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Musikfestspiele
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27.
Tage Alter Musik in Regensburg

10. bis 13. Juni 2011




Tage Alter Musik Regensburg
(Homepage)

Regensburg: wechselhaft, aber meist heiter

Von Ingo Negwer

Pfingsten 2011. Für viele Freunde der Alten Musik ist sie ein alljährlich wiederkehrendes Ritual: die Reise nach Regensburg. Zum 27. Mal fanden vom 10. bis 13. Juni in der reizvollen Stadt an der Donau die Tage Alter Musik statt. Vierzehn Konzerte an historischen Stätten, ergänzt durch eine Verkaufsausstellung mit Instrumenten und Musikalien im Salzstadel, erwarteten auch in diesem Jahr die Besucher.

Nach dem außergewöhnlich trockenen und warmen Frühling hatte man sich schon auf ein sonniges langes Wochenende, und damit ideale Rahmenbedingungen für die "Tage Alter Musik" gefreut. Doch der viel zu früh begonnene Sommer legte zu Pfingsten eine Pause ein. Das Wetter zeigte sich kühler und wechselhaft, wenngleich nicht allzu ungemütlich. Ganz ähnlich lässt sich auch das diesjährige Festival umschreiben - insbesondere im Hinblick auf Johann Sebastian Bach.

In gleich zwei Konzerten stand der Thomaskantor im Mittelpunkt. Zum Auftakt sangen die Regensburger Domspatzen unter der Leitung von Roland Büchner und begleitet von Concerto Köln das Himmelfahrtsoratorium "Lobet Gott in seinen Reichen", die Motette "Der Geist hilft unser Schwachheit auf" und das Magnificat D-Dur. Zum Auftakt erklang das Konzert A-Dur für Oboe d'amore, Streicher und Basso continuo, eine Rekonstruktion nach dem Cembalokonzert BWV 1055, mit Benoît Laurent als souverän gestaltendem Solisten. Concerto Köln war ihm, wie auch den Domspatzen, ein exzellenter Partner mit gewohnt ausgewogenem, schlankem Orchesterklang. Die Stars des Eröffnungskonzertes war jedoch wieder einmal die Regensburger Domspatzen, deren stimmliche Hochkultur keinen internationalen Vergleich zu scheuen braucht. Die ausdifferenzierte Klangpracht im Himmelfahrtsoratorium und im Magnificat (die hier von geringfügigen Abstimmungsproblemen kaum zu trüben war), die Transparenz und Textverständlichkeit in der doppelchörigen Motette waren beeindruckend. Das Solistenquartett Johannette Zomer (Sopran), Franz Vitzthum (Altus), Georg Poplutz (Tenor) und Wilhelm Schwinghammer (Bass) fügten sich nahtlos in das hohe Niveau der Interpreten ein.

Ganz anders sah es im zweiten Bach-Konzert der Tage Alter Musik aus. Eine experimentelle Interpretation von Johann Sebastian Bachs früher Kantate "Christ lag in Todesbanden" BWV 4 und ihrer musikalischen Vorläufer hatte das irische Ensemble eX unter der Leitung von Caitríona O'Leary und Ariadne Daskalakis angekündigt. Was allerdings im Theater Velodrom szenisch und musikalisch geboten wurde, erweckte bestenfalls verständnisloses Kopfschütteln. Auf der spärlich beleuchteten Bühne waren links ein großes Kreuz, rechts die Instrumentalisten angeordnet. Unter das Kreuz drapierte man eingangs einen Schädel, ein Abbild der sieben Schmerzen Mariae, ein Tablett mit in Goldpapier verpackten Osterhasen eines bekannten Süßwarenherstellers und einen großen roten Geschenkkarton. Gesungen wurde auch: "Christus resurgens ex mortuis", die Ostersequenz "Victimae paschalis laudes", Johann Hermann Scheins "Christ lag in Todesbanden", Heinrich Schützens "Feget den alten Sauerteig" und "Christ ist erstanden" von Michael Praetorius. Mit Heinrich Ignaz Franz Bibers Passacaglia g-Moll für Solovioline (Ariadne Daskalakis) fand der erste Teil der Vorstellung – wenig experimentell, noch musikalisch erhellend – nach etwas mehr als einer halben Stunde ein Ende.

