.
Vision vom Jenseits - oder doch nur ein Vorraum zum Gerichtssaal?
Im Zentrum eines durchweg hervorragenden Ensembles trägt die in jeder Hinsicht großartige Angela Denoke die Aufführung. Schauspielerisch gelingt es ihr gespenstisch, die hinreißende Diva und im nächsten Moment (oder auch gleichzeitig) die alternde Frau am Rand zum Tod darzustellen. Und stimmlich ist jeder Ton ein Ereignis. Der volle, leicht gläsern eingedunkelte und im verhauchenden Pianissimo wie im zupackenden, immer unangestrengten Forte jederzeit raumfüllende Klang verleiht der Figur eine geradezu unheimliche Präsenz, die musikalisch jede Geste, jedes Wort beglaubigt. Dieser Frau müssen alle hörenden Menschen zu Füßen liegen, aber die Sängerin gestaltet auch die Distanz der Figur zu ihren Mitmenschen. Da hat eine faszinierende Partie eine ideale Darstellerin gefunden.
Raymond Very ist ein nicht mehr junger, schmieriger Albert Gregor mit in allen Registern absolut sicherem, leicht brüchigem Tenor, was der Figur außerordentlich gut bekommt: Der alternde Dandy, willenlos der Marty verfallen und geradezu verzweifelt sexuell wie finanziell auf deren Hilfe angewiesen. Johan Reuter ist mit noblem Bariton stimmlich wie szenisch ein eleganter Jaroslav Prus, Prozessgegner und Widersacher Gregors, ausdrucksstark in seiner geradezu existenziellen Ernüchterung über die Liebesnacht mit der Marty. Jochen Schmeckenbecher als kühl kalkulierender, stimmlich nicht auftrumpfender, aber sehr präsenter und in jeder Nuance baritonal souveräner Dr. Kolenaty (ein wenig erinnert er, auch in seiner machtbewussten Gestik, an Ex-Ministerpräsident Roland Koch). Peter Hoare gibt den Anwaltsgehilfen Vitek mit leichtem, nicht verzeichnendem Charaktertenor, Ales Briscein mit nicht zu kleinem Spieltenor seinen Sohn Jacek (der sich wegen der Marty erschießt) mit jugendlicher Naivität. Sie alle haben einen Tic Vitek etwa trommelt permanent mit den Fingern auf dem Tisch, Kolenaty kämpft unentwegt mit Handschuhen und Schal. Da sitzen sie mit ihren Deformationen komisch nebeneinander und wollen der Marty den Prozess machen und sind ihr doch hoffnungslos unterlegen.
Der Prozess
Eine steht abseits, die junge Sängerin Krista, von Jurgita Adamonyte mädchenhaft schlicht und rollendeckend schüchtern gesungen. Ob sie, Sache Makropulos hin oder her, die nächste Diva wird, bleibt im lässigen Schwung, mit dem sie sich zuletzt die Zigarette anzündet und damit das Graue-Maus-Image wegwirft, offen. Und dann ist da noch Ryland Davies als anrührend-komischer Hauk-Schendorf, vor 50 Jahren einmal Liebhaber der Marty und darüber verrückt geworden.
Die famosen Wiener Philharmoniker bleiben unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen der ungemein farbigen Partitur nichts schuldig. Hat Christian Thielemann in der Frau ohne Schatten (unsere Rezension) vom Orchester aus die entscheidenden Akzente gesetzt, so versteht sich Salonen stärker als Begleiter, lässt den Sängern den Vorrang, gestaltet aber ausgesprochen nuanciert und pointiert, sehr flexibel der Gesangslinie angepasst und doch immer immer mit der notwendigen Eigenständigkeit und auch Schärfe. So erhalten die Salzburger Festspiele durch die Gegenüberstellung dieser beiden in kurzem zeitlichen Abstand entstandenen Werke (Die Frau ohne Schatten 1915, Die Sache Makropulos 1927) nicht zuletzt durch die beide auf ihre Weise herausragenden Dirigenten ein scharfes Profil (durch die ambitionierten und intelligenten Inszenierungen sowieso).
FAZIT
Mustergültige Aufführung auf höchstem Niveau eines viel zu selten gespielten Meisterwerks- mit Angela Denoke als hinreißendem Mittelpunkt.
Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Esa-Pekka Salonen
Inszenierung
Christoph Marthaler
Bühne und Kostüme
Anna Viebrock
Licht
Olaf Winter
Chöre
Jörn H. Andresen
Mitarbeit Regie
Joachim Rathke
Dramaturgie
Malte Ubenauf
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Mitglieder der Angelika Prokopp Sommerakademie
der Wiener Philharmoniker,
Bühnenmusik
Wiener Philharmoniker
Solisten
Emilia Marty
Angela Denoke
Albert Gregor
Raymond Very
Vítek, Rechtsanwaltsgehilfe
Peter Hoare
Krista, seine Tochter
Jurgita Adamonytë
Jaroslav Prus
Johan Reuter
Janek sein Sohn
Ale Briscein
Dr. Kolenatý, Rechtsanwalt
Jochen Schmeckenbecher
Aufräumefrau / Kammerzofe
Linda Ormiston
Maschinist
Peter Lobert
Hauk-endorf
Ryland Davies
Jin Ling
Sasha Rau
Mary Long
Silvia Fenz
Anita Stadler
Anita Stadler
weitere Berichte von den Salzburger Festspielen 2011
Zur Homepage der
Salzburger Festspiele
|