Vergrößerung in neuem Fenster Bühnenbild zu Johann Sebastian Bachs Kantate "Christ lag in Todesbanden"
mit dem irischen Ensemble eX
(Foto: Ingo Negwer)

Nach der Pause - das Kreuz schien inzwischen von Kinderhand bunt und fantasievoll bemalt worden zu sein - folgte "Christ lag in Todesbanden". Auf einer fruchtgummibunten Bühne spielte eine dekadente Gesellschaft zu den Klängen der Bachschen Kantate die Passion Christi in grellen Farben und Gesten nach. In solistischer Aufführungspraxis, nichtsdestotrotz sicherlich in jeder Hinsicht meilenweit von den Intentionen des Komponisten entfernt, nahmen sich Cassandra Hoffmann (Sopran, als Jungfrau Maria), Caitríona O'Leary (Mezzosopran, als Maria Magdalena), Julian Podger (Tenor, als Joseph) und Jörg Gottschlick (Bass, als Martin Luther) des Werks an, wobei die Rollenverteilung lediglich aus den Angaben des Festivalprogrammhefts zu erschließen war.

Vor dem Hintergrund der Rezeptionsgeschichte der Passion Christi in Theater und Film der vergangenen 30 bis 40 Jahre handelte es sich bei der Inszenierung des Ensemble eX keineswegs um eine gelungene Provokation – hier kann der Rezensent die lautstarke Empörung zahlreicher Zuschauer nur bedingt nachvollziehen. Selbst als die Akteure auf der Bühne Jesu Leichnam vom Kreuz nahmen, auf einem großen Tisch niederlegten und Martin Luther, sich den Talar vom Leib reißend und nunmehr als Koch gekleidet, das Lamm Gottes zubereitete, wirkte die Darbietung wie eine an Albernheit kaum zu überbietende spätpubertäre Schülerinszenierung. Das war mehr peinlich als provokant. Seit Monty Pythons legendärem "Life of Brian" braucht solche Parodien, wie vom Ensemble eX geboten, niemand mehr!

Die Tage Alter Musik Regensburg 2011 boten jedoch nicht nur Stoff zu (durchaus kontroversen) Diskussionen, sondern auch musikalische Höhepunkte, wie die Matinee mit dem belgischen Ensemble Mezzaluna, das im Reichssaal englische Blockflötenmusik des 16. Jahrhunderts kompetent und stilsicher präsentierte. Auch Artemandolino aus Luxemburg hinterließ am selben Ort mit Barockmusik für Mandolinen und Basso continuo einen vorzüglichen Eindruck. Facettenreich, mit differenzierten dynamischen Abstufungen, nahm sich das Ensemble der Werke von Antonio Vivaldi, Nicola Matteis, Evaristo Felice dall'Abaco u.a. an.

Vergrößerung in neuem Fenster Les Musiciens de Saint-Julien  in der St.Oswald-Kirche
(Foto: Ingo Negwer)

"Ländliche" Unterhaltungsmusik des französischen Rokoko boten Les Musiciens de Saint-Julien unter der Leitung von François Lazarevitch. Neben Violine und Flöten erklangen außergewöhnliche Instrumente, wie Musette (ein damals sehr populärer Dudelsack) oder Drehleier, und beschwörten die idyllisch arkadische Welt der Schäferinnen und Schäfer herauf. Das Repertoire besteht aus eher "leichter Kost" und wurde von den Musiciens mit tänzerischem Schwung dargeboten. Olga Pitarch bereicherte das Programm mit einigen Airs de Cour, die sie mit angenehm schlichtem Sopran vortrug.

Einen bleibenden Eindruck hinterließ am Samstagabend das Harmony of Nations Baroque Orchestra . Unter der Leitung von Alfredo Bernardini, der in Tomaso Albinonis Oboenkonzert d-Moll op. 9/2 selbst den Solopart blies, trumpfte das mit durchweg jungen Musikern besetzte Ensemble mit sicht- und hörbarer Spielfreude auf. Fein und filigran gestaltete man Arcangelo Corellis Concerto grosso c-Moll op.6/3, in einem virtuosen Feuerwerk endete Jean-Fery Rebels "Les Caractères de la Danse". Plastisch und (wo es geboten war) zupackend setzte sich das Harmony of Nations Baroque Orchestra mit Georg Philipp Telemanns bildhafter Tonsprache der Ouvertüre C-Dur TWV 55/6 auseinander.

Vergrößerung in neuem Fenster Matthias Maute (3. von rechts) und das
Ensemble Caprice
(Foto: Ingo Negwer)

Einhellige Begeisterung löste auch das Konzert des kanadischen Ensembles Caprice um den Flötisten Matthias Maute aus. Das Programm mit Musik aus der Sammlung Uhrovska von 1730 und von Georg Philipp Telemann lotete die Bedeutung der osteuropäischen Folklore für diesen Komponisten aus, der von 1705 bis 1706 Hofkapellmeister in Sorau (im heutigen Polen) war und dort die Musik der Sinti und Roma kennen und schätzen lernte. Dank der auf höchstem Niveau auftrumpfenden Musiker, allen voran Matthias Maute und der temperamentvolle Geiger Olivier Brault, wurde dieser experimentelle musikalische Grenzgang zu einem mitreißenden Erlebnis.

Auf ganz ähnliches Terrain wagte sich REBaroque unter der Leitung von Maria Lindal (Violine). Unter dem Motto "Variations" spürte das schwedische Ensemble den Einflüssen der Volksmusik auf die höfische Musik des Barock nach. Trotz der informativen Moderation von Maria Lindal waren aber weder die inhaltlichen Zusammenhänge noch das durchaus vitale Zusammenspiel der Akteure so überzeugend, wie am Abend zuvor beim Ensemble Caprice.

Außergewöhnliche Wege ging auch das französische Mittelalterensemble Dialogos. Zusammen mit dem Vokalensemble Kantaduri aus Kroatien widmeten sich die drei Sängerinnen Clara Coutouly, Els Janssens und Aurore Tillac (Katarina Livljanic - vierte im Bunde und Leiterin von Dialogos - war leider erkrankt) der lateinischen und glagolitischen geistlichen Musik Dalmatiens. Dabei ging die beinahe schwerelose frühe Mehrstimmigkeit der Frauenstimmen in der halligen Akustik der großen Dominikanerkirche eine bezaubernde Synthese mit dem gleichsam geerdeten altslawischen Gesang der Männerstimmen von Kantaduri (Leitung: Josko Caleta) ein.

Vergrößerung in neuem Fenster Das Ensemble Lucidarium in der Minoritenkirche
(Foto: Ingo Negwer)

Bei den diesjährigen Tagen Alter Musik in Regensburg spielte das italienische Musiktheater eine hervorgehobene Rolle. Zunächst bot das Ensemble Lucidarium am Pfingstsonntag eine Kombination von italienischer Renaissancemusik und Commedia dell'Arte. Leider hatten die engagiert agierenden Schauspieler Enrico Fink und Martine Marincola Zbylut in der Minoritenkirche einen überaus schweren Stand. Die Darbietung - musikalisch auf hohem Niveau - hätte zweifelsfrei sehr unterhaltsam werden können, wenn nur die Dialoge nicht der als problematisch bekannten Raumakustik zum Opfer gefallen wären. So blieb dem Großteil des Publikums nur, sich in Geduld zu üben, bis das Ensemble Lucidarium wieder die Musik zu ihrem Recht kommen ließ. - Wie man ausgerechnet für dieses Programm die Minoritenkirche auswählen konnte, ist absolut unverständlich!

Vergrößerung in neuem Fenster Großer Schlussapplaus für La Venexiana im Veledrom
(Foto: Ingo Negwer)

Mit Claudio Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" gingen die Tage Alter Musik am Pfingstmontagabend zu Ende. Zugleich beschloss das italienische Ensemble La Venexiana seinen Regensburger Zyklus aller Monteverdi-Opern, der 2007 mit "Orfeo" begonnen hatte und 2009 mit "L'Incoronazione di Poppea" fortgesetzt wurde. Im Unterschied zu den vorangegangenen Aufführungen, entschied man sich beim "Ulisse" für eine Teilinszenierung (Bühnenbild und Regie: Chiara H. Savoia), die dem Publikum die Möglichkeit freier Assoziation, vor allem aber die ungetrübte Konzentration auf das musikalische Geschehen erlaubte. Unter der Leitung von Claudio Cavina (Cembalo) bot La Venexiana eine souveräne und gewohnt hervorragende Leistung - allen voran Mirko Guadagnini in der Titelpartie und Roberta Mameli als Minerva. Oksana Lazareva, eingangs in der Tiefe mit einigen Problemen, fügte sich als Penelope schließlich ebenso reibungslos in die Riege der Hauptdarsteller ein, wie Makato Sakurada als Telemaco. Das Orchester mit je zwei Violinen und Viole da bracchio, mit Violoncello, Lirone, Violone und einer großen Continuo-Gruppe (drei Theorben, zwei Cembali, Harfe) begleitete die Sänger aufmerksam. Lang anhaltender begeisterter Applaus war der abschließende Dank des Publikums für eine durchweg gelungene Aufführung.


